Die Schrift De anima mag in einer ersten Aufzählung der zentralen Texte des Aristoteles nicht enthalten sein. Sicherlich sind die metaphysischen, ethischen, physischen und logischen Abhandlungen des Philosophen bekannter. Anders als diese disziplinfundierenden Werke befindet sich die uns beschäftigende Schrift in einem Zwischenraum. Obwohl das Etikett ‚Vater der Psychologie‘ Aristoteles gelegentlich angehängt wird, kann nicht behauptet werden, dass die Schrift De anima eine philosophische Psychologie eröffne. Die Behandlung der Seele muss nach Aristoteles der Physik untergeordnet werden, zugleich aber berührt die Seelenforschung metaphysische, ethische und erkenntnistheoretische Gebiete, welche unverzichtbar für ein geeignetes Verständnis der aristotelischen Seelenlehre sind. Umgekehrt sind die verschiedenen Bereiche der aristotelischen Philosophie ohne die Seelenlehre kaum zu entziffern, weshalb die De anima-Lektüre grundlegend für eine allgemeine Interpretation des Aristoteles ist. Letztlich handelt es sich um einen Text, der Eingang in die Kernproblematik der aristotelischen Physik (die Seele als Prinzip der Bewegung), Metaphysik (die Seele als Form und Prinzip des Körpers) und Erkenntnistheorie (die Seele als wahrnehmende und erkennende Substanz) bietet. Darüber hinaus ist die Wirkungsgeschichte des Textes aufgrund der in ihm dargestellte Nuslehre (Theorie des Intellekts) mächtig gewesen.

Das Seminar wird versuchen, die problematische Stellung des Textes in der gesamten aristotelischen Philosophie zu berücksichtigen, aber es wird sich auf die Erschließung der Schrift De anima konzentrieren (insbes. Bücher II und III, in denen Aristoteles eine eigene Definition der Seele anbietet und deren verschiedenen Vermögen ausführlich nachgeht). Innerhalb der Seelenvermögen soll der Wahrnehmung, der Phantasie und der Vernunft besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Kenntnisse der aristotelischen Philosophie sowie der altgriechischen Sprache sind erwünscht aber nicht erforderlich. Der Text ist zweisprachig bei Reclam, Meiner oder in der WBG erschienen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2019