Egal ob Schulreform, Erziehungsberatungsstelle, Atomkraftausstieg oder Dieselskandal – nirgendwo kommt man ohne ExpertInnen aus. Die moderne Welt ist offensichtlich so komplex geworden, dass niemand mehr beanspruchen kann, über alles, was relevant ist, selbst genug zu wissen. Wer um diese Grenzen des eigenen Wissens weiß, sieht ein, dass man sich häufig auf andere verlassen muss, die mehr wissen als man selbst. Wir sind also – zumindest manchmal – alle auf Expertise angewiesen.
Aus dieser Einsicht ergeben sich einige gravierende Probleme. Erstens ergibt sich das Problem, dass man als Laie nur schwerlich beurteilen kann, welche ExpertInnen kompetent sind. Gibt es überhaupt Kriterien, mittels deren sich zuverlässige von unzuverlässigen ExpertInnen unterscheiden lassen? Wissen Laien genug, um diese Kriterien erfolgreich anwenden zu können? Zweitens geschieht es häufig, dass verschiedene ExpertInnen einander widersprechen. Liegt dies lediglich daran, dass eine/r von ihnen einen Fehler macht oder liegt der Grund vielmehr darin, dass es sich bei ExpertInnen um Menschen mit eigenen Interessen, Vorlieben und Vorurteilen handelt? Sollte letzteres zutreffen, kann es leicht zu Ungerechtigkeiten kommen, weil manche Menschen (z. B. Universitätsprofessoren) häufig als Experten nachgefragt werden und dadurch größere Chancen bekommen, ihre eigenen Interessen, Vorlieben und Vorurteile als allgemein anerkanntes Expertenurteil zur Geltung zu bringen. Drittens schließlich stellt sich die Frage, ob wir tatsächlich auf allen Wissensgebieten von Expertise profitieren. Sind nicht manche Fragen (Erziehung eigener Kinder, Beziehungsprobleme, eigene Lebenspläne) so individuell angelegt, dass allgemeine Expertise hier eher in die Irre führt? Involvieren sie nicht subjektive Wertungsfragen, die nicht durch eine objektivierende Auskunft darüber, „wie man hier generell verfährt“, angemessen beantwortet werden können?
Im Seminar werden wir diese und andere Probleme, die in den letzten Jahren in der sozialen Erkenntnistheorie umfassend erörtert worden sind, anhand einschlägiger Beiträge diskutieren. Das Ziel des Seminars betsteht darin, Kenntnisse darüber zu erwerben, in welchen Gebieten das Hinzuziehen von ExpertInnen sinnvoll ist und inwiefern wir in der Lage sind, die ExpertInnen zu erkennen, denen wir vertrauen sollten.
Literatur:
Michael S. Brady/Miranda Fricker (Hg.): The epistemic life of groups. Essays in the epistemology of collectives. Oxford 2016.
Miranda Fricker: Epistemic injustice. Power and the ethics of knowing. Oxford 2009.
Alvin I. Goldman: Knowledge in a Social World. Oxford 1999.
Alvin I. Goldman: Experts: Which Ones Should You Trust? Philosophy and Phenomenological Research 63 (2001), S. 85–110.
Martin Hoffmann: How to Identify Moral Experts? An Application of Goldman’s Criteria for Expert Identification to the Domain of Morality. Analyse & Kritik 34 (2012), S. 299–313.
Oliver R. Scholz: Experts: what they are and how we recognize them – a discussion of Alvin Goldman’s views. Grazer Philosophische Studien 79 (2009), 187–205.
Evan Selinger: The
philosophy of expertise. New York 2006.
- Lehrende/r: Martin Hoffmann
- Lehrende/r: Felicia Maria Klinger