Der Umgang mit Schuld und tiefen Verletzungen ist ein Thema, das seit
alters her das Denken der Menschen beschäftigt hat. Ist es möglich, sich
zu lösen aus der Fixierung auf das, was gewesen ist, was die Zukunft
verstellt und doch nicht mehr zu ändern ist? Denker wie Friedrich
Nietzsche, Hannah Arend und Paul Ricoeur haben über das Verzeihen
nachgedacht als einen Weg, neu zu beginnen und die Zukunft
zurückzugewinnen. Ist aber der Verzicht auf Vergel-tung mit den
Prinzipien der Gerechtigkeit zu vereinbaren? Die Frage stellt sich nicht
nur Individuen, denen Unrecht widerfahren ist, sondern ist auch eine
Herausforderung an eine Gesellschaft, in der es gerecht zugehen soll und
in der gleichwohl immer wieder schweres, nicht wieder gut zu machendes
Un-recht geschieht. Können Völkermorde, Kolonialismus und
Kriegsverbrechen vergeben werden? In der aktuellen Gemengelage, in der
Volkszorn und Wut wieder hoffähig sind, die Vergebung als falsche
Unterwürfigkeit abgelehnt wird, aber auch als Mittel der Disziplinierung
und Schuldzuweisung in den zwischenmenschlichen Be-ziehungen dienen
kann, plädiert die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum für eine
Kultur der Gelassenheit. Auf den Spuren ihres vor zwei Jah-ren
erschienenen Buches soll das Spannungsfeld von Zorn und Vergeltung, von
Gefühlsaufwallung und vernünftiger Mäßigung, von Gerechtigkeit und Milde
untersucht werden.
- Lehrende/r: Sigrid Mathia-Noreikat