Der Roman gehört im 19. Jahrhundert zur dominant literarischen Gattung. Er erfasst und analysiert die Gesellschaft des nachrevolutionären bürgerlichen Zeitalters in Konkurrenz zur Geschichtsschreibung und im Bezug zu sittengeschichtlichen Zeichnungen und Karikaturen. Er eröffnet damit neue Erfahrungs- und Wirklichkeitsbereiche, die in keinem anderen Medium zur Darstellung kommen und somit neue Perspektiven auf die Lebenswirklichkeit werfen. Das Publikum, v.a. auch die weibliche Leserschaft, erweitert sich: Durch den Feuilletonroman, den der Zeitungsspekulant Émile de Girardin im Abdruck einzelner Episoden in der Tagespresse erfindet, erscheinen einzelne Romane von Honoré de Balzac, von Eugène Sue, von Gustave Flaubert als Fortsetzungsromane. Romanpublikationen erzeugen Skandale: Sowohl die journalistische Kritik als auch die gerichtliche Zensur belangen einzelne Werke und Autoren, die gesellschaftliche Normen im Bereich der Moral oder der Religion verletzen. Zu den großen Vertretern der Gattung gehören im 19. Jahrhundert u.a. Balzac – der im Avant-propos (1842) der Comédie humaine sein monumentales Projekt der miteinander in Personen und Geschehen verbundenen Romane vorstellt –, Stendhal, Flaubert, Eugène Sue, Émile Zola und Jules Verne.

Nach einer kurzen Einführung in die poetologische Debatte über den Roman gibt die Vorlesung zunächst einen knappen Überblick über die Romanproduktion im 19. Jahrhundert. Der Schwerpunkt liegt dann auf dem Werk Gustave Flauberts: Madame Bovary. Moeurs de province (1857), der Education sentimentale (1845; 1869) und Salammbô (1862). Die Romanproduktion Flauberts besticht in der analytischen Erfassung von Wirklichkeit, in der Erfindung von revolutionären Weiblichkeitsfiguren, in der Analyse von Sprache und Klischee und durch stilistisch-formale Erfindungen, zu denen u.a. der discours indirect libre/die erlebte Rede zählt.

 

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2019