Das Thema ‚(Un-)Gleichheit‘ steht wieder auf der Agenda (nicht nur) der politischen Philosophie. Dabei stehen die Grundfesten unserer moralischen und politischen Praxis auf dem Prüfstand: Warum verstehen Menschen einander überhaupt als Gleiche? Es ist doch offensichtlich, dass Menschen ganz unterschiedlich sind; die Variation menschlicher Merkmale – gleich ob in physischer, psychischer oder sonstiger Hinsicht – ist immens. Wie lässt sich angesichts dieser empirischen Platitude überhaupt Gleichheit in normativer Hinsicht behaupten?
In seinen Edinburgher Gifford Lectures aus dem Jahr 2015 verteidigt der Rechtsphilosoph Jeremy Waldron unseren moralischen Status als Gleiche, indem er auf von allen Menschen geteilte Fähigkeiten bzw. Potentiale abstellt. Konkret führt er Vernunft, Autonomie, Moral und Liebe an. Einen ganz anderen und in gewisser Weise ikonoklastischen Ansatz verfolgt Andrea Sangiovanni (2017). Er stellt den traditionellen Rekurs auf rationale Fähigkeiten und Menschenwürde als Grundlage normativer Gleichheit in Frage und beginnt stattdessen mit der Analyse (un)gerechtfertigter Ungleichbehandlung. Seine These lautet, dass es bei dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung gar nicht um bestimmte menschliche Merkmale oder Gesichtspunkte von ‚Würde‘ geht, sondern zuallererst um Schadensvermeidung, die Verhinderung von Grausamkeit. Mag der Ansatz zunächst plausibel erscheinen, so stellt sich doch die Frage nach den Grenzen dieser Strategie: Lassen sich mit dieser Herangehensweise all unsere Grund- und Menschenrechte begründen, wie Sangiovanni dies im zweiten Teil seines Buches beabsichtigt? Was impliziert dieser Ansatz für das Verhältnis zwischen Menschen und anderen Spezies? Womöglich bleiben mehr Fragen offen, als beantwortet werden. – Thomas Scanlon (2018) hingegen geht es weniger um Grundlagenprobleme, denn um die Rechtfertigung ökonomischer Ungleichheit. Er untersucht Argumente, die der Forderung nach (mehr) Gleichheit zugrunde liegen. Warum geht es (zumindest: vielen unter) uns überhaupt auch in wirtschaftlicher Hinsicht um Gleichheit? Es könnte doch völlig ausreichen, für alle ein gutes oder jedenfalls ein besseres Leben zu fordern. (Wie) Lässt sich der Anspruch überhaupt verteidigen, alle sollten ein gleiches ökonomisches Niveau erreichen? Fragen von Fairness und Verdienst, Status und Macht werden diskutiert.
In diesem Seminar werden wir ausgewählte Kapitel und Abschnitte der genannten Verfasser sowie ggf. ergänzende Texte lesen und diskutieren.
- Lehrende/r: Katja Stoppenbrink