Im Jahr 2020 ist Ostern (genauso wie viele Sonntagsmessen und kleinere Feste) für das gläubige Volk ausgefallen. Priester haben in den leeren Kirchen den korrekten Ritus zur richtigen Zeit vollzogen. Dadurch dokumentierte die Katholische Kirche, dass die Anwesenheit des Volkes in Liturgien und für die Liturgie der Kleriker (nicht für Einzelmenschen des Volkes) überflüssig ist. Daneben ist die „Volksfrömmigkeit” etwas Anderes und etwas weniger Wichtiges, weniger Termingebundenes, grundsätzlich ohne Amtsträger vollziehbares als die liturgische Praxis von Bischöfen und Priestern. Die Gegenwart und Zukunft der katholische Kirche bedarf weder des Volks noch der seiner Frömmigkeit.

In der katholischen Kirche bedient man sich zwar häufig allerdings noch nicht lange des Begriffs „Volk (Gottes)”. Das Bistum Augsburg bietet online einen „Themenschlüssel” zum Gotteslob zum Download an. Wenn man Lieder zum Thema „Volk Gottes” sucht, findet man im Index einen Verweis „siehe Kirche”. Die Problematik des Begriffes springt bei der Verwendung von „neues Volk (Gottes)” für die katholische Kirche oder die Christinnen und Christen noch deutlicher ins Auge. Immerhin verstehen sich die Jüdinnen und Juden unserer Zeit, des Mittelalters und das Israel der Zeit vor Christus als kontinuierliches „Volk Gottes”. Die katholische Kirche oder die Christinnen und Christen der Welt sind außerdem nur höchst metaphorisch und nach keinem landläufigen Begriff ein Volk. Man kann daher nicht einfach und unbefangen von der Kirche als „(neues) Volk (Gottes)” sprechen.

Im Modulhandbuch steht: „Der Begriff ‚Volk Gottes‘ vereint alle Lebens- und Rechtsstände innerhalb der römisch-katholischen Kirche und ist deshalb ein zentraler Begriff der erneuerten Ekklesiologie des II. Vatikanums. Diese ekklesiologische Konzeption weist jedem Gläubigen bestimmte Rechte und Pflichten innerhalb des ‚Leibes Christi‘ zu.” Die Begriffe „Volk Gottes” und „Leib Christi” sind dort Anführungszeichen gesetzt, um anzudeuten, dass sie nicht wörtlich genommen werden dürfen, sondern in irgendeiner Weise übertragen gemeint sind. Der Begriff des „Volkes” ist in den Texten der Liturgie, neueren Kirchenliedern, kirchlichen Verlautbarungen usw. verbreitet. In der Vorlesung werden von diesem Begriff ausgehend Materialien zur Problematik dieses Begriffs und der damit verbundenen Fragen nach Liturgie und Macht (wie z.B. die bischöfliche Liturgie zur Degradierung von Klerikern oder die Anordnung der Menschen in kirchlicher Architektur), nach Liturgie und Gemeinschaft, oder nach Parallelen und Nicht-Parallelen zur jüdischen Liturgie diskutiert.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2024/25