Am Freitag, den 29.11., und Samstag, den 30.11.2019, findet am Germanistischen Seminar der WWU Münster ein Workshop zur Dispositivtheorie des Computerspiels statt. Alle Interessenten sind herzlich eingeladen, eine Anmeldung ist nicht nötig. Der Workshop wird von der Universitätsgesellschaft Münster e.V. finanziert.
Kontakt: christopher.lukman@wwu.de
„Die Kontrollgesellschaften sind dabei, die Disziplinargesellschaften abzulösen“, schreibt Gilles Deleuze bereits im Jahr 1990 (dt. 1993: 255), noch bevor der Whistleblower Edward Snowden NSA-Akten zur weltweiten automatisierten Überwachung veröffentlichte und die Algorithmen der sozialen Netzwerke neue Formen des personalisierten Marketings erfanden. Digitale Netz- und Speichermedien stehen heutzutage grundsätzlich in Verdacht, Instrumente der Überwachung und Kontrolle zu sein. Digitalen Spielen kommt in diesem Kontext eine Schlüsselrolle zu, weil sie mittels ästhetischer Erfahrungen veranschaulichen, was es heißt, Subjekt bzw. Objekt von Kontrolle zu sein. Jedes Computerspiel macht den Spieler zu einem Teil seines informationstechnologischen Systems, sodass sich dessen Handlungen nur in prädisponierten Algorithmen abspielen können. Ein Computerspiel zu spielen, bedeutet deshalb ein Datensystem nachzuvollziehen und aus dessen Input-Output-Schleifen eine Gewinnstrategie zu entwerfen. Nach dem Medienphilosophen Alexander Galloway besteht das Spielen des Strategiespiels Civilization III (US 2001, Fireaxis Games) nicht etwa in der Simulation von historischen Situationen, sondern in der Interpretation von Algorithmen:
„The game is […] learning, internalizing, and becoming intimate with a massive multipart, global algorithm. To play the game means to play the code of the game. To win means to know the system. And thus to interpret a game means to interpret its algorithm“ (Galloway 2006: 91).
Laut Galloway stellen alle Computerspiele Allegorien der Kontrolle dar, weil sie dem Spieler jene informationelle Codes beibringen, durch welche die Kontrollgesellschaft funktioniert. Demnach muss auch der Spieler zuallererst als ein ‚Operator‘ (Galloway 2006b) angesehen werden: ein Anwender einer Software, die ihn gleichzeitig kontrolliert, anleitet und ermächtigt. In den Algorithmen liegt somit eine politische Ideologie, die im Spielmaterial sichtbar wird.
Anhand von Computerspielen lässt sich deshalb skizzieren, was Deleuze im Sinn hat, wenn er schreibt, dass „man in den Kontrollgesellschaften nie mit irgendetwas fertig wird: Unternehmen, Weiterbildung und Dienstleistung sind metastabile und koexistierende Zustände ein und derselben Modulation“ (Deleuze 1993: 257). Auch Computerspiele sind seit ihrer Entstehung dieser ‚Modulation‘ unterworfen: Wirtschaftssimulationen machen ökonomische Prinzipien spielbar, Strategiespiele ahmen militärische Strukturen nach und auch Rätselspiele trainieren das Spielsubjekt in rationalen Logiken. Noch allgemeiner gesagt, geht es in fast jedem Computerspiel um das Managen von Ressourcen, Leistungsoptimierung und Wettbewerbsfähigkeit. Wer die Algorithmen des Spiels erlernt, beweist nicht nur, ein guter Spieler zu sein, sondern ebenfalls sich typisch neoliberale Tugenden angeeignet zu haben. Die koexistierenden Zustände des neoliberalen Subjekts drängen in die vermeintlich private und schöpferische Sphäre des Spiels: ‚Ludocapitalism‘ nennen die US-amerikanischen Historiker Nick Dyer-Witherford und Greig de Peuter (2009) ein solches Regime, um die mannigfaltigen, inneren Wahlverwandtschaften zwischen dem Ludischen und dem Kapitalistischen zu beschreiben. Im Kontext der deutschen Medienwissenschaft werden die eben skizzierten Überlegungen anschlussfähig für die Theorie der Mediendispositive, die noch nicht abschließend für die Medienapparate des Computerspiels ausgearbeitet wurde. Als Kopplungen von Wissen und Macht determinieren Dispositive Form, Praxis und Zirkulation von Medienprodukten, sie beschwören Hegemonien und Subjektivitäten herauf und antworten auf spezifische ‚Notstände‘.
Wie lässt sich also von Computerspielen als Kontrolldispositiven sprechen? Welche Hegemonien und Subjektbegriffe sind in Computerspielen nachweisbar; auf welche realpolitischen Notstände vermag es zu antworten und wie lässt es sich in die bereits existierende Forschung zur Kontrollgesellschaft eingliedern?
Dabei sollen gleichzeitig Fragen mitverhandelt werden, die die Medialität und Epistemologie des Computerspiels betreffen. Sind die Kontrollpraktiken des Spiels nur vor dem Hintergrund seiner Digitalisierung zu denken? Wie sehr sind auch nicht-digitale Spiele bereits mit Machtdiskursen behaftet? In welchen Fällen lässt sich die Sphäre des Spiels sinnvoll von der Sphäre der Arbeit trennen? Und letztlich: In welchem Rahmen ist das Kritische, das Dissidente und Utopische für Medien der Kontrollgesellschaft denkbar?
Ablaufplan:
Alle Vorträge sind 30 Minuten lang, hinzu kommen 15 Minuten Diskussionszeit.
Freitag, der 29.11.2019, im Seminarsaal der Germanistischen Bibliothek
Panel I: Für eine Dispositivtheorie des Computerspiels
14:00 – 14:45 Uhr Christopher Lukman (Münster): Jenseits der Kontrolle? Hegemoniales und Minoritäres im Computerspiel
14:45 – 15:30 Uhr Dr. Tanja Gnosa (Koblenz): (Medien-)Dispositiv. Einleitende Bemerkungen zu einem schillernden Begriff
– 30-minütige Pause –
Panel II: Wissensordnungen des Spiels
16:00 – 16:45 Uhr Prof. Dr. Jan Distelmeyer (Potsdam): Programmatisches Spielen. Für eine Kritik der Computerisierung
16:45 – 17:30 Uhr PD Dr. Robert Matthias Erdbeer (Münster): Modellkontrolle. Aspekte ludischer Deutung
– 30-minütige Pause –
Panel III: Technologien des Spiels
18:00 – 18:45 Uhr Dr. Martin Hennig (Passau): Watch Dogs und die Heterotopie der Überwachung. Motive, Strukturen und Funktionen überwachter Welten in digitalen Spielen
18:45 – 19:30 Uhr Dr. des. Léa Perraudin (Weimar): Technologien der Playfulness
– gemeinsames Abendessen –
Samstag, der 30.11.2019, im Vom-Stein-Haus 116
Panel IV: Über Kontingenz und Zukunft
9:30 – 10:15 Uhr Dr. Serjoscha Wiemer (Paderborn): Unvorhersehbar(?): Zum Konzept des Spiels als Medium geregelter Kontingenz
10:15 – 10:45 Uhr Prof. Dr. Rolf F. Nohr (Braunschweig): ‚Planung auf die Zukunft‘. Steuerungs- und Kontrollphantasien im Planspiel der 1970er Jahre
– 30-minütige Pause –
Panel V: Zur Epistemologie ludischer Dispositive
11:15 – 12:00 Uhr Dr. Felix Raczkowski (Bayreuth): Mit der Bürokratie spielt man nicht. Über Metaphern und ihre Grenzen
12:00 – 12:45 Uhr Dr. Anne Dippel (Jena) / Prof. Dr. Sonia Fizek (Stuttgart): Out of Control: Digital Games as Surrounding Media
Literaturverweise:
Deleuze, Gilles (1993): Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. In: Gilles Deleuze: Unterhandlungen. 1972 - 1990. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 254–262.
Dyer-Witheford, Nick; Peuter, Greig de (2009): Games of empire. Global capitalism and video games. Minneapolis, Minn.: University of Minnesota Press (Electronic mediations, v. 29).
Galloway, Alexander R. (2006): Allegories of Control. In: Alexander R. Galloway: Gaming. Essays on algorithmic culture. Minneapolis: University of Minnesota Press (Electronic mediations, 18), S. 85–106.
Galloway, Alexander R. (2006b): Gamic Action, Four Moments. In: Alexander R. Galloway (Hg.): Gaming. Essays on algorithmic culture. Minneapolis: University of Minnesota Press (Electronic mediations, 18), S. 1–38.