Kharkov State University, Ukraine
and
University of Kaiserslautern, Germany
Wieder fahre ich mit Dir in der gleichen Straßenbahn. Auch heute. Gestern. Jeden Tag. Diese halbe Stunde. Sie gibt mir Leben und Ertragen für die restlichen 23 1/2 Stunden des Tages. Dein beharrlicher und kecker Blick. Dein scheinbar wichtiges Geschwätz mit der Bekannten. Irgendwas willst Du beweisen. Du sprichst fast immer allein. Auch mit jedem Kopfnicken, jedem Bewegen Deiner schwarzen tiefen Augen: das gleiche. Ich weiß, daß Du mich spürst, daß wir uns wahrnehmen. Ohne gemeinsame Sprache. Ohne gemeinsame Kultur. Wir wissen einfach, daß wir beieinander sind. Diese halben Stunden. Du trägst Deine Hakennase mit Stolz. Wenn ich schaue, wendest Du Dich ab, aber nicht ganz. Läßt Deinen Blick über die anderen schweifen. Und von neuem erwartest Du und forderst meinen Blick heraus. Ja, ich kann mich nicht losreißen. Das gehört sich zwar nicht, das weiß ich. Aber was soll ich tun mit meinem Streben zu Dir? Schon seit längerem habe ich mir versprochen, keine Frau mehr zu beachten, mich nicht an sie zu verausgaben. Wieviele leere Worte gab es schon, ja... nach allem, was mit mir gechehen ist. Mit den Frauen. Mit mir. In meinem Leben so viele von ihnen, so viel Verrat und Demütigungen, daß es scheint, ich sollte damit endlich aufhören. Jedoch nein, immer wieder von neuem schau ich mit Zittern hinein in diesen Abgrund - die weibliche Seele - immer neue Schläge erhaltend. Wohin wird das alles führen? Ich weiß es nicht. Aber ich ahne es. Genau wieder so. Wieder zu einem Fiasko? Kann sein. Das würde ich nicht wollen. Die Hoffnung, wie ein ewiger grüner Baum, wächst zum wiederholten mal heraus aus den abgebrannten Resten der vorausgegangen Lieben, als ob es diese nie gegeben hätte.
Ich fühle, daß Du einsam bist. Wie ich. Ja, Du hast einen Sohn. Du hast eine Deine Arbeit gern, wenn auch nicht zu sehr. Viele Freunde. Nur Frauen. Vielleicht einen Liebhaber. Aber keinen großen und bedeutenden. Den gibt es nicht. Alles liegt in der Vergangenheit... lediglich Bruchstücke sind noch da. Diese unerfüllbaren, immer wiederkehrenden Ver-sprechungen, die wir so hassen. Und dieseble dumpfe Erwartung, die wir bis zum Kniezittern spüren. Warten auf was? Oder auf wen? Wir beide wissen die Antwort. Wenn sich unbemerkt von den anderen unsere Blicke berühren. Wenn ich an der Haltestelle den Zigarettenrauch, der in Deiner Brust war, einatme. Oh, wie ich ihn beneide!
Jeden Tage versuche ich, mit dir zu sprechen, versuche ich, irgendeinen Vorwand zu finden. Und so auch heute. Fast hätte ich Dich gegrüßt. Du kamst zur Haltestelle speziell auf meine Seite. Da sah ich, Du hattest die Wahl. Ich bemerkte, Du wartest auch. So wie ich. Aber im letzten Moment diese unmenschliche Anstrengung - von neuem und zum wievelten mal - tun wir so als blieben wir uns fremd. Welcher Unsinn!
Das war's. Die Straßenbahn erreicht das Zentrum. Meine Haltestelle. Ich gehe einen halben Meter an Dir vorbei. Deine Anspannung fühlend in diesem Augenblick. Und auch ich bin angespanntbis zum Verrücktwerden. Wir verabschieden uns mit Blicken. Unbemerkt von den anderen. Hoffend auf unser Morgen. Geduldig. Wissend, daß sich alles wiederholt. Unser unsichtbares Berührungsspiel. Unsere endlose halbe Stunde.
Aber nein. Du hast Dich geirrt. Sie wird sich nicht mehr wiederholen. Unser gemeinsamer Augenblick - der letzte. Morgen fliege ich ab in ein anderes Land, in eine andere Welt - zu anderen Frauen. Damit ich Dich lieben kann - in ihnen...
Überzetzung: W+E. von Oertzen
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