Einführungen in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts | ||
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RENTENVERSICHERUNG
(ml) Eine Rentenversicherung gewährt bei Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Alter und Tod aufgrund von im Erwerbsleben eingezahlten Beiträgen laufende Geldleistungen. Die gesetzliche Rentenversicherung organisiert auf diese Weise kollektiv den intertemporären Einkommenstransfer aus "guten Zeiten" auf "schlechte Zeiten" und verringert auf diese Weise sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft als ganzes die Unsicherheit bezüglich des Lebensstandards insbesondere im Alter.
In Deutschland und in den meisten anderen Ländern mit gesetzlicher Rentenversicherung wird dieser Transfer nicht auf individueller Ebene (Sparen), sondern im Rahmen eines Generationenvertrages im Umlageverfahren organisiert. Dies bedeutet, dass die jeweils laufenden Beiträge der heute aktiven Generation unmittelbar zur Finanzierung der Zahlungen an heutige Leistungsempfänger (die in ihrer aktiven Zeit die damaligen Leistungen durch ihre Beiträge finanziert haben) verwendet werden, der Kapitalbestand des Systems also zu jedem Zeitpunkt annähernd 0 ist.1 Verändert sich das Zahlenverhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern (z.B. durch langfristig absinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartung), so kommt es zu einem versicherungsinternen Finanzierungsproblem, wenn sich das Niveau der Renten der realen Einkommensentwicklung entsprechend entwickeln soll.
Aus diesem und anderen Gründen sind seit den 1980er Jahren in einigen Ländern Alterssicherungssysteme eingeführt worden, die nicht nach dem Umlage-, sondern nach dem Kapitaldeckungsverfahren funktionieren. In diesen "Zwangssparsystemen" (Modellfall: Chile) werden die Beiträge auf Konten bei staatlichen oder staatlich kontrollierten Fondsgesellschaften ein- und bei Erreichen des Rentenalters ausgezahlt (dies kann in Raten oder auf einmal geschehen, womit dann eine Lebensversicherung eingekauft werden kann, die lebenslange Rentenzahlungen garantiert).
Das Problem des Umstiegs vom Umlage- auf das Einlageverfahren ist die finanzielle Lücke, die dadurch entsteht, dass das Umlageverfahren keine Beiträge mehr erhält aber noch mindestens 30 Jahre lang an Leistungsberechtigte Zahlungen zu leisten hat, die in der Regel der Staatshaushalt tragen muss, was zu höherer Steuerbelastung und/oder Verschuldung führt. Da diese Übergangsphase bisher in keinem Land beendet wurde, kann nicht gesagt werden, ob das Kapitaldeckungsverfahren (das von der Entwicklung der Zinsniveaus im Vergleich zur Inflationsrate abhängig ist) tatsächlich das Problem alternder Bevölkerungen lösen kann.
In vielen Ländern (z.B. Niederlande, Schweden) gibt es Mischsysteme verschiedenster Art, die das Umlageverfahren mit einem unterschiedlich stark ausgeprägten, freiwilligen oder verpflichtenden Zusatzsparmodell verbinden.
Eine weitere Komponente der meisten Rentenversicherungssysteme als Sozialversicherungen ist die Gewährung einer Mindestrente für diejenigen, deren Beitragszahlungen nicht zum Empfang einer überlebenssichernden Rente berechtigen.
Literatur: u.a. Stefan Homburg: Theorie der Alterssicherung (Berlin u.a.: Springer 1988; Studies in Contemporary Economics).
1 Einige Rentenversicherungsträger verwenden allerdings ein abgewandeltes so genanntes kapitalisiertes Umlageverfahren. Zudem verpflichten vielmals gesetzliche Regelungen dazu, die Rentenzahlungen für einen bestimmten Zeitraum im voraus dauerhaft zur Absicherung der Rentenzahlungen vorzuhalten, was einen gewissen, allerdings im Vergleich zum Kapitaldeckungsverfahren niedrigen Kapitalstock impliziert.
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