MARITA BLATTMANN, Wahlen und Schrifteinsatz in Bergamo im 13. Jahrhundert, in: Kommunales Schriftgut in Oberitalien. Formen, Funktionen, Überlieferung, hg. v. Hagen Keller und Thomas Behrmann (Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 68) München 1995, S. 217-264.




Obwohl die Besetzung fast aller Ämter durch Wahl ein konstitutives Element der italienischen Kommunen darstellt, lassen sich Wahlvorgänge und -schriftstücke im einzelnen nur schwer erfassen. Durch Zusammenschau verschiedener Bergamasker Statutenbücher des 13. Jahrhunderts und zweier zufällig erhaltener Wahlprotokolle können jedoch die Abläufe bei einer Wahl per sortem - in Bergamo wie in den oberitalienischen Kommunen generell seit den 1230er Jahren der häufigste Verfahrenstyp - rekonstruiert werden. Schon der eigentliche, oft mehrstufige Wahlvorgang selbst erforderte erhebliche Schreibarbeit für Lose, Wahlmänner-, Abstimmungs- und Ergebnislisten. Der Aufwand potenzierte sich, als popolare Forderungen wie Ausweitung des Wahlrechts auf neue Schichten, strenger Gruppenproporz der Repräsentanten, Vakanzen zwischen der Übernahme zweier Ämter oder Funktionen umgesetzt wurden. Ihre Einhaltung konnte nur durch umständliche, schriftlich dokumentierte Wahlprüfungen kontrolliert werden. Die Wahlprüfer wiederum benötigten Matrikeln, Wählerverzeichnisse, Listen der wegen kürzlicher Amtsausübung 'Gesperrten' und der dauerhaft ihres Wahlrechts Verlustigen. Zwar hätten manche Daten auch über andere Verzeichnisse ermittelt werden können - vom Wahlrecht Suspendierte beispielsweise aus den kommunalen Bannbüchern, die letztjährigen Elektoren aus den damaligen Wahlprotokollen -, man ging jedoch um die Jahrhundertmitte mehr und mehr dazu über, hieraus Spezialauszüge nur zur Konsultation im Zusammenhang mit den Wahlen herzustellen. Es kostete nicht geringe Mühe, diese miteinander korrespondierende, durch Todesfälle, Umzüge, Verurteilungen oder einfach Ablauf von Sperrfristen ständig fluktuierende Datenfülle auf aktuellem Stand zu halten, zumal einzelne Zünfte und societates für ihren Bereich wiederum eigene Teilverzeichnisse führten. Gerade im Blick auf kleinere Gemeinschaften, die den Wahlmodus der Kommune kopierten, entsteht der Eindruck, daß der Schriftaufwand das Zweckmäßige weit überstieg.

Eine Analyse der Wahlergebnisse zeigt, daß trotz der aufwendigen Wahlverfahren nicht, wie angestrebt, die für die Gemeinschaft, sondern die für den einzelnen Wähler 'Nützlichsten' das Rennen machten: erwartungsgemäß wurden bei einfacher Nomination Verwandte, bei Mehrheitsentscheid in ausgelosten Elektorengremien Honoratioren gekürt.