Hagen Keller - Jörg W. Busch (Hgg.), Statutencodices des 13. Jahrhunderts als Zeugen pragmatischer Schriftlichkeit. Die Handschriften von Como, Lodi, Novara, Pavia und Voghera (Münstersche Mittelalter-Schriften 64) München 1991, 214 S. [Wilhelm Fink Verlag]


I. Inhalt
II. Rezensionen
I. Inhalt

Hagen Keller, Vorwort, S. VII.

Prefazione (versione italiana), S. IX.

Jörg W. Busch, Einleitung: Schriftkultur und Recht am Beispiel der Statutencodices, S. 1-14.

Thomas Scharff, Zur Sicherung von Verträgen in Eiden kommunaler Amtszträger und in Statuten (ca. 1150-1250), S. 15-24.

Jörg W. Busch, Die Lodeser Statutenfragmente des 13. Jahrhnderts. Zur Entwicklung kommunaler Rechtsaufzeichnungen, S. 25-37.

Michael Drewniok - Barbara Sasse Tateo, Die Novareser Kommunalstatuten 1276-1291. Die Entstehung und Bearbeitung einer Sammlung städtischer Rechtssetzungen, S. 39-71.

Reinhold Schneider, Die Genese eines Statutenbuches. Die Konsularstatuten von Como. (1281), S. 73-97.

Claudia Becker, Statutenkodifizierung und Parteikämpfe in Como. Das 'Volumen medium' von 1292., S. 99-127.

Jörg W. Busch in Zusammenarbeit mit Claudia Becker und Reinhold Schneider, Die Comasker Statutengesetzgebung im 13. Jahrhundert. Zur Frage nach den Redaktionen vor 1278/81, S. 129-141.

Peter Lütke Westhues, Besteuerung als Gegenstand statutarischer Rechtssetzung. Die Steuerstatuten Pavias (1270) und Vogheras (1275/1282), S. 143-166.

Hagen Keller in Zusammenarbeit mit Reinhold Schneider, Rechtsgewohnheit, Satzungsrecht und Kodifikation in der Kommune Mailand vor der Errichtung der Signorie, S. 167-191.

Zusammenfassungen der Einzelbeiträge, S. 193-198.

Riassunti die contributi (versione italiana), S. 199-204.

Abbildungsverzeichnis, S. 205-206.

Register:

Zitierte Handschriften und Urkundenbestände
Personen und Familien
Sachen.


II. Rezensionen:

François Menant, in: Francia 20.1 (1993) S. 299-300.

Gerhard Dilcher, in: Ius Commune 21 (1994) S. 411-412.

Christian Heitzmann, in: Medioevo latino 15 (1994) S. 1351 Nr. 8490.


Münstersche Mittelalter-Schriften


Zusammenfassungen


Jörg W. Busch, Einleitung: Schriftkultur und Recht am Beispiel der Statutencodices (S. 1-14)

Das Leben der oberitalienischen Kommunen des 13. Jahrhunderts ist durch das Bemühen gekennzeichnet, ihre innere Ordnung durch Gesetzgebung und vermehrten, ja obligatorischen Gebrauch der Schrift in Gericht und Verwaltung zu gestalten. Diese neuartige Tendenz dokumentieren die Sammlungen der "statuta" zum einen dadurch, daß sie in ihren Texten für Verwaltung beziehungsweise Gericht notwendiges Schriftgut nennen. Zum anderen sind die Codices selbst materielle Zeugen für den neuartigen Stellenwert der Schriftform. Denn die Handschriften der Statutensammlungen belegen den Willen, mit Hilfe der Schrift Rechtsnormen zu fixieren, zu präzisieren, dauerhaft festzuhalten und übersichtlich zu ordnen, um Rechtsgewißheit zu schaffen und durch kontinuierliche und neutrale Wahrung des Rechts den inneren Frieden zu sichern. Die untersuchten Statutencodices aus dem Umkreis Mailands stellen in dieser Entwicklung der Kommune bereits eine zweite Stufe dar: nämlich die Fixierung von Verfassung und Recht in einem 'geltenden Gesetzbuch'. Dieser Typus war das Ergebnis einer äußeren und inneren Entwicklung. Vom späteren 12. Jahrhundert her waren "statuta" zunächst Einzelschriftstücke, die neues Recht schufen beziehungsweise eine geltende Gewohnheit präzisierten. Das rasche Anwachsen der Bestimmungen zur Amtsführung der kommunalen Amtsträger, die auf Zeit gewählt wurden, führte bereits früh im 13. Jahrhundert über die bloße Sammlung in chronologischer Form zur rudimentären Ordnung der Statuten. Wenngleich die gewonnenen Ergebnisse zweifellos nicht für das ganze 'kommunale Italien' verallgemeinert werden dürfen, zeichnet sich - in schematisierter Wiedergabe - für den Untersuchungsbereich folgende Entwicklung ab: Die Niederschrift in einem Buch setzte sich wohl seit 1210/20 durch. Die frühesten Bemühungen, die Statuten in einem Buch nach ihren Sachbetreffen zu gruppieren, finden sich um 1225. Die Art, wie das Rechtsbuch im Einzelnen organisiert wurde, unterlag aber deutlich regionalen Gewohnheiten: Bucheinteilungen, systematischere Anordnungen der einzelnen Bestimmungen, Zählen von Rubriken, Blättern oder Lagen, Verweissysteme und ähnliches finden trotz einzelner früher Ansätze erst im 14. Jahrhundert einheitliche Formen. Die Genese der Statutenbücher weist im 13. Jahrhundert jedoch deutliche Gemeinsamkeiten auf: Dem ursprünglichen Codex wurden zunächst weitere Lagen zugebunden, die das Recht enthielten, das nach seiner Fertigstellung entstand. Daneben ergänzte, korrigierte oder strich man Bestimmungen im ursprünglichen Codex. Hierbei setzte sich im Zuge des 13. Jahrhunderts durch, daß die Nachträge in den Randbereichen der Handschriften notariell beglaubigt werden mußten. Der 'Benutzungsphase' des Codex, die sich auch an entsprechenden Vermerken zur Rechts- und Verwaltungspraxis ablesen läßt, folgten eine oder mehrere Revisionen des Rechtsbestandes im gesamten Codex. Nachträge und Streichungen zu diesem Zweck erschwerten spätestens jetzt den Gebrauch des Rechtsbuches im öffentlichen Leben, so daß nach circa 15 Jahren ein neuer Codex geschrieben wurde, der das Recht erneut in übersichtlicher Form zugänglich machte. Die Dynamik der kommunalen Legislative war im 13. Jahrhundert größer als die technischen Möglichkeiten, die neuen Erlasse schriftlich zu fixieren. Deshalb blieb die Form des Statutenbuches so fließend wie ihr Inhalt, der - wie das Leben der oberitalienischen Städte selbst - ständiger Veränderung unterlag.


Thomas Scharff, Zur Sicherung von Verträgen in Eiden kommunaler Amtsträger und in städtischen Statuten (ca. 1150-1250) (S. 15-24).

In den Verträgen, welche italienische Kommunen seit der Mitte des 12. Jahrhunderts untereinander geschlossen haben, finden sich regelmäßig Klauseln, die den Bestand des Vertrages über die Wechsel der städtischen Amtsträger hinweg sicherstellen wollen. Mit Hilfe dieser Bestimmungen läßt sich der Übergang von Amtseiden auf städtische Statuten in oberitalienischen Kommunen illustrieren und zeitlich eingrenzen. In den Verträgen wird häufig festgesetzt, daß Bestimmungen über ihre Einhaltung oder gar die Verträge selbst in Eidbreven oder in Statuten eingetragen werden sollen. Die Untersuchung von Verträgen aus vier unterschiedlichen Städten (Mailand, Vercelli, Genua, Piacenza) im Zeitraum zwischen etwa 1150 und 1250 zeigt in den Sicherungsklauseln gleiche Entwicklungen und Tendenzen. Bis zur Jahrhundertwende wurden die Vereinbarungen immer in Eidbreven eingetragen. Von diesem Zeitpunkt an treten auch andere Bezeichnungen für die Schriftstücke auf. "Statuta" werden in diesem Zusammenhang zuerst 1198 erwähnt (Brescia). Nach einer Übergangsphase wird seit den 1220er Jahren fast ausschließlich die Eintragung in die Statuten oder genauer in das Statutenbuch verlangt; Eidbreven finden hingegen kaum noch Erwähnung. Die Untersuchung zeigt außerdem regionale Differenzen in der Terminologie, die aber für die Entwicklung nicht ins Gewicht fallen.


Jörg W. Busch, Die Lodeser Statutenfragmente des 13. Jahrhunderts. Zur Entwicklung kommunaler Rechtsaufzeichnungen (S. 25-37)

Lodi besitzt heute noch zwei Fragmente von Statutensammlungen des 13. Jahrhunderts. Ihr Vergleich läßt einige Tendenzen erkennen, denen die Aufzeichnung normativer Texte in einer lombardischen Kommune dieser Zeit unterlagen. Denn die Hs. 1 entstand nach dem März 1233, die Hs. 2 nach dem 4. Februar 1277. Gemeinsam ist beiden, daß die "lex municipalis" in Büchern nach Sachgebieten unterteilt war, wobei die Hs. 1 ein insgesamt frühes Beispiel für diese Großgliederung bietet. Die Rubriken der Hs. 1 stehen in freien Zeilen, in der Hs. 2 sind sie hingegen in den Text fortlaufend eingefügt. Dadurch ergab sich in der Hs. 2 eine Betonung des Schriftblockes und eine bessere Ausnutzung des Raumes, mit dem in der frühen Hs. 1 noch großzügiger umgegangen wurde. Zugleich sind die rubrizierten Sachverhalte in der Hs. 2 enger als in der Hs. 1 gefaßt, weil in der Entwicklung von der Hs. 1 zur Hs. 2 die Rechtsmaterie im Sinn einer ordnenden Durchdringung stärker aufgegliedert wurde. Die relativ frühe Hs. 1 veranschaulicht die statutarische Gesetzgebung im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts. Dabei muß der Versuch als Sonderfall gelten, die bislang mündlich tradierten Consuetudines mit dem schriftlichen Statutarrecht in einem Buch zu verbinden. Zugleich wurde das in Verträgen mit anderen Kommunen vereinbarte 'Recht' der eigentlichen Statutensammlung angehängt. In den spärlichen Fragmenten der Hs. 2 ist von einer solchen Verknüpfung nichts zu erkennen. Für das Vertragsrecht lag ab 1284 ein 'Liber iurium' vor. Nach den beiden Fragmenten sind für das Lodeser Statutarrecht im 13. Jahrhundert mindestens vier Kodifikationen anzunehmen: eine erste, die den bis 1217/19 gewachsenen Grundbestand der Hs. 1 enthielt; eine zweite, nämlich die Hs. 1, in der die Erlasse der 20er Jahre angefügt worden waren; in den folgenden 30 Jahren mindestens eine dritte, die den Rechtsbestand der frühen 30er Jahre an die Hs. 2 vermittelte; und schließlich als vierte die Hs. 2, die ihrerseits kaum die letzte Kodifikation des 13. Jahrhunderts geblieben sein dürfte.


Michael Drewniok und Barbara Sasse Tateo, Die Novareser Kommunalstatuten 1276-1291. Die Entstehung und Bearbeitung einer Sammlung städtischer Rechtssetzungen (S. 39-71)

Die Novareser Kommunalstatuten bieten ein Beispiel dafür, wie sich das ordnende Sammeln, Ergänzen und Überarbeiten derartiger Rechtstexte im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts entwickelte. Sie sind dafür besonders aufschlußreich, weil die heutige Handschrift nicht das Endprodukt einer Neuredaktion darstellt, sondern die einzelnen Schritte wiedergibt, die schließlich eine solche notwendig machten.

Die Sammlung gliedert sich in vier zwischen 1276 und 1286 entstandene Teile, die bis 1291 bei Bedarf aktualisiert wurden. Der erste, 1276 entstanden, erweist sich als Produkt einer vorausgegangenen Redaktion, die den bis zu diesem Zeitpunkt gewachsenen Rechtsbestand überarbeitet und thematisch geordnet hatte; die Neufassung wurde in einheitlicher, repräsentativer Schrift niedergeschrieben. Die Bestimmungen erfuhren in den Jahren 1276 bis 1281 Änderungen und Erweiterungen durch zahlreiche Additamenta.

Auf diesen ältesten Grundstock der Handschrift folgen jene zwei letzten Drittel der heutigen Sammlung, denen eine Übergreifende Systematik und ein einheitliches Erscheinungsbild fehlen. Einen zweiten Teilkomplex bilden drei Friedensverträge von 1254 beziehungsweise 1275, die ursprünglich nicht zu den Statuten gehörten, sondern diesen 1280/81 nachträglich zugebunden wurden. Der dritte Teil, nach 1276 entstanden, besteht aus einzelnen Lagen, die eine thematische Ordnung aufweisen. Um 1280/81 wurden diese beiden Teile mit der Statutensammlung von 1276 in einem Codex vereinigt. Ein vierter und letzter Teil enthält die Erweiterungen und Bearbeitungen, welche die Statuten nach 1284 erfuhren. Die neuen Bestimmungen wurden in chronologischer Reihenfolge aufgeschrieben. Dieser vierte Teil wurde mit einigen zunächst unbeschriebenen Lagen dem Codex 1284 ebenfalls zugebunden, die 1286 für nochmalige Ergänzungen genutzt wurden.

1284 und 1287 wurde die gesamte Sammlung in ihrem bis dahin angewachsenen Bestand noch einmal überarbeitet, d.h. einzelne Bestimmungen aktualisiert und ergänzt. Letzte Einzeleinträge datieren von 1287, 1289 und 1291. Anschließend dürfte eine Neuredaktion der Novareser Statuten erfolgt sein.


Reinhold Schneider, Die Genese eines Statutenbuches. Die Konsularstatuten von Como [1281] (S. 73-97)

Der Codex der Konsularstatuten stellt für Como die älteste überlieferte normative Rechtsquelle in Form eines 'Gesetzbuches' dar. Durch die Zusammenfassung aller für Zivilprozesse notwendigen Statuten wurde in Como eine Rationalisierung auf diesem Sektor erreicht. Der Text ist thematisch so stringent geordnet, daß er nicht ohne Vorgänger entstanden sein kann. Die überwiegend datierten Statuten zeigen, daß der Grundbestand der Bestimmungen bereits in den 30er Jahren des 13. Jahrhunderts vorlag. Diese Gesetzesgrundlage wurde in großen Teilen nur geringfügig verändert und bis zum Ende des 13. Jahrhunderts tradiert. In manchen Fällen behielt man sogar die alte Ordnung der Vorgängersammlungen bei. Ausgehend von dieser Systematik wurden sowohl am Ende der 50er Jahre als auch in den ausgehenden 70er Jahren des 13. Jahrhunderts größere Überarbeitungen der Konsularstatuten vorgenommen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch von Kodifikationen des Gewohnheitsrechts begleitet waren. Die Statuten für den Zivilprozeß wurden in den 50er Jahren erstmals aus dem Gesamtbestand der kommunalen Statuten exzerpiert und später in einem eigenen Codex separat überarbeitet.

Die Termine der Neuredaktionen fallen mit Machtwechseln in der Regierung Comos zusammen; anscheinend ging jede neue Partei bei ihrem Amtsantritt ohne Verzögerung an die Revision des geltenden Rechtes. Gleiches gilt auch für die Kodifikation des Jahres 1281, die in Folge der ausführlichen Überarbeitungen ab 1278 unter der Herrschaft Bischof Johannes de Advocatis entstanden ist. Die Redaktion konnte auf dem gewachsenen stark systematisierten Rechtsbestand aufbauend in nur zwei Monaten abgeschlossen werden, wobei der alte Bestand stark erweitert und verändert wurde. Aus dem Willen zu schriftlicher Fixierung alles geltenden Rechts wurden die Consuetudines an den Statutencodex angefügt. Vermutlich wurden hier die beiden verschiedenen Formen kommunalen Rechtes erstmalig in einem Codex zusammengeführt. Die schriftliche Niederlegung der Consuetudines hingegen muß geraume Zeit vor 1281 geschehen sein, möglicherweise schon im zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Der Codex der Comasker Konsularstatuten von 1281 stellt insgesamt den vorläufigen Endpunkt einer mehrstufigen Entwicklung hin zu einem Gebrauchsinstrument für den Zivilprozeß dar.


Claudia Becker, Statutenkodifizierung und Parteikämpfe in Como. Das 'Volumen medium' von 1292 (S. 99-127)

Die älteren Kommunalstatuten von Como, fragmentarisch überliefert im 'Volumen medium', entstanden nicht unter dem Podestà Ubertino Visconti, wie man bislang angenommen hat. Nach den jüngsten erhaltenen Statuten wurde die Sammlung bereits 1292 unter den ghibellinischen Rusconi begonnen und nach dem Regierungswechsel im Juli des Jahres von den guelfischen Vitani fortgesetzt. Ob der Codex jemals vollendet wurde, bleibt fraglich, da die Vitani nur sechs Monate an der Macht waren und ihre Statuten nicht rubriziert sind. Allerdings dokumentieren zahlreiche Randvermerke die Benutzung des 'Volumen medium' durch den Podestà und seine Richter.

Die Statuten wurden vom unbekannten Schreiber des Codex von 1292 in mehrere "tituli seu libri" eingeteilt. Die Gliederung knüpft unmittelbar an eine ältere Kompilation der späten 70er Jahre des 13. Jahrhunderts an. Im Zuge dieser Redaktion wiederum hatten die Bearbeiter neue Verfügungen an bereits vorhandene Blöcke mit Bestimmungen aus der Zeit von 1184 bis 1231 angefügt. Noch im 'Volumen medium' ist dieses Vorgehen an der Ordnung der Statuten innerhalb der "tituli" zu erkennen, die jeweils in einen älteren und einen jüngeren Block zerfallen. Die Ordnung aus den frühen 30er Jahren ist also in den folgenden Jahrzehnten grundsätzlich beibehalten und nur ergänzt worden.

Anhand der Daten lassen sich für verschiedene Jahre umfangreiche Überarbeitungen des jeweils vorhandenen Statutenmaterials nachweisen, die sich zumeist mit Regierungswechseln in Como decken. Dabei entfernten die neuen Machthaber zuerst alle für sie ungünstigen Statuten und erließen neue Bestimmungen in ihrem Sinn. Nur ein Grundbestand ohne parteiliche Tendenz blieb seit 1184 erhalten. Wie sehr die Statutensammlungen des 13. Jahrhunderts in Como durch Parteistatuten geprägt waren, dokumentieren die Abschriften solcher Statuten der guelfischen Torriani vom Ende der 50er und der ghibellinischen Rusconi aus den späten 70er Jahren. Die Redaktion von 1292 zeigt das Zusammentreffen einer Statutenkodifizierung mit einem Regierungswechsel und damit exemplarisch den Umgang der neuen Machthaber mit den Statuten ihrer Vorgänger.


Jörg W. Busch (in Zusammenarbeit mit Claudia Becker und Reinhold Schneider), Die Comasker Statutengesetzgebung im 13. Jahrhundert. Zur Frage nach den Redaktionen vor 1278/81 (S. 129-141)

Die Comasker Codices der Konsularstatuten von 1281 und der Kommunalstatuten von 1292 weisen gegenüber vergleichbaren Sammlungen des 13. Jahrhunderts die Besonderheit auf, daß insgesamt noch mehr als zwei Drittel ihrer einzelnen Bestimmungen datiert sind. An Hand dieser Datierungen läßt sich in Como wie in sonst kaum einer oberitalienischen Stadt ein Jahrhundert statutarischer Gesetzgebung überblicken: Nach einzelnen Erlassen ab 1184 entstand zwischen 1196 und 1218/19 in Schüben unterschiedlicher Intensität ein erster Grundstock der geschriebenen "lex municipalis". Diese ergänzte man bis 1225 in abnehmendem Ausmaß und erweiterte sie um 1230 noch einmal beträchtlich. Zunächst in Einzelniederschriften gesammelt, dürfte um 1210 ein erster, chronologisch geordneter Codex entstanden sein. Dieser genügte nach dem Höhepunkt der Legislative 1218/19 nicht mehr, sondern wurde durch einen systematisch geordneten Codex abgelöst. Spätestens 1231/32 - nach einem erneuten Höhepunkt der Satzungstätigkeit - lagen die Statuten in einer Ordnung vor, die in Como die Grundlage aller weiteren Kodifikationen des 13. Jahrhunderts blieb. Die jüngeren Sammlungen ergänzten nur noch den Bestand der Statuten, wie er in den frühen 30er Jahren geordnet vorlag. Bei den Erweiterungen fügte man am Schluß der einzelnen Themenbereiche jene neuen Statuten an, die jeweils nach einem Parteiwechsel verstärkt erlassen wurden. Spätestens 1258, wohl eher schon um 1254, legte man, wie auch andernorts zu beobachten ist, für einen Teil der Statuten zusätzlich ein eigenes Buch an. In Como war es eine Sammlung der Erlasse zum Zivilprozeß, die den Bedürfnissen der Rechtspraktiker im Gericht diente. Seither weisen diese Statuten, die dem Inhalt nach weiterhin auch in den allgemeinen Comasker Kommunalstatuten enthalten waren, die Merkmale eines eigenen Überlieferungsstranges auf.


Peter Lütke Westhues, Besteuerung als Gegenstand statutarischer Rechtssetzung. Die Steuerstatuten Pavias (1270) und Vogheras (1275/1282) (S. 143-166)

Die Steuerstatuten aus Pavia (1270) und Voghera (1275/1282) sind für die Lombardei die einzigen überlieferten Zeugen dieses Typus aus dem 13. Jahrhundert. Sie verdeutlichen, daß sich für den komplizierten Vorgang der direkten Besteuerung neben Ratsbeschlüssen und den allgemeineren Kommunalstatuten eine spezielle Gattung städtischer Verfügungen für einen eng definierten Sektor ausbildete. Die Steuerstatuten Pavias ließen formal durch ihre Überlieferung als Kopie keine Bearbeitungsspuren erkennen. Sie zeigen aber einen nach Themen geordneten Kern, an den ohne thematische Zuordnung Ergänzungen angefügt wurden. Auf der Basis der in Pavia überlieferten Estimi und Fragmente kommunaler Bücher aus der Mitte des 13. Jahrhunderts kann man die Existenz derartiger Statuten in einer ersten Fassung spätestens seit 1254 annehmen. Denn erstens ist eine sich aus diesen Belegen widerspiegelnde differenzierte Verwaltung im Steuerbereich ohne entsprechende Regelungen kaum denkbar; zweitens kann man zahlreiche Statuten - besonders des geordneten Teils - inhaltlich bis in das Jahr 1254, in Einzelfällen sogar bis in das erste Drittel des 13. Jahrhunderts zurückverfolgen.

Die parallelen Bestimmungen aus Voghera zeigen durch ihre Additamenta, Interlineareinschübe und Streichungen, daß man die für 1275 fixierten Vorschriften im Jahre 1282 für einen neuen Estimo wiederverwendet hat. Im Aufbau und im Inhalt sind diese Spezialstatuten in Voghera am Paveser Modell von 1270 orientiert. Der Status Vogheras als "burgus" belegt, daß Steuerstatuten nicht nur in großen Stadtkommunen, sondern ebenso in einem >>Borgo franco<< vermutet werden können.

Die Steuerstatuten Pavias und Vogheras zeugen damit von der sich im 13. Jahrhundert differenzierenden und immer weitere Bereiche erfassenden Präzisierung der statutarischen Gesetzgebung.


Hagen Keller (in Zusammenarbeit mit Reinhold Schneider), Rechtsgewohnheit, Satzungsrecht und Kodifikation in der Kommune Mailand vor der Errichtung der Signorie (S. 167-191)

Der Beitrag benutzt die Erwähnung von Statuten in Urkunden des 13. Jahrhunderts, im 'Liber Consuetudinum Mediolani' sowie in der Storia di Milano von Bernardino Corio, um die Entwicklung zum ersten Mailänder Statutencodex - im Sinne eines allein geltenden, offiziellen Rechtsbuchs mit thematischer Ordnung - zu rekonstruieren. Eine solche Statutensammlung ist in Mailand wohl erstmals nach dem Frieden von 1225 angelegt worden; sie war 1228 vorhanden. Sie 'kodifizierte' einen seit dem 12. Jahrhundert gewachsenen Bestand an Satzungsrecht. Dessen Gestalt wird erst für das beginnende 13. Jahrhundert faßbar. Bezeugt sind vor allem mehrere Statutenblöcke, die zu einem bestimmten Zeitpunkt bzw. unter einem Podestà erlassen wurden. Brunasius Porcha, der 1215 die Kodifikation der Rechtsgewohnheiten initiierte und in seiner Amtszeit zahlreiche neue Statuten erließ, könnte auch die Kompilation der bis dahin vorliegenden "statuta" in einem dann wohl chronologisch geordneten Codex angeregt haben. Die Gestalt des statutarischen Rechts, die in Mailand für das frühe 13. Jahrhundert festzustellen ist, entspricht weitgehend den Anleitungen, die Boncompagno von Signa den "dictatores" in dem nach 1201 entstandenen Statutentraktat 'Cedrus' gibt, in dem sich noch kein Hinweis auf den Statutencodex im späteren Sinn findet. Insgesamt scheint die Verschriftlichung städtischen und ländlichen Gewohnheitsrechts - zusammen mit den in Mailand nur schwer zu fassenden Schwurbreven für das Stadtregiment - einen wesentlichen Impuls sowie eine konzeptionelle Hilfe für die ordnende Kodifizierung auch des Satzungsrechts gegeben zu haben. Wie das 'Gewohnheitsrecht' schon unmittelbar nach 1216 als eine Sammlung schriftlicher Rechtsnormen verwendet wurde, zeigen Mailänder Konsularsentenzen des 13. Jahrhunderts, in denen - meist als Parteiargumentation, aber auch zur Urteilsbegründung - einzelne Sätze aus dem 'Liber Consuetudinum Mediolani' wörtlich zitiert sind.

Die Kodifikationen der Rechtsgewohnheiten und des Satzungsrechts gehören in einen übergreifenden europäischen Entwicklungszusammenhang. Seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts beginnen sich die Konzeption von Gesetzgebung und öffentlich-staatlicher Rechtshoheit in einem zukunftweisenden Sinne zu klären, und allenthalben setzen sich neue Formen im Umgang mit dem Recht durch, von denen die Mailänder Überlieferung ebenso Zeugnis gibt wie die Geschichte der in diesem Band untersuchten Statutencodices aus Como, Lodi und Novara oder der Steuerstatuten aus Pavia und Voghera.