Erläuterungen zu Schema I (aus Kapitel 3.2)


In dieser Arbeit werden die Rechnungsbücher als Teile eines komplexen Systems beschrieben. Es ist zunächst aufzuzeigen, unter welchem Blickwinkel, mit welchen Vorannahmen eine solche Beschreibung und Einordnung geschehen soll. Man kann Buchführung - und dies ist die Regel - als ein Werkzeug betrachten, das es dem Kaufmann ermöglicht, den Erfolg oder Mißerfolg seiner Geschäfte zu errechnen, als ein Mittel, das genau und fast ausschließlich zu diesem Zweck entwickelt und eingesetzt wurde. Man kann aber auch - und dies ist die Perspektive der vorliegenden Arbeit - eine Ebene tiefer ansetzen und Buchhaltung zunächst einmal als ein schriftgestütztes System begreifen, mit dessen Hilfe eine große Menge an täglich neu eintreffender Informationen so aufzubereiten war, daß sie überschaubar und handhabbar blieb. Aus einer solchen Herangehensweise an das Thema folgt vor allem zweierlei: Erstens sind jetzt nicht nur die Haupt- und Geheimbücher, sondern verstärkt die Notiz- und Hilfsbücher in den Blick zu nehmen, und zweitens ist bei der Betrachtung der Buchungsvorgänge nicht das Übertragen von Geldbeträgen, sondern das Weitertragen von Informationen - von denen der Betrag nur ein Teil ist - in den Mittelpunkt zu stellen.

Das Schema I stellt den Versuch dar, diese Perspektive anschaulich zu machen. In der Grafik werden die unterschiedlichen Buchtypen verschiedenen 'Verarbeitungsstufen' zugeordnet, denn fast jede Einzelinformation wurde nach dem ersten schriftlichen Vermerken wiederholt zum Gegenstand von Bearbeitungen. Die Basis des Schaubildes wie der Buchhaltung bilden die Geschäftsvorgänge, also das Kaufen und Verkaufen, vor allem aber - dies ist zu betonen - das Stunden und Kassieren von Außenständen für auf Kredit veräußerte Waren. Allerdings darf man sich die Verbindung zwischen Vorgang und Rechnungsbuch nicht so unvermittelt vorstellen, wie dies zunächst den Anschein haben könnte. Neben dem Schreiben aus dem Gedächtnis oder mündlichen Mitteilungen(1) dürften Notizen und Briefe eine entscheidende Rolle beim Erstellen der ersten Buchungen gespielt haben(2). Sie schieben sich quasi wie eine Membran zwischen Warenverkehr und Rechnungsbucheintrag.

Die unterste Ebene der pyramidenartig gestuften Anordnung besteht aus drei Buchtypen: den fünf Ricordanze, den Ricordanze di balle mandate und dem Quaderno di spese di casa. In gewisser Weise nahm man damit eine erste Gliederung der Alltagsgeschäfte vor. Da Essen und Trinken Teil der Vergütung der Angestellten war - die ja zudem oft genug gemeinsam in einer Wohnung lebten -, wurden die Aufwendungen hierfür in einem gesonderten Buch, dem Quaderno di spese di casa verzeichnet. Dagegen hielt man in den Ricordanze fest, welche speicherwürdigen Informationen in den drei botteghe der Unternehmung anfielen. Tagtäglich erfolgten hier sowohl Eintragungen über Barverkäufe und über Verkäufe auf Ziel wie auch unspezifischen Vermerke über verschiedenste Geschäftsvorgänge, so daß diese Kladden regelrechte Sammelbecken für unterschiedlichste Informationstypen darstellten. Recht spezialisiert fallen dagegen die Konten in der Ricordanze di balle mandate aus. Man benutzte dieses kleine Heft dazu, die Lieferungen großer Warenmengen an oder von Korrespondenten in anderen Städten zu verzeichnen. Da hier insgesamt recht selten Einträge zu machen waren und zudem ein Teil der Informationen brieflichen Mitteilungen entnommen werden konnten, waren die Schreiber in der Lage, das Buch von vornherein nach gewissen Ordnungskriterien zu strukturieren.

Aus diesen drei Buchtypen werden nun die Einträge in den Memoriale und den Libro di entrata e uscita übertragen, d.h. abgeschrieben und nach bestimmten Kriterien sortiert. Die beiden Rechnungsbücher bilden quasi die zweite Verarbeitungsstufe; in ihnen werden fast ausschließlich Informationen vermerkt, die bereits in einem der Basisbücher eingeschrieben worden waren. Sowohl die Barverkäufe (den Ricordanze entnommen) wie auch die in bar getätigten Ausgaben für Lebensmittel (aus dem Quaderno di spese di casa) werden - die Pfeile des Schemas I deuten es an - in den Libro di entrata e uscita, also in das Kassenbuch, übertragen und dort mehr oder weniger regelmäßig summiert. Jene Teile der im Kassenbuch eingeschriebenen Barausgaben, die in Zusammenhang mit dem Verschicken größerer Warenmengen über weite Distanzen stehen, wurden zudem auch in der Ricordanze di balle mandate vermerkt. Allerdings handelte es sich hier eher um ein Abgleichen von Informationen und nicht um ein richtiges Forttragen von Einträgen. Ein Weiterbuchen aus dem Kassenbuch in ein anderes Buch des Systems im eigentlichen Sinne findet nicht statt. Nahm der Libro di entrata e uscita ausschließlich in bar abgewickelte Vorgänge auf, so werden im Memoriale jene Daten übertragen, die aus noch nicht beglichenen Rechnungen resultieren - sei es aus Geschäften mit Fernkaufleuten in anderen Städten oder aus Kleinverkäufen in den botteghe. Es handelt sich hier also fast ausschließlich um Schuldner- und Gläubigerkonten und man versuchte nun, die einzelnen Buchungen nicht mehr allein chronologisch, sondern möglichst schon personenbezogen zu verzeichnen. Dabei symbolisiert der gekrümmte Pfeil im Memoriale, daß die einzelnen Schuldner- und Gläubigerkonten, war der für sie reservierte Platz vollgeschrieben, im Memorialeselbst fortgetragen, d. h. weiter hinten im Buch, vermerkt wurden. Wurde eine im Memorialevermerkte Schuld durch Barzahlung beglichen, so war dies im Libro di entrata e uscita zu vermerken.

Die dritte Ebene besteht aus nur einem Buch, dem Libro grande oder auch Hauptbuch. Es weist ganz ähnliche Strukturen wie der Memoriale auf: Auch hier sind ausschließlich Gläubiger und Schuldner der compagnia verzeichnet, auch hier wird im Buch das Konto eines Kunden oder Geschäftspartners mehrfach vorläufig abgeschlossen und an anderer Stelle fortgesetzt. Und ebenso werden erfolgte Zahlungen in bar ins Kassenbuch übertragen. Insgesamt ist es aber übersichtlicher und klarer strukturiert.

Während die zweite und die dritte Ebene des Systems ausschließlich Informationen enthielten, die bereits in den Rechnungsbüchern der ersten Ebene eingeschrieben waren, enthält der Quaderno di ragionamento zum überwiegenden Teil wieder Informationen, die unvermittelt aus der 'realen Warenwelt' entnommen wurden. Als ein Rechnungsbuch, welches in unregelmäßigen Abständen durchgeführte Zwischensalden festhält, besteht es hauptsächlich aus dem Verzeichnis des in den botteghe vorhandenen Waren - ein separates Lager gab es nicht - sowie der Angabe des in der Kasse befindlichen Bargeldes. Auch der Kassenstand wurde also nicht - wie man vermuten könnte - aus dem Entrata e uscita-Buch entnommen, sondern ähnlich wie der Lagerbestand durch Zählen ermittelt. Lediglich bei der Gegenrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten, also von gegebenen Krediten und Schulden, greift es auf die Informationen aus den anderen Rechnungsbüchern zurück. Idealiter, d. h. vorausgesetzt, alle Konten aus dem Memoriale sind bereits abgeschlossen und ins Hauptbuch übertragen, basierten diese Rechnungen ausschließlich auf den Einträgen im Hauptbuch. Solange dies aber nicht der Fall war, mußte den Schuldnern und Gläubigern sowohl im Memoriale wie im Libro grande nachgespürt werden.

Der entscheidende Unterschied zwischen der vierten und den vorangegangenen Ebenen ist vor allem in der Einbeziehung von neuen, nicht-systemimmanenten Daten zu sehen. Während die ersten drei Stufen immer dieselben Informationen in lediglich anderer Form präsentierten, enthält der Quaderno di ragionamento nun Daten, die direkt in den botteghe erhoben wurden. Der zweite, grundlegende Unterschied besteht darin, daß ab dieser Ebene ganz andere Ziele bei der Informationserhebung verfolgt wurden: Jetzt geht es nicht mehr darum, fortlaufend eintreffende Informationen zu verarbeiten; der Quaderno di ragionamento will vielmehr lediglich eine Momentaufnahme, eben ein (Zwischen-)Saldo erstellen, dessen Übereinstimmung mit der Realität schon nach kurzer Zeit nicht mehr gegeben war. Gleiches gilt auch für das Geheimbuch: In ihm werden kurz die Ergebnisse der Saldierungen im 'Rechenbuch' zusammengefaßt. Die hier erstellten Bilanzen basieren ausschließlich auf Informationen, wie sie der Quaderno di ragionamento bereitstellt; allerdings sind diese eingebettet in insgesamt drei verschiedene vertragliche Vereinbarungen, die Francesco und Toro miteinander trafen. Teil dieser Vereinbarungen war auch die Festlegung des zu investierenden Kapitals - und insofern ergeben sich hier natürlich Berührungspunkte zwischen Bilanz und Vertrag. Die waagerechte Linie, die im Schema zwischen dem Libro grande und dem Quaderno di ragionamento eingefügt wurde, soll die Differenzen augenfällig machen, die sich strukturell zwischen den oberen beiden Stufen und den unteren drei Ebenen feststellen. Es soll hiermit zugleich dem Eindruck vorgebeugt werden, man habe schon die Notizen in der Ricordanze mit dem Ziel geschrieben, sie nachher im Geheimbuch verwerten zu können.

Selbstverständlich stellt das Schema eine Vereinfachung der tatsächlichen Vorgänge dar, denn man buchte nicht ausschließlich 'von unten nach oben', wie in der Zeichnung angegeben. So übertrug man beispielsweise die Zwischenbilanz, die man bei der Neugründung der compagnia 1371 zog, vom Quaderno di ragionamento, in dem sie erstellt wurde, in den Libro grande, weil sie dort die Basis für den conto nuovo der compagnia bildete(3). Wenn dennoch darauf verzichtet wurde, Doppelpfeile in das Schema einzufügen, so deshalb, weil hier - wie oben bereits angesprochen - nicht einzelne Geldströme dargestellt, sondern der Hauptfluß der Informationen und ihre 'Verarbeitung' veranschaulicht werden soll. So gesehen stellt die Buchhaltung der Datini/di Berto-Handelsgesellschaft ein hierarchisch aufgebautes, mehrstufiges System dar, dessen zentrale Achse - im Schema mit einer größeren Type hervorgehoben - von der Ricordanze, dem Memoriale und dem Libro grande gebildet wurde, aber sich über die dritte Ebene hinaus nur bedingt fortgesetzt wird.

1. Selbst bei diesem ersten Aufschreiben von Geschäftsdaten wird es sich jedoch nicht um eine 'Verschriftung' im Sinne Oesterreichers, Verschriftung und Verschriftlichung im Kontext medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit, in: Schriftlichkeit im frühen Mittelalter, hg. von Ursula Schaefer (ScripOralia 53) Tübingen (1993), S. 267-292, S. 269ff., d.h. um ein noch kaum konzeptionellen durch den Medienwechsel beeinflußtes Notieren, gehandelt haben. Anknüpfend an Kuchenbuch, Teilen, Aufzählen, Summieren. Zum Verfahren in ausgewählten Güter- und Einkünfteverzeichnissen des 9. Jahrhunderts, in: Ursula Schaefer (Hg.), Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (ScriptOralia 53) Tübingen (1993), S. 181-206, S. 277, ist darauf zu verweisen, daß die Informationen hier bereits den Anforderungen des Mediums Schrift im allgemeinen und der Gattung 'Rechnungsbuch' im besonderen angepaßt, in bestehende (schriftliche) Diskurstraditionen eingebettet werden und somit auch konzeptionell durch diese geprägt sind.

2. Dies war etwa der Fall, wenn der garzone mit einer bestimmten Summe auf den Markt geschickt wurde, um (Handels)waren einzukaufen, oder wenn Lieferanten größere Mengen verschiedener Güter anlieferten, für die sie bereits einen Merkzettel angefertigt hatten; vgl. Melis, Aspetti della vita economica medievale (Studi nell'archivio Datini di Prato I.), Siena (1962), S. 367.

3. Hierzu Kapitel 4.1.3.5.