Ein Leben im "Getto"
"Nature"-Studie zu fast 500 Pflanzenarten zeigt: "Phosphormangel-Spezialisten" sind besonders gefährdet
Münster (upm), 18. November 2013
Das Fleischfarbene Knabenkraut ist eine typische Orchidee phosphorlimitierter Moorwiesen und Kalkflachmoore.
An Phosphormangel angepasste Pflanzen wie die Sibirische Schwertlilie finden heute in West- und Mitteleuropa kaum noch geeignete Standorte.
Pfeifengras-Feuchtwiesen beherbergen zahlreiche an Phosphormangel angepasste Pflanzenarten: Im Bild Knollen-Kratzdistel (kaminrot), Weiden-Alant (gelb) und Arznei-Haarstrang (gelb-grün).
Damit Pflanzen gedeihen können, benötigen sie eine Reihe von Nährstoffen, beispielsweise Stickstoff, Kalium und Eisen. Auch Phosphor zählt dazu. Verschiedene Pflanzenarten sind Spezialisten für ein Wachstum auf phosphorarmen Böden. Ein internationales Forscherteam, darunter Prof. Dr. Norbert Hölzel von der Universität Münster, hat nun gezeigt, dass diese Pflanzen dafür einen hohen Preis zahlen: Sie pflanzen sich nur eingeschränkt durch Samenbildung fort und sind daher auf anderen Flächen weniger konkurrenzfähig. Die Ergebnisse der Studie sind in der aktuellen Ausgabe des angesehenen Fachmagazins "Nature" veröffentlicht.
Durch Düngung nimmt der Gehalt an Phosphorverbindungen im Boden vielerorts zu. Phosphorarme Lebensräume, beispielsweise Kalkmagerrasen, Feuchtwiesen und kalkreiche Niedermoore, werden immer seltener. Das trifft diejenigen Pflanzen hart, die an das Überleben an solchen Standorten angepasst sind. Bislang war nicht klar, weshalb diese Pflanzen solche Schwierigkeiten mit dem steigenden Phosphorgehalt haben. Das Forscherteam konnte nun erstmals zeigen, dass die betroffenen Pflanzen wenig in die sexuelle Vermehrung investieren. Das bedeutet, dass sie kürzer blühen und weniger Samen produzieren.
Wenn wenig Phosphor verfügbar ist, macht diese Anpassung Sinn, denn gerade die Fortpflanzungsorgane der Pflanzen benötigen viel von diesem Element. Auf Flächen mit höherem Phosphorgehalt, auf denen auch andere Pflanzen wachsen, wird der Vorteil jedoch zum Nachteil. Dann punkten solche Pflanzen, die möglichst viele Samen produzieren und sich auf diesem Weg auch über größere Distanzen ausbreiten können. Viele der "Phosphormangel-Spezialisten" laufen daher Gefahr, auszusterben und stehen bereits auf den internationalen Roten Listen gefährdeter Arten. Beispiele für selten gewordene Arten sind das Helm-Knabenkraut, ein auch in Deutschland vorkommendes Orchideengewächs, sowie der Lungen-Enzian und der Teufelsabbiss.
Die Forscher fordern europaweite Regelungen, um den durch Menschen verursachten Phosphoreintrag in die Böden zu begrenzen und bestehenden Flächen mit niedrigem Phosphorgehalt besser zu schützen und zu vernetzen. Die Wissenschaftler schlagen darüber hinaus Maßnamen zur Renaturierung solcher Standorte vor. "Die Phosphormangel-Spezialisten haben in unserer modernen Welt ein Handicap. Sie leben nur noch in wenigen 'Gettos'. Wir müssen ihnen helfen, da wieder herauszukommen – ohne Unterstützung haben sie keine Chance, sich aus den wenigen übrig gebliebenen Lebensräumen heraus wieder zu verbreiten", betont Norbert Hölzel, Professor am Institut für Landschaftsökologie der Universität Münster.
Erstautorin der Studie, die von Prof. Dr. Martin Wassen von der Universität Utrecht, Niederlande, geleitet wurde, ist Dr. Yuki Fujita. Die beiden haben gemeinsam mit den anderen beteiligten Wissenschaftlern insgesamt 491 Pflanzenarten auf 599 Untersuchungsflächen in neun Regionen in Europa und Sibirien analysiert.
Quellenangabe:
Y Fujiita, H Olde Venterink, PM van Bodegom, JC Douma, GW Heil, N Hölzel, E JabÅ‚oÅ„ska, W Kotowski, T Okruszko, P Pawlikowski, PC de Ruiter, MJ Wassen (2013): Low investment in sexual reproduction threatens plants adapted to phosphorus limitation. Nature; doi:10.1038/nature12733