Institut für Frühmittelalterforschung
Forschung
Licht ins "dunkle Mittelalter"
In Deutschland gilt das Institut für Frühmittelalterforschung als eine der wenigen festen Einrichtungen für interdisziplinär betriebene Mediävistik. Die "Frühmittelalterlichen Studien", das seit 1967 erscheinende Jahrbuch des Instituts, sind ein besonders angesehenes Forum der Forschungsdiskussion.
Interdisziplinärer Ansatz
Bereits 1964 wurde das Institut für Frühmittelalterforschung eingerichtet, um an der Universität Münster tätige Mediävisten verschiedener Fachrichtungen zu interdisziplinärer Forschung zusammenzuführen. Denn Erkenntnisse über die mittelalterliche Welt vermitteln nicht nur historische Quellen, sondern ebenso die lateinische und volkssprachliche Literatur, die Sprache selbst, liturgische Bücher und theologische Texte, Traktate, Bodenfunde, Bauten, Bilder, Sachdenkmäler verschiedener Art. Alle diese Zeugnisse geben Kunde von ein und demselben Lebenszusammenhang. Um sie richtig zu verstehen, bedarf es der Kompetenz und des gemeinsamen Fragens mehrerer Disziplinen.
Vielfältige Kooperationen
Als Direktoren des Instituts wirkten bisher Professoren der
Germanistik, der mittellateinischen Philologie, der Geschichte, der
Kirchengeschichte und der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie;
sie kooperieren bei ihren Forschungen mit hiesigen und auswärtigen
Vertretern der europäischen Philologien, mit Theologen, mit Kunst-,
Kirchen- und Rechtshistorikern, aber auch mit Informatikern und
Spezialisten naturwissenschaftlicher Disziplinen.
Vgl.
Liste der ehemaligen Direktoren
Auf diese Weise
initiierte das Institut bereits zahlreiche, große interdisziplinäre
Forschungsprojekte.
Anstoß von Sonderforschungsbereichen
Seit 1968 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft diese Arbeit in
Sonderforschungsbereichen kontinuierlich gefördert. In den Projekten
wurden einerseits große Quellenbestände erschlossen, zu denen die
Mittelalterforschung bis dahin keinen methodisch gerichteten Zugang
gefunden hatte, wie die reiche Bildüberlieferung der Seegermanen aus
dem 4. bis 6. Jahrhundert n. Chr., die Verbrüderungs- und
Totenbücher aus den Klöstern des 9.-12. Jahrhunderts oder die
volkssprachlichen Glossen zu den Germanenrechten des 5.-8.
Jahrhunderts. Diese
Materialerschließung
ermöglichte grundlegende
Einsichten in Struktur und Religion der germanischen Königtümer am
Rande der mittelmeerischen Hochkultur, in die Formen der
Gemeinschaftsbindung und die Wirksamkeit des Mönchtums in der
Gesellschaft des Früh- und Hochmittelalters - insbesondere der
Cluniacenser - oder in die gesellschaftliche Organisation der Franken
während und nach der Großreichsbildung. Andererseits konnten in
solchen Projekten zentrale Fragen zum Verständnis des Mittelalters
bearbeitet werden. So wurde erforscht, wie die Bedeutung, welche man
Zahlen und Fakten zuschrieb, und die Interpretation nach dem
"mehrfachen Schriftsinn" die Deutung der Welt bestimmten.
Alltagsleben und "hohe Politik"
Im Zentrum der Forschung stand auch die Bedeutung der Schrift für Lebenspraxis Lebensgestaltung vom hohen Mittelalter bis in die Frühzeit des Buchdrucks. Diesem Thema widmete sich ganz umfassend der Sonderforschungsbereich 231 "Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter".
Besondere Formen der Lebensgestaltung und des Zusammenlebens, der gewaltfreien Lösung von Konflikten wurden im Sonderforschungsbereich 496 "Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution" erfolgreich untersucht.
Das Institut hat ferner Anteil an der Erforschung
frühgeschichtlicher Probleme, so in (ehemaligen) Projekten
um
Kunsthandwerk und Handel sowie Eisen- und
Stahlerzeugung im märkischen Sauerland von ca. 800 bis 1600. Wichtige
Beiträge zur allgemeinen Forschungsdiskussion behandeln - als
längerfristig verfolgte Thematik - die Entwicklung des Königtums im
früheren Mittelalter mit Blick auf die Ordnungsvorstellungen wie auf
die Formen der Herrschaftsausübung und politischer Kommunikation.