Umerzählen

Osternacht A14: Mt 28, 1-10

              

Recht auf ein Halleluja?

In den anbrechenden Morgen des neuen Tages hinein feiern wir das Urfest unseres Glaubens. Zeit und Stunde für sich sprechen schon: Aus der Nacht ins Licht kommen, sagen sie uns. Aus dem, was ängstigt, ins Bergende. Dazu sind wir bestimmt. Darum das Halleluja – „Gepriesen sei Gott“ –, die Lichter, Blumen, das Fest. „Nun freut euch hier und überall, der Herr ist auferstanden, im Tod bracht er den Tod zu Fall und macht die Höll zu schanden“, jubelt eines der Osterlieder. Und was ist mit den Höllen, die uns tagtäglich frei Haus präsentiert werden? Höllen, Abgründe des Grauens, die über ganze Völker hereinbrechen? Höllen, die Menschen einander bereiten – skandalös und spektakulär, dass man darüber redet. Aber geradeso gut still und subtil unterm gemeinsamen Dach, wo zwei sich mit den Banalitäten des Alltags schikanieren und nichts auslassen, um sich das Leben zur Hölle zu machen. Muss all das nicht die österlichen Halleluja-Münder stopfen, sie zur bald 2000-jährigen Lüge erklären? Ganz zu schweigen, dass ohnehin noch keiner wiederkam, der ins Grab fiel.

Galgen-Humor?

Vor etlicher Zeit lief in den Kinos ein Film, der hatte den beinahe trivialen Titel „Das Leben ist schön“. Aber er spielte in der Hölle: In einem Vernichtungslager der Nazis. Eine jüdisch-italienische Familie wird noch kurz vor Ende des Krieges ins KZ deportiert. Um seinem kleinen Sohn die Angst zu nehmen und das Leben im Lager erträglicher zu machen, spielt der Vater mitten im KZ den Clown. Er erzählt seinem Kind, dass es sich bei all dem, was es da erlebt, um ein großes Spiel handelt. Und wenn man mitspiele und sich nicht zu sehr fürchte, dann könne man Punkte sammeln. Und wer ganz viele Punkte zusammenbringe, gewinne am Ende den großen Preis: einen echten Panzer. Das Brüllen der KZ-Wächter, das Verschwinden der Alten und Kinder – alles erklärt der Vater dem Kind als Bestandteil des Spiels. Noch als er selbst zur Hinrichtung geführt wird, macht er Clownsfaxen, um dem Kind seinen Glauben an das Spiel zu erhalten. Und am Ende sieht der Bub den versprochenen Gewinn: den echten Panzer. Es ist der Panzer der amerikanischen Befreier, der durchs Lagertor fährt.

Widerständige Ohnmacht

Der Film hat viele gerührt. Und schnell waren auch Deutungen zur Hand: wie der Vater aus Liebe und Barmherzigkeit gelogen habe, um seinem Kind die Hoffnung am Leben zu halten. Einige wenige haben tiefer gesehen: Sie haben verstanden, dass der Vater gar nicht gelogen hat. Sondern der Vater hat mit seiner Clownrolle eine neue Wirklichkeit geschaffen. Was er tat – erzählen, Witze reißen, Faxen machen – war von lächerlicher Ohnmächtigkeit, scheinbar nicht wert, auch nur von Ferne Widerstand gegen den menschengemachten Wahnsinn des Vernichtungslagers genannt zu werden. Und dennoch war es mehr Widerstand, als wenn er hätte eine Revolte anzetteln, einen Wärter überrumpeln, fliehen können. Er schuf stattdessen eine neue Wirklichkeit, weil er mit seinem ganz und gar auf das Kind gerichtete Tun seinem eigenen Leben und Sterben gegen seine äußerliche Wert- und Sinnlosigkeit mitten in dieser Lagerhölle einen neuen, einen unbedingten Sinn gab. Ganz daran hingegeben, seinem Kind gegen die Unmenschlichkeit um es herum das Vertrauen in die Welt zu erhalten, wächst in dem Vater eine Lebensgewissheit, die ihn noch den Gang zum Galgen nachgerade zur Komödie machen lässt, damit seinem Kind nicht das Lachen erstirbt. Im liebevollen Erhalten des kleinen Kinderlebens im Äußersten tut sich dem Mann im Innersten etwas auf, das nicht einmal das abgrundtief Böse seiner Henker zu zerstören vermag. Gerade das nicht, denn jenes Unzerstörbare ist unerreichbar für sie.

Verrückte Wirklichkeiten

Wie viele der Kinobesucher wohl verstanden haben, dass der Film eine Ostergeschichte erzählt? Nach außen die Geschichte einer barmherzigen Lüge. Nach innen ein Bilderbuch zum Osterevangelium, wie es wahrer nicht sein könnte. Sie brauchen nur an das zu denken, was Jesus getan hat: Das Reich der Himmel hat er verkündet, will sagen: dass Gott und Mensch untrennbar zusammengehören und dass der Mensch darum darauf setzen darf, dass da einer ist, der es gut meint mit ihm, dass er dem Leben trauen darf. Um das zu bekräftigen, hat er Hungernde satt, Lahme gehend, Blinde sehend gemacht, andere, die ihrer nicht mehr Herr waren, hat er aus ihrer quälenden Gefangenschaft in den eigenen Ängsten befreit und – Gipfelpunkt von allem – Sünden hat er vergeben, also das getan, was nur Gott allein kann. Als Spinnerei haben manche – selbst die eigene Familie – das zuerst abgetan. Dann haben sie ihn für gefährlich erklärt. Und warum? Weil sie merkten: Der erzählt die Wirklichkeit um. Der sagt zum Beispiel, dass Gott seine Sonne aufgehen lässt über Guten und Bösen und es regnen lässt über Gerechten und Ungerechten – was soviel heißt: Wenn du gut warst, ist Gott dir nah, und wenn du böse warst, ist er dir immer noch nah und menschlich gesprochen sogar noch mehr als zuvor, weil er dich nicht verloren geben mag. Und was dann passieren kann, steht auch schon im Evangelium, z.B. in der Geschichte vom Zachäus, der auf die völlig verrückte Zuwendung Jesu nur noch damit antworten kann, dass er in der Sprache der Geldsummen, also der Sprache, die er am besten versteht, genauso verrückt antwortet und das zu Unrecht an der Zollschranke Einbehaltene nicht eins zu eins, sondern vierfach zurück erstattet. So ist der Zachäus aus der Zwangsjacke seiner Rechenbücher ausgebrochen und hat wieder zu leben begonnen; auch schon eine Auferstehung.

Oder die andere Jesus-Verrückheit: Dass, wer einen Hungrigen gespeist, einen Gefangenen besucht, einen Fremden aufgenommen hat, dies dem Menschensohn, also im Letzten Gott selbst getan oder – wenn nicht getan – verweigert habe. Da zieht er den Himmel in die Erdenwelt so hinein, dass man beide nicht mehr auseinanderbringt. Und genau das wollte er.

So hat er alles zu verwandeln begonnen. Was aus Menschen dabei wurde, das hat ihn in dem, was er da tat, so überzeugt werden lassen, dass er auch dann nicht damit aufhörte, als man ihn dessentwegen zu beseitigen drohte. Anderen ein Leben in der Nähe Gottes aufzuschließen hat ihn so sehr gewiss gemacht, an dieser Gottesnähe unverlierbar teilzuhaben, dass er vor dem Kreuz nicht floh und noch im Sterben zu dem schreien konnte, den er himmlischen Vater nannte. Was er denen, die ihm trauten, zu Lebzeiten durch sein weltveränderndes Gotterzählen schenken konnte, das hat ihm sein Leben so bedeutsam gemacht, dass er schließlich gewiss war, dieses sein Leben werde am sinnhaftesten und ganz gültig dadurch, dass er es ganz in den Dienst der Seinen stellt. Und was heißt ganz gültig werden anderes als endgültig sein, als unwiderruflich und unzerstörbar?! Darum hat der Augenblick seiner gänzlichen Drangabe – das Kreuz – Inbild dafür werden können, dass sich mitten in dieser Welt mit ihren Dunkelheiten und ihren Höllen unbesiegbar jenes andere Bahn bricht, das alle Höllen dieser Welt nicht nur nicht vernichten, sondern nur umso stärker machen können, solange sie noch toben.

Der Schwangere am Kreuz

Künstler im Mittelalter haben das aufs Gewagteste dargestellt: Sie haben an Kruzifixen den lebensgroßen Gekreuzigten mit dem prall gewölbten Leib einer hochschwangeren Frau geschnitzt. Völlig verquer und verrückt, clownesk gemessen an dem, was sonst gilt in dieser Welt – aber sprechender als jedes Wort: dass die Hingabe zur Quelle neuen Lebens wird. Und umso mehr das eine, desto mehr das andere – gerade so wie in jenem Film dem Vater das, was er für sein Kind tut, das eigene Leben jeder Fraglichkeit enthebt, also unbedingt macht. Auch eine Auferstehung. Und woher solche Unbedingtheit, wenn nicht von dem, der allein der Unbedingte, über alles, also sogar noch den Tod Gebietende ist? Glaubende jedenfalls sehen das so.

Nichts für Zuschauer

Eines gebe ich zu: Für Zuschauer von außen ist das alles nichts. Die ganze Osterbotschaft nicht. Darum auch finden die alle, die nur zum Schauen kommen, bloß ein leeres Grab und sonst nichts. Verstehen können nur, die sich so vertrauensvoll wie das Kind im Film von der Geschichte des Vaters mitnehmen lassen von jenem Geschichtenerzähler Gottes, der sich mit dem eigenen Leben verbürgt, dass man ihm trauen darf. Und wissen, ja wissen, kann man das auch: Jeder, der selber tut, was er einst tat. Wie gesagt: Nichts für Zuschauer. Aber für Mitspieler.