Ostern im Nachspiel

3. Ostersonntag A: Joh 21,1-14 (19)

I
Eine alte Geschichte erzählt von einem Mann, der am Waldrand das Unterholz abhackte, es verkaufte und von dem bescheidenen Erlös lebte. Eines Tages kam ein Einsiedler aus dem Wald, und der Mann bat ihn um einen guten Rat für sein Leben. Der Einsiedler riet ihm: Geh tiefer in den Wald hinein! Der Mann tat es und fand dort wunderbare Bäume, die er als Bauholz verkaufte. Reich geworden, erinnerte er sich plötzlich wieder an den Rat des Einsiedlers: Geh tiefer in den Wald hinein! – Wieder tat er es, und er fand dort eine Silbergrube. Die machte ihn noch reicher. Doch wieder fiel ihm der Rat des Einsiedlers ein: Geh tiefer in den Wald hinein! Darum drang er noch tiefer in das Dunkel des Waldes vor. Dort fand er kostbare Edelsteine. Er nahm sie in die Hand, freute sich an ihrem Glanz. Und noch einmal erinnerte er sich an das Wort des Einsiedlers. Darum ging er mit den Steinen in der Hand weiter. Im Morgengrauen stand er plötzlich wieder am Waldrand. Er nahm seine Axt und hackte wieder das Unterholz ab, um es zu verkaufen.

II
Ähnliche Geschichten gibt es viele. Sie handeln von der Suche nach dem Schatz des Lebens. Und alle sagen sie: Wer diesen Schatz gewinnen will, muss aufbrechen, sich auf Unbekanntes, auf Abenteuer einlassen. Und gleichzeitig darf er nie der Täuschung verfallen, etwas, das er gefunden habe, sei schon dieser Schatz. Selbst nach einem großen, einem kostbaren Fund muss er weitergehen – und eines Tages wird er sich wieder dort finden, von wo die Schatzsuche ihren Ausgang genommen hat. Er wird tun, was er immer tat. Aber er selbst, dieser Mensch, ist ein anderer geworden. Den ganzen Wald mit seinem Geheimnis und seinen Schätzen hat er kennengelernt, trägt ihn nun gleichsam in sich. Und darum kann er einverstanden sein mit sich und dem Leben.

III
Verblüffend ähnlich erzählt das heutige Evangelium von Ostern. Geht es da vielleicht auch um den Lebensschatz? Sehen wir zu! Petrus, Thomas und die anderen Jünger Jesu sind offenbar aus Jerusalem zurückgekehrt in ihre Heimat, an den See Genesaret, wo sie Fischer waren. Sie hatten auch ein Abenteuer hinter sich, und was für eines! Hatten Haus, Hof und Beruf verlassen, waren mit diesem Jesus gezogen, der vom Gottesreich predigte, waren mit ihm am Ende in Jerusalem in Bedrängnis geraten, waren schließlich geflohen. Er selbst war umgekommen, hingerichtet als Aufrührer. Schönes Abenteuer! Jetzt standen sie wieder dort, wo sie angefangen hatten, nur unendlich ärmer als sie je vorher gewesen waren. Sie hatten am Karfreitag die Hoffnung eingebüßt, ohne die man eigentlich gar nicht leben kann: die Hoffnung, dass das Böse nicht das letzte Wort behalten, die Gerechtigkeit nicht vergeblich sein und Gott kein leeres Wort bleiben werde. – Ich gehe fischen, sagt Petrus, und man hört darin bis heute den Abgrund der Resignation mitschwingen, in den die Jünger gestürzt waren. Kein Wunder, dass ihre Arbeit in dieser Nacht auch keinen Erfolg hatte. Wie auch soll etwas gelingen, wenn ich schon mit der Überzeugung herangehe: Hat ja sowieso alles keinen Sinn!

Irgendwie erinnert mich die Stimmung, die über dieser biblischen Szene liegt, an das, was wir in unserer Kirche seit Monaten erleben: die bleierne Last einer Krise, die nicht und nicht aufhören will. Zuerst die tiefe Irritation über den römischen Umgang mit den Splittergruppen am äußersten rechten Rand, denen man bis zur Selbstverleugnung entgegen kommt. Dann der Schock über das Ausmaß des Missbrauchsskandals auch bei uns. Danach die offenkundige Hilflosigkeit, den von der Bischofskonferenz angekündigten Dialog mit den Gläubigen und der Gesellschaft in Gang zu bringen: Die gut gemeinte Initiative verpufft regelrecht, weil ein erheblicher Teil der Verantwortlichen einfach nicht akzeptieren kann, dass Dialog auch heißen könnte, dass die anderen einmal Recht haben und man selbst etwas verändern müsste. Und dann melden sich zuerst gut hundert, am Ende über 300 Theologinnen und Theologen mit einem Memorandum zu Wort, in dem sie – völlig unspektakulär – nichts anderes tun, als an Fragen zu erinnern, die seit Jahrzehnten auf der Agenda stehen, aber einfach immer und immer wieder tabuisiert und ungelöst weitergeschoben werden. Und statt diese Wortmeldung als Beitrag zu dem angekündigten Dialog aufzugreifen – selbstverständlich auch kritisch –, aber eben zuerst einmal hinzuhören und darauf einzugehen, wird den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern von etlichen Bischöfen und von strammen neokonservativen Ästhetokatholiken aus der Presselandschaft unterstellt, ihnen mangele es an grundsätzlicher Kirchlichkeit, sie seien so etwas wie die fünfte Kolonne des Antichristen und man müsse die künftigen Priester und Religionslehrer vor diesen Irrlehrern schützen. Von den infamen persönlichen Angriffen, die unter Namensnennung missliebiger Theloginnen und Theologen im Dutzend Schläge unter die Gürtellinie austeilen auf Internetseiten, die sich amtlicher Hochschätzung erfreuen, rede ich erst gar nicht. Ich gestehe nur ehrlich als selbst Betroffener: In den letzten Monaten habe ich mich nicht selten wie die Jünger am See von Tiberias heute gefühlt: Du kannst machen, was du willst. Es nützt eh nichts. Der kirchliche Großtanker fährt seinen Kurs weiter, Eisberg hin oder her. Und wenn die kirchliche Sicht an der Wirklichkeit vorbeigeht – dann hat die Wirklichkeit halt Pech gehabt. Und die 180 000 Kirchenaustritte von 2010 – gut, das sind halt die Kollateralschäden im Konflikt mit einer Realität, die sich dem Bild der Kirche von ihr und von sich selbst nicht fügen will. Können Sie verstehen, dass einem da manchmal die Kräfte ausgehen, auch wenn man mit Leib und Seele Theologe und Seelsorger ist?

IV
Doch, halt, wie war das am See damals? Einem Fremden, der sie in der Früh um etwas zu essen fragt, können sie nichts anbieten, weil sie so erfolglos gewesen waren. Aber ihm zuliebe, weil er sie dazu auffordert, werfen sie das Netz trotzdem noch einmal aus, obwohl das jetzt bei Tagesbeginn erst recht vergeblich sein musste – nur in der Nacht lassen sich die Fische täuschen. Ihm, dem Fremden zuliebe, tun sie’s  – wenigstens ihren guten Willen soll er sehen. Und als sie das Netz wieder einholen, schaffen sie es nicht, so viele Fische sind darin.

Spontan ahnen sie: Wenn es mitten in unserer hoffnungslosen Situation, mitten in unserem banalen Werktag solche Momente gibt, sind das nicht Hinweise, dass gegen den äußeren Anschein doch nicht alles ins Sinnlose mündet, also auch Jesus nicht widerlegt wurde und darum im Tod nicht unterging? Ist es vielleicht niemand anderer als er selber, der sich in solchen unvorhergesehenen Momenten als der Lebendige und der Nahe zu erkennen gibt. Der Lieblingsjünger, verrückt wie nur Liebe ist, behauptet das darum freiweg: Es ist der Herr! Die anderen glauben es einfach einmal – und gehen dieser Einsicht gleichsam auf halbem Weg entgegen. Aber gleichzeitig waren sie befangen, so dass sie nicht näher zu fragen wagten: Wer bist du? Es scheint so, dass er es ist, aber kann das wirklich sein? Fragen, die bis heute Fragen der Christen, auch die unseren sind.

Und dann noch so etwas Seltsames. Als sie ans Ufer kommen, brennt dort schon ein Kohlenfeuer mit Fisch und Brot darauf. Er, der doch zuvor sie um etwas zu Essen gebeten hatte, – er hat offenkundig jetzt für sie schon etwas bereitet. Auf das, was sie gefangen haben, kommt es also anscheinend gar nicht so sehr an. Die Erfahrung, gegen alle Enttäuschung in Treue und gutem Willen das Ihre zu tun und dann zu erleben, dass ebendies nicht sinnlos ist, war das das eigentlich Wichtige? So ist es wohl: Er nahm das Brot, gab es ihnen, ebenso den Fisch. Das kennen sie vom Gründonnerstag. Und sie wissen, was es bedeutet: Er gibt ihnen alles, was er zu geben hat, sich selbst – jetzt als der Österliche, der also, dessen Leben unzerstörbar ist.

Und wenn etwas Ähnliches auch in der Situation heute gälte? Wenn es gar nicht in erster Linie auf das ankäme, was wir zusammen gebracht haben, sondern dass wir mit gutem Willen und in Treue und Geduld das Unsere tun, weil das Wesentliche längst bereitet ist und sich Durchbruch verschafft, auch wenn man ihm noch so viele Hindernisse in den Weg legt? Ich hoffe es. Ich hoffe es so sehr. Ohne diese Hoffnung müsste, würde ich aufgeben.

IV
Ostern als Geschichte vom gefundenen Lebensschatz: Die Jünger sind dort, wo sie immer schon waren. Aber alles, einschließlich ihrer selbst, ist anders geworden: Äußerlich tun sie das Gleiche wie früher. Von innen gesehen ist es ein neues Leben: Mitten in der Unauffälligkeit ihres Werktags wissen sie sich als Beschenkte: von Gott durch Jesus beschenkt mit der Gewissheit, dass er für sie mehr als genug übrig hat. Und dass es darum am Wichtigsten – dass alles seinen Sinn und Grund hat – nicht fehlen wird. Das versöhnt mit dem Leben, wie es ist. Und macht, dass einer seine Grenzen, seine Wunden sogar tragen, ertragen kann. Wie der Petrus z.B.: Dreimal hatte er Jesus verleugnet. Dreimal wird er jetzt am See vom Auferstandenen gefragt, ob er ihn liebe. Petrus weiß genau, warum dreimal. Er ist traurig über sich. Aber genau darum darf er hören: Weide meine Schafe! Und: Folge mir nach! Trotz seiner Schwäche taugt er zum österlichen Menschen und hat Gott mit ihm Großes vor. Klar, dass Johannes davon nicht aus Klatschsucht über den Kollegen, sondern in unserer Richtung erzählt hat.