Das Kleid der Freiheit (The garment of freedom)

12. Sonntag C: Gal 3,26-29

I.
Neulich veranstaltete eine Supermarkt-Kette ein Preisausschreiben. Gesucht wurde die originellste Antwort auf die Frage: Was ist der Mensch? Den ersten Preis gewann ein Teilnehmer, der auf einer Postkarte geschrieben hatte: Der Mensch besteht aus Phosphor für 6000 Streichhölzer, Fett für 50 kleine Kerzen oder 15 Stück Seife, Kalk in einer Menge, dass man einen Hühnerstall damit streichen kann, Eisen für drei Nägel von 10 Zentimeter Länge, 20 Esslöffel Kochsalz, Glyzerin, das zur Herstellung von 15 Kilo Sprengstoff reicht, ein Viertel Pfund Zucker, eine Prise Kupfer, 14 Kilo Knochen, gut ein Kilo Haut, ca. 50 Litern Wasser und noch ein paar Kleinigkeiten. – Stimmt alles. Aber: Was ist der Mensch? Doch nicht bloß ein Gemisch und Gesamt dieser Bestandteile? Was macht sein Wesen aus? Er gibt verschiedene Antwortversuche darauf. Leicht zu sagen ist es nicht. Es gibt Fragen, die haben es in sich.

II.
Das merken auch jene, die vor eine Frage geraten, die sich nicht nur Christen, sondern gar nicht so selten auch andere stellen: Was ist ein Christ? Klar doch, würden manche sagen: Der Christ glaubt an Gott, bekennt Jesus als Gottes Sohn, hält die Zehn Gebote, betet regelmäßig, geht am Sonntag in die Kirche, vergisst die Armen nicht – und noch ein paar Kleinigkeiten. Stimmt auch alles. Aber macht es schon den Christen aus?

III.
Die Christen waren sich von Anfang an bewusst: Es steckt mehr dahinter, als ein bestimmtes Bekenntnis abzulegen und bestimmte Lebensregeln einzuhalten. Für dieses Mehr haben sie nach treffenden Worten und Bildern gesucht. Ein besonders treffendes ist dem Apostel Paulus in seinem Brief an die Galater eingefallen. Da schrieb er: Ihr alle, die ihr getauft seid, habt Christus als Gewand angezogen. Schon für die frühen Christen erfasste dieses Wort das Wesentliche des Christseins so genau, dass daraus sogar ein sichtbares, ausdeutendes Zeichen bei der Taufe, also des Anfangs für das Christsein, geworden ist: das Taufkleid. Was meinte Paulus mit diesem „Christus als Gewand anziehen“?

IV.
Von jeher war dem Menschen nicht gleichgültig, wie er sich kleidete. Ein Kleid bedeckt oder enthüllt. Und beides drückt vom Träger des Kleides etwas aus. Das Kleid schützt. Und es schmückt. Es ist geradezu die Bühne, auf der Innerstes zum Ausdruck kommt: das Hochzeitskleid, das Festgewand oder wenn Juden – wie oft im Alten Testament erzählt – aus Trauer ihr Kleid zerreißen. In Ghana ist das viel offenkundiger als in Deutschland. Das Kleid drückt aus, wie es um einen steht. Als wen er sich begreift.

V.
Wenn Paulus sagt: Der Täufling zieht Christus als Gewand an, dann meint er darum damit: Wer getauft wird, macht sich kenntlich als zu Christus gehörig. Er teilt seine Weise, zu sein und zu leben, er schlüpft geradezu in seine Rolle. Seine Menschlichkeit in allem und allen gegenüber ist es gewesen, was ihn – diesen Jesus Christus – zu dem gemacht hat, was er war: Sohn Gottes sagen wir Christen unbeholfen dafür. Und wir meinen damit: Was er sagte und tat, wie er war, das gehört so untrennbar zu Gott selbst, dass er – Jesus – geradezu das Gleichnis Gottes heißen darf. Taufe bedeutet: Ich lasse mich hineinnehmen in das Geheimnis dieses Gottes Jesu Christi und bin darum fortan auf meine Weise auch ein solches Gleichnis – Kind Gottes, wie er das Kind, der Sohn ist. Das Christus-Kleid schützt dabei mein empfindsames Inneres. Es drückt aus, wie ich mich meine. Und es schmückt mich zu dem Fest, das mein Leben sein soll.

VI.
Und noch eine Folge hat das Christus-Anziehen. Paulus erwähnt sie eigens, weil sie so wichtig ist: Sobald Menschen das Christus-Gewand anlegen, gibt es nicht mehr Juden und Griechen, nicht mehr Sklaven und Freie, nicht mehr Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus. Beseelt von der Wesensart Christi werden unter Menschen alle Unterschiede der Nation und Rasse, der Religion, des Standes und Geschlechts zweitrangig. Sie bleiben natürlich, aber sie bestimmen nicht mehr, was einer ist und gilt. Sie sagen vor allem absolut nichts darüber, wo einer vor Gott steht. Der Getaufte weiß: Jede und jeder steht mit Gott auf Du und Du. Christ sein emanzipiert im wahrsten Sinne des Wortes. Es nimmt einen Menschen aus allem heraus, worunter sein Leben steht.
Christus anziehen heißt darum soviel wie: Bis zum Innersten frei werden. In Christus gleichsam wie in ein Gewand eingehüllt, gibt es nichts mehr, was aus sich Macht haben könnte über mich. Und Taufe ist das Sakrament der Freiheit darum. Der eigenen und selbstverständlich auch der der anderen. Weiß sich die Freiheit doch Christus verdankt und darum von ihm, also von der Menschlichkeit geleitet! Wie könnte dann meine Freiheit darin bestehen, die Freiheit anderer zu missachten?

VII.
Mit unserer Taufe sind wir in diese Freiheit zum Guten gestellt worden. Freilich ist die nichts Automatisches. Sie muss bejaht und gelebt werden. Menschen können sie vergessen, sogar verleugnen. Weil die Galater drauf und dran waren, ebendies zu tun, darum hatte ihnen Paulus seinen Brandbrief geschrieben, in dem das Wort vom Christus-Gewand steht. Ob wir weniger versuchbar sind als die Galater? Was ist aus meiner Taufe geworden? Was habe ich aus der Freiheit gemacht, die sie mir schenkt? Es wird gut sein, wenn wir uns die Frage nicht zu selten stellen und einander an sie erinnern – wie jetzt in dieser Stunde, da wir unsern Glauben feiern.



The garment of freedom
I.
Not long ago, a supermarket chain conducted a contest. The price question that was to be answered most originally was: What is man? The first price was won by a participant who had written on a postcard: Man consists of phosphor for 6,000 matches, fat for 50 small candles or 15 pieces of soap, lime in quantity sufficient to paint a chicken house with, iron for three pins of 10 centimetre length, 20 spoonfuls of cooking salt, glycerine which is enough to make 15 kilogrammes of explosives, a quarter of a pound of sugar, a pinch of copper, 14 kilogrammes of skin, about 50 litres of water and some more minor things. – That’s all true. But still: What is man? Not merely, after all, a mixture and aggregate of the components mentioned. What makes up his (or her) being? There have been many attempts to answers this question. It is hard to say, however. There are questions that are difficult indeed.

II.
This is also recognized by those who are being confronted with a question not only asked by Christians themselves, but, frequently enough, by others as well: What is a Christian? Clear enough, some might say: A Christian believes in God, confesses Christ to be the Son of God, keeps the Ten Commandments, prays regularly, goes to church on Sunday and is not oblivious of the poor – and some more minor things. That’s all true, too. But still: Does all this suffice to make up a Christian?

III.
Christians have known from the beginning that there is more to it than just making a certain confession of faith and sticking to certain maxims. They have been trying to express this “more” in words and images. A particularly felicitous one has been found by Paul in his Epistle to the Galatians in which he writes: All of you who have been baptized into Christ have put on Christ as a garment. The early Christians already thought this word to capture so well what is essential about being a Christian that it has even evolved into a visible, interpretative sign in the baptism rite, that is the beginning of a Christian life: the baptismal dress. What did Paul mean by saying “putting on Christ as a garment”?

IV.
From the onset, man has not been indifferent to what he wears. A dress veils or unveils something. Both express something about the one wearing it. A dress provides protection and ornament. Indeed, it is the stage upon which one’s inner self is given an expression: the wedding dress, a festive garment or Jews – as is often related in the Old Testament – tearing their dresses in grief. This is much more patent in Ghana than it is in Germany. Our garment expresses how we fare and who we are in our own understanding.

V.
By saying that everyone receiving baptism puts on Christ as a garment, Paul means that everyone who has been baptised shows himself or herself to belong to Christ. He or she shares his mode of being and living, assuming his role, as it were. It was his humanity in everything and towards everyone which made him, this Jesus Christ, what he was: the “Son of God”, as we say a bit ineptly. And by that we mean that what he said and did, the way he was, is so inseparably part of God himself that he, Jesus, may be called God’s parable. Baptism means that I allow myself to be likewise taken into the secret of this God of Jesus Christ that from now on I, too, will in my way be such a secret – God’s child, as he is the child, the Son. In so doing, Christ’s dress protects my sensitive inner self. It expresses how I understand myself. And it is ornament for the feast which my life is meant to be.

VI.
There is another consequence to putting on Christ. Paul stresses it because it is so important: As soon as people have put on Christ’s dress, there are no longer Jews and Greeks, no longer slaves and free men, no longer men and women; for you are all one in Christ Jesus. Infused with Christ’s mode of being, all differences of nation and race, of religion, of social rang and sex become negligible. They still exist, of course, but they no longer determine what we are and what we are worth. Above all, they can tell us absolutely nothing about how we fare before God. Someone who is baptised is certain: Everybody entertains a close relationship with God. Being a Christian means being emancipated in the truest sense of the word, taking a person away from everything determining his or her life.
Hence, putting on Christ is tantamount to becoming free in one’s most inner self. Veiled by Christ as my garment, so to speak, there is no power anymore that might from itself rule over me. And, for this reason, baptism is the sacrament of freedom, both one’s own and, quite obviously, that of others, too. After all, freedom knows that, coming from Christ, it is guided by him, that is by his humanity! How could my own freedom then consist in disregarding that of others?

VII.
Our baptism has delivered us into the freedom to accomplish the good, which, however, is far from being anything automatic. It must be affirmed and lived. People sometimes forget or even deny it. Since the Galatians were running the risk of doing right this, Paul had written them a passionately hortatory letter containing the expression of Christ as a garment. Are we less prone to temptation than were the Galatians? What has become of my baptism? What have I done with the freedom it has given me? It will be beneficial to ask ourselves this question time and again and remind one another of it – just as we are doing right now as we are celebrating our faith.