Wenn Glaube brennt

20. Sonntag C: LK 12,49-53

I
Eine Wochenzeitschrift hat neulich den Briefwechsel eines Vaters mit seiner Tochter veröffentlicht. Das Mädchen war in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen, war auch als junge Erwachsene trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten in bestem Verhältnis zu Vater und Mutter gestanden. Kurz nach ihrem 20. Geburtstag teilte sie dem Vater in einem Brief mit, sie sei aus der Kirche ausgetreten. Die Familie war fassungslos. Lieber Daddy, schrieb die junge Frau, ich weiß, dass ich Euch sehr weh tue mit meinem Schritt. Nichts möchte ich weniger. Meine Entscheidung hat auch überhaupt nichts mit Euch zu tun. Ich werfe Euch nichts vor, und Ihr seid und bleibt mir genauso wichtig wie früher. Aber was die Religion betrifft, habe ich die Konsequenzen gezogen, von denen ich überzeugt bin. Ich muss meinen Weg gehen.
Der Vater antwortete ihr: Liebe Soundso, Mutter und ich sind bestürzt. Wir hatten nie daran gedacht, Du könntest einmal diesen Schritt tun. Es tut uns – Du hast recht – sehr weh. Am meisten schmerzt mich, dass Du alles, was wir an Innerem gemeinsam hatten, aufgegeben hast: Es gibt keine Kommunion mehr, wir feiern nicht mehr die gleichen Feste, hören nicht mehr das eine Evangelium, beten nicht mehr miteinander das Vaterunser. Ich verstehe Deinen Weg nicht. Aber Du gehst ihn, musst ihn gehen. Sei gewiss, dass Du über alles hinweg unsere Tochter bleibst, die wir von Herzen lieb haben. Dein Vater.

II
So oder ähnlich geht es heute vielen Eltern. Und längst nicht alle reagieren so ehrlich und zugleich so feinfühlig wie der Vater soeben in den veröffentlichten Briefen. Manchen ist gleichgültig, was die Kinder bezüglich des Glaubens tun. Manchmal gibt es in solchen Fällen böse Worte, Türknallen, abgebrochene Brücken. Viel öfter noch wohl trägt der Gang der Zeit die Entscheidung der Jungen mit sich fort. Und bei den Alten bleibt eine Wunde, ein ziehender Schmerz, der nicht vergehen will.

III
Eigentlich jedoch dürfte es Christen gar nicht überraschen, dass es so etwas gibt: dass Menschen aus der nächsten Umgebung sogar den Glauben ablegen, der einem selbst viel bedeutet. Kündet doch das Evangelium selbst genau das drastisch an: Fünf Leute im Haus – und drei werden gegen zwei, zwei gegen drei sein. Wegen des Evangeliums.
Warum dies aber? Es hat mit dem zu tun, was Evangelium seinem Wesen nach ist. – Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen, sagt Jesus von sich. Vielleicht erinnern Sie sich dabei unwillkürlich an eine andere Stelle aus dem Neuen Testament, an der auch Feuer vorkommt: die Pfingstgeschichte natürlich. Sie verdeutlicht uns, was Jesus mit dem Feuer-auf-die-Erde-Werfen meint: Durch ihn werden Gott und Mensch aufs Innigste wieder zusammengebracht. Wenn Gott und Mensch sich verbinden – Heiliger Geist sagen wir dafür –, dann reinigt und läutert uns diese Gottesmacht, die uns da ergreift. Erstarrtes brennt sie um, Altes fegt sie davon, dass Welt und Leben einen neuen Anfang nehmen. So beschreiben schon die gottbegeisterten Frauen und Männer, die Propheten des Alten Bundes das Wirken des Geistes, so auch die Apostel vom Pfingsttag.
Was hinter dieser Rede von der Geisterfahrung steht, ist alles andere als harmlos: Denn wo das Gottesfeuer eine Seele berührt, kommt es zu einer Umwertung der Maßstäbe. Das war es ja, was seine Zeitgenossen an Jesus fasziniert oder verstört hat – oder beides zugleich. Im Blick auf sein Leben kann man diese Umwertung vielleicht so ausdrücken: Nicht das Machen ist das Wichtige, sondern das Lassen. Nicht das Haben, sondern das Geben. Nicht das Herrschen, sondern das Dienen. Und zugleich wird dort, wo diese andere Logik gilt, alles zugleich auf seinen letzten Grund hin durchsichtig. Das ist es ja, was in den Sternstunden des Lebens Jesu für einen Moment aufblitzte: Bei der Bergpredigt etwa, als er die Armen, die Trauernden, die Hungrigen selig pries, auf dem Tabor in der Verklärungsstunde dann, auch bei der Fußwaschung und bei seinem Beten im nächtlichen Ölgarten. Dieses Gottesfeuer zu bringen, die Welt mit ihm in Brand zu setzen, dass Gott wieder alles in allem sei, dass in menschlichen, endlichen Gesten das Unendliche aufleuchte – dazu weiß sich Jesus gesandt, besser gedrängt: Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!

IV
In diesem Wunsch Jesu schwingt etwas mit, das fast wie Ungeduld klingt. Die anschließenden Worte erklären das: Ich muss mit einer Taufe getauft werden, und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist: Jesus weiß, dass er seine Sendung nur erfüllen kann durch die Bedrängnis des Kreuzes und seines Sterbens hindurch. Wenn er wirklich die Welt für Gott entflammt und so zu wandeln beginnt in das, was sie sein will, dann also nicht durch einen triumphalen Sieg über alles, was dem entgegensteht. Sein Weg geht stattdessen nach unten, dorthin, wo Macht und Pracht nichts mehr zu sagen haben. Weil einzig sein Zeugnis, dass man Gott unbedingt, auch im Sterben noch, trauen darf, erahnbar macht, dass dieser Gott bedingungslos treu zu uns steht. Und dass es darum kein Widersinn, sondern Ausdruck von Freiheit ist, jene umgewerteten Maßstäbe einer Logik des Loslassens zu leben. Denn in jenem Gottesfeuer wird alles aufgeschmolzen, was mich an Äußeres, auch an mich selber bindet.
Einen Beweis für die Freiheit aber gibt es nicht, darin sind sich die Philosophen von der Antike bis zur Gegenwart einig wie nirgends sonst. Darum kann man sich auch gegen die Freiheit entscheiden wollen, kann man zur Ansicht kommen, die Dinge doch lieber selbst in die Hand nehmen oder dem Kalkül einer Logik der Ellbogen folgen zu sollen. Damit kann man weit kommen. Sehr weit. Das bekommen wir oft genug öffentlich vorgeführt. Nur die Dinge im Leben, die man nicht haben, nicht fordern, nicht verdienen, nicht kaufen kann – die kommen in solchen Bilanzen nicht vor. Aber was, wenn ich einmal nichts mehr verdienen, nichts mehr kaufen kann, nichts mehr zu fordern habe? Wer dann mit jener andern, jener Jesus-Freiheit vertraut ist, die aus dem Dienen, dem Geben, dem Lassen kommt, der wird so mutig sein können, sich fallen zu lassen in einen Abgrund, von dem er glaubt, dass er selber Liebe ist, wie Jesus es gepredigt und bezeugt hat, und der darum zu mir seit je gesagt hat und für immer sagen wird: Ich will, dass Du bist.

VI
Es ist genau dieser Jesus-Weg, der selbst noch Menschen gleichen Bluts – und manchmal gute Freunde – gegeneinander aufbringt. Zwischen Vertrauen und Misstrauen in Gottes Weg mit uns geht die Spaltung. Jesus löst sie aus, weil seine Art, zu leben und zu Gott zu stehen, aufdeckt, dass an eben diesen beiden – Vertrauen und Misstrauen – schlechthin Welten scheiden. Und dann einen lieben Menschen sich abwenden sehen vom Jesus-Weg – da kann Glaube brennend werden. Da bleibt allein dies: Die Erinnerung, dass auch der Herr ungeduldig, dass er bedrückt war – aber die Bedrängnis trug. Auch in ihr noch hat er vertraut. Tut einer das mit ihm auch in der Sorge um einen andern, der sich abgewandt hat, so geht er schon den Jesus-Weg. Von innen fängt die Welt zu brennen an.