Einprägsame Verheißung

2. Fastensonntag C: Gen 15, 5-12. 17-18

I.

Vor zehn Tagen haben wir die Zeit der Vorbereitung auf Ostern begonnen. Die Fastensonntage sind gleichsam Stationen auf dem Weg zu Mitte und Höhepunkt aller Feier des Glaubens. Besonders die Schriftlesungen sind jedes Mal auf diese Mystagogie hin ausgewählt, auf Einweisung ins Geheimnis. Die beiden ersten Fastensonntage gehören dabei besonders eng zusammen. Gemeinsam bilden sie so etwas wie ein doppeltes Eingangstor in die Fastenzeit als den Vorhof des Osterfestes. Man könnte auch sagen: Sie sind seine Ouvertüre. In einer Ouvertüre geschieht immer zweierlei: Es klingt auf, was anschließend kommt, und es klingt an, wie es endet.

II.

Genauso verhält es sich mit dem ersten und zweiten Fastensonntag: Letzte Woche hörten wir das Evangelium von der Versuchung Jesu – und wie er ihr nicht nachgibt. Sie intoniert das große Osterthema: Jesu Kampf gegen die Macht der Sünde. Dreimal in steigender Intensität und Dramatik der Andrang der Versuchung, dreimal widersteht ihr Jesus, und er hält sich dazu jedes Mal an einem Wort der Schrift fest. Und die Geschichte endet mit dem Satz: Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel für eine gewisse Zeit von ihm ab. Da kommt also noch etwas!

Die Ouvertüre deutet aber auch schon an, wie das damit eröffnete Drama ausgeht. Das tut der heutige Fastensonntag mit dem Evangelium von der Verklärung: Der Versuchte wird siegreich strahlen, will es sagen. Lauteres Licht wird er werden, das ausstrahlt auf alles ringsum erleuchtet. Und wenn dabei Mose und Elija mit dem Verklärten von seinem Ende in Jerusalem sprechen, so klingt an, dass dieser Sieg im Sinn des Gesetzes und der Propheten, also der ganzen Botschaft des Alten Testaments, verstanden werden will: Von ihr her leuchtet auf, wer Jesus ist und was durch ihn geschieht. Und umgekehrt wird durch ihn transparent, was in der Geschichte Israels von Gott erzählt wird.

In dieses Geschehen wechselseitiger Erhellung gehört auf einzigartige Weise auch die heutige Lesung hinein, Verse aus dem 15. Kapitel des Buches Genesis, rätselhaft, archaisch beinahe, dunkel; ich habe in meiner eigenen Glaubensgeschichte noch nie eine Predigt über sie gehört. Man muss sich plagen mit ihnen. Mein wichtigster Beistand dabei war der 60 Jahre alte Genesis-Kommentar des Rabbiners Benno Jacob, der Anfang des 20. Jahrhunderts in den jüdischen Gemeinden von Göttingen und Dortmund wirkte und dann vor den Nazis nach England fliehen musste. Ich sage das eigens dazu, weil ich ihnen auch Beobachtungen Benno Jacobs am hebräischen Urtext weitersagen muss, da sich nur von ihnen her der Sinn der Verse erschließt. Und eine ganze wichtige Regel dieser jüdischen Schriftauslegung lautet, dass man bei vielen sprachlichen Wendungen immer mitbedenken muss, wie diese Sprachweise auch noch anderswo in der Bibel auftaucht, weil für biblische Erzähler ihr dortiger Zusammenhang auch an der gerade auszulegenden Stelle mitschwingt, so dass gleichsam die ganze Bibel von einem Netzwerk von Verweisungszusammenhängen überspannt ist.

III.

Das gilt gleich für den Anfang der Stelle: Sie heißt wörtlich: Und siehe, sein Wort an ihn (Abram) [im Gesichte] wie folgt. Von keinem leiblichen Schauen also wird jetzt erzählt, sondern von einer Vision, in der dem Abram gesagt wird: Stell’ dir einmal den bestirnten Himmel vor - stell ihn Dir vor! Eine Weile ist Abram versunken in den Anblick der Milchstraße und der Sternenheere und er fängt zu staunen an. – Und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst!, hört Abram und fühlt dahinter ein leises: Du kannst es gar nicht, nicht wahr?, dem er in stiller Ehrfurcht nur zustimmen kann. – Schau Abram, so zahlreich wird dein Same, deine Nachkommenschaft sein. Der gestirnte Himmel über ihm, Gottes lautlos in Abrams Herz gesprochenes Wort: Das Bild der funkelnde Sterne vor Abrams innerem Auge zieht dieses Wort in seine Leuchtkraft hinein und lässt die Zusage ihm, dem Alten, immer noch Kinderlosen, zu lichtvoller Gewissheit werden.

Genau so beschreibt unsere Stelle die Reaktion Abrams: Er glaubte dem Herrn und der Herr rechnete es ihm als Gerechtigkeit an, sagt unsere christliche Übersetzung und lässt uns dabei viel zu schnell an Paulus und einige Grundworte seiner Theologie denken. Die gehören hier noch gar nicht her. Hier steht nur: Da verließ sich Abram auf IHN und er rechnete es ihm zum Guten an. Für das Wort, das wir so schnell mit "glauben" übersetzen, steht im Hebräischen ein Ausdruck, der besagen will: Da ist einer fest, sicher, verlässlich und vertrauenswürdig, einer, auf den man unbedingt bauen kann, auch die Wörter für Wahrheit und Treue kommen aus diesem Wortstamm – und sie meinen im Kern ein und dasselbe. Abram kann im Anblick der Sternenlichter, deren Leuchten das Zusagewort anstrahlt und verklärt, die unerschütterliche Gewissheit wagen, dass sein Stamm nicht abreißen, sondern eine Zukunft haben wird, die sich in der Unermesslichkeit des Sternenhimmels spiegelt. Wollte man, was da zwischen Abram und seinem Gott geschieht, in ein Zwiegespräch zwischen beiden fassen, dann lautete es wohl ungefähr so: Dank Dir, mein Gott, Dir traue ich! Und Gott darauf: Und ich danke Dir, Abram, dass Du dich so ganz auf mich verlässt. Das werde ich Dir nie vergessen! - Das steht hinter unserem armseligen Wörtchen Gerechtigkeit: ein Gott, der "danke" sagt zum Menschlein.

Aber jetzt, im nächsten Vers, sagt dieser Gott – von Abram ungefragt – noch etwas dazu: Ich bin der, der ich dich aus Ur in Chaldäa herausgeführt habe, dir dieses Land als Erbe zu geben. Selbst wer die Bibel nur grob kennt, horcht freilich auf, wenn er von einem Herausgeführt-Werden hört: Ist dies doch das Kennwort des für Israel schlechthin fundamentalen Ereignisses des Auszugs aus Ägypten, das so zentral das Selbstverständnis der Christen mitbestimmt, dass seine Erzählung zu den unverrückbaren Angelpunkten der Osternacht gehört. Gemäß unseren Versen aber ist dieser Exodus bereits eine Wiederholung, weil auch schon die Geschichte Abrams mit einem Auszug, einer Herausführung begonnen hat. Das aber bedeutet zum einen, dass dem Abram das Geschenk des gelobten Landes von allem Anfang an zugedacht und alles Weitere darauf hin angelegt war. Und zum anderen: Wenn Ur in Chaldäa für Abram das ist, was Ägypten für Israel bedeutet, muss es in Ur für Abram gefährlich gewesen sein. Wie dort Israel, muss auch da dem Abram Unterdrückung und Demütigung gedroht haben.

Bereits in der Bibel selbst und dann in der ganzen Geschichte der jüdischen Schriftauslegung haben die Gottesgelehrten darüber nachgesonnen, warum denn Gott den Abram aus Ur weggerufen habe. Und sie kommen zur einhelligen Überzeugung: Das treibende Motiv hinter diesem Fortgang und Aufbruch ist die Suche nach dem wahren Gott. Der Talmud zeichnet Abram dabei geradezu als Götzenkritiker und Aufklärer und das gelobte Land als den Ort, wo Gottes Wahrheit zur Erscheinung kommen kann. Erreicht wird es nur durch Anfechtung und Bedrohung hindurch, durch den ungesicherten Aufbruch ins Unbekannte. Aber weil Gott ist, wie er sich zeigt, kann Abram sicher sein, jenes Ziel zu erreichen – und sei es in den Generationen seines Stammes. Und wir können Gottes Wahrheit sicher sein, die seine Treue ist – und sei es über die Generationen von Geschichten hinweg, die uns mit Abram verbinden. Der babylonische Talmud erzählt, wie der Erzengel Gabriel den Abram aus den Gefahren seiner Gottsuche retten will, da sagt ihm Gott, der Heilige, gepriesen sei er: Ich bin einzig auf meiner Welt, und er ist einzig auf seiner Welt; es geziemt sich, dass der Einzige selber den Einzigen rette.

Genau das ist der Sinn der so rätselhaften Verse, die jetzt noch folgen. In ihnen soll die Verheißung des Landes genauso einprägsam werden wie soeben zuvor die Verheißung von Nachkommen durch das Bild des strahlenden Sternenhimmels. Immer noch geht es um eine Vision, einen tiefen, unruhigen Schlaf, kein Wunder bei dem, was Abram schaut. Auf Gottes Geheiß nimmt er Tiere, Groß- und Kleinvieh sieht er sich in Hälften teilen, die Vögel lässt er ganz. Das hat überhaupt nichts mit einem Opfer zu tun. In beiden Zeichen versinnbildet sich vielmehr der dramatische Weg der Freiheit, den Abrams Nachkommen gehen werden: Zerschneiden steht für Gewalt und Unterdrückung; und der Vogel ist das Sinnbild für Freilassung und Freiheit, unversehrte Freiheit, darum sind die Tauben nicht gehälftet. Und dann Rauchofen und Feuerfackel, die zwischen den Tierhälften hindurchgehen: Feuer, Rauch, das ist wie Dornbusch, wie Wolken- und Feuersäule, wie Gewittergewölk und Feuerblitz auf dem Sinai, das ist verborgen-offenbar der Heilige. Gott selbst geht auch durch die Zeit der Knechtschaft hindurch und eint die Zerteilten. Und wie getrennte Hälften dadurch, dass sie von einander weggerückt sind, um so mehr aufeinander verweisen und nacheinander verlangen, so offenbart sich Gottes Treue um so mehr in der Bedrängnis, weil er selbst sich in sie hineinbegibt und so den Bund mit den seinen unwiderruflich macht. Das schaut Abraham, das wird Mose erfahren am Dornbusch, wo sich Gott in den schmerzenden Dornen offenbart, weil er mit seinem Volk mitleidet. Und das wird den Jüngern auf dem Tabor nahe gebracht, wenn sie den Verklärten mit Mose und Elija von Kreuz und Tod reden hören. In der bittersten Drangsal, die es überhaupt geben kann, im schmachvollen Sterben des Schuldlosen, wird ganz offenbar werden, was es heißt, dass Gottes Bund mit dem Menschen unwiderruflich ist

IV.

Am Tage von Abrams Vision beginnt die Epoche, deren tiefster Sinn am Ostermorgen offenbar wird. Am Tabor tut sich der erste Spalt der Tür zu dieser vollendenden Offenbarung auf. Warum diese Vision zwischen gerade untergehender Sonne und schwärzester Nacht geschieht, hat später der Dritte Jesaja aus seiner Exilserfahrung heraus unübertrefflich in Worte gefasst: Siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkelheit die Nationen. Doch über Dir strahlt der Herr, über dir erscheint seine Herrlichkeit – mag die Sonne sinken, ja gänzlich untergegangen sein und mögen nicht einmal mehr die Sterne scheinen, so wird ER dir zum Licht, zu deiner Sonne, die nicht untergeht. In Gott steht Nacht für Licht, Untergang für Neubeginn, Tod für Leben. Schon Abram also hat ein Osterversprechen bekommen. Jesus hat es besiegelt, darum ist er der Verklärte und Gekreuzigte. Und wenn Gottes Verheißungen so unwiderruflich sind, wie dem Abram von Anfang zugesagt – welchen Grund hätten wir, ihnen nicht zu trauen?