Stellenausschreibung

14. Sonntag C: Lk 10, 1-12.17-20

I.

Der größte Komiker des 20. Jahrhunderts war wohl Charlie Chaplin. Der Schriftsteller Eduardo Galeano erzählt in einem Buch, wie eigenartig Chaplins Karriere begann: Am Anfang waren die Lumpen. Aus den Abfällen eines Filmstudios suchte sich Charles die unbrauchbarsten, weil zu großen oder zu kleinen oder zu häßlichen Kleidungsstücke aus und fügte so, wie man Müll zusammenkehrt, die Hose eines Dicken, die Jacke eines Zwerges, eine zerbeulte Melone und abgetragene Schuhe zusammen. Zu all dem kam noch ein falscher Schnurrbart und ein Spazierstock. Und dann erhob sich dieses Häuflein weggeworfener Lumpen, grüßte seinen Schöpfer im Spiegel mit einer linkischen Verbeugung und watschelte im Entengang davon. Nach wenigen Schritten stieß es gegen einen Baum und entschuldigte sich bei ihm mit einem Lupfen des Hutes. So kam Charly, der Vagabund, zur Welt, als Paria und als Poet, schließt Galeano seinen Bericht.

II.

Aus dem, was andere achtlos liegenlassen oder abfällig wegwerfen, entsteht etwas, was Menschen bezaubert und ihnen zu Herzen geht. Dass Wunderbares im Gewand der Armseligkeit daherkommt, das gibt es gewiss auch anderswo. Gerade auch uns Christen muss das geläufig sein: Gott, der Ewige und Unvordenkliche, ist ein sterblicher, zerbrechlicher Mensch geworden, bekennen wir. Trotzdem verblüfft mich, dem auch noch in einem anderen, höchst unerwarteten Zusammenhang des Evangeliums zu begegnen: in der Geschichte von der Aussendung der 72 Jünger, also der Beauftragung derer, die das Evangelium zu den Menschen bringen sollen.

III.

Gleich eingangs sagt uns Lukas unzweideutig, worum es geht: Der Herr sendet die 72 Jünger überall dorthin, wohin er gehen wollte. Die Boten sind Verweis auf den Kommenden. Er selber beginnt, in seinen Boten aufzutreten, er, der Träger des großen und befreienden Wortes Gottes, des Evangeliums. Insofern ist klar, dass die Verhaltensregeln an die Boten, die nachfolgend genannt werden, keinen zufälligen Kodex bilden, sondern davon bestimmt sind, wie Jesus sich selber versteht, d.h. wir dürfen diese Worte an die Jünger als ein Selbstportrait Jesu lesen. Zugleich freilich sind sie so etwas wie eine Stellenausschreibung für alle, die in Jesu Dienst der Verkündigung treten möchten.

Die Überraschung beginnt gleich mit der ersten Anweisung: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter, sagt Jesus. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden. Also nicht: Versucht alles bis zum Letzten, damit ihr Erfolg habt, sondern: Gott ist der Herr der Ernte, nicht ihr. Ihr habt nicht letzte, sondern vorletzte Verantwortung, dass die Ernte eingebracht wird. Diese Entlastung freilich, die so etwas wie klerikale Selbstüberschätzung erst gar nicht aufkommen lässt, widerspricht keineswegs dem entschiedenen Auftrag an die 72, aktiv das Evangelium zu verkünden: Geht - Ausrufezeichen!, hören sie. Das ist das Schlüsselwort.

Und dann der eigentliche Grundzug dieses Auftrags: Ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe: So irrwitzig ist die Verkündigungsarbeit eigentlich von Wesen her; sie bringt nichts; höchstens den Verkünder um seine vernünftige Existenz; und sie scheint zwangsläufig, wenigstens nach menschlichem Maßstab, zum Scheitern verurteilt, denn seit wann wüßten sich Schafe der Wölfe zu erwehren?! Doch Jesus verschärft das Ganze noch: Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche, keine Schuhe! Ihr braucht keine Ausrüstung, keine Rückversicherung, keine Schutzhüllen und Deckungen. Grüßt niemand: bis heute sind im Orient die Begrüßungszeremonien zeitaufwendig. Also: haltet euch nicht mit der Etikette auf, lasst eure Botschaft nicht zur Höflichkeitsfloskel verkommen! Solch unumwundenes Zur-Sache-Kommen hat den Verkündern gewiss nicht zusätzliche Freude geschaffen. Übrigens ist das heute noch so, auch innerkirchlich.

Dem folgen aber noch weitere Arbeitsbedingungen für den Verkünder: Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Mann des Friedens wohnt, wird der Friede, den ihr ihm wünscht, auf ihm ruhen... - Das Evangelium ist also an den Einzelnen, höchstens noch an eine Hausgemeinschaft gerichtet, nicht an amorphe Volksmassen, was doch viel effizienter wäre. Den Jüngern ist untersagt, Propaganda zu treiben. Sie haben kein Recht, Menschen in ihrer grenzenlosen Verschiedenheit über einen Leisten zu schlagen, auch nicht über einen göttlichen. Jedem persönlich haben sie die Jesus-Botschaft auszurichten, seinem Hör- und Fassungsvermögen gemäß, seine Situation berücksichtigend - und nicht, indem sie die Leute kommen lassen, sondern indem sie zu den Menschen, in ihre Häuser gehen. Das Evangelium nimmt jeden einzelnen in seiner Einmaligkeit ernst, es kennt keine Gleichschritt-Kohorten. Das ist übrigens einer der Gründe, warum das Evangelium Evangelium heißt.

Eben dieser Grundzug des Verkündigungsauftrags hat nun seinerseits höchst konkrete, ja hautnahe Konsequenzen für den Verkünder: Wenn ihr zu jemand gegangen seid, sagt Jesus, so bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! Also: der Verkünder darf sich die Adressaten seiner Botschaft nicht nach Maßgabe seiner persönlichen Vorteile aussuchen. Es passt nicht zum Evangelium, darauf zu schielen, wo man komfortabler aufgenommen wird. Menschlich gesehen ist das gewiss verständlich, dorthin zu gehen, wo man Zustimmung erfährt und Hochschätzung und Gesten des Wohlwollens. Doch der Arme, der Zweifler, der Kritiker muss dem Verkünder genauso viel wert sein, sagt Jesus. - Esst und trinkt, was man euch anbietet, fügt er an: Das betraf damals vor allem die jüdischen Speisevorschriften; die hätten ja verhindert, dass die Verkünder auch zu den Nichtjuden, den Heiden gehen. Heute heißt das: Habt keine Angst vor fremden Überzeugungen und Lebenseinstellungen und Gebräuchen. Geht zu denen, die ohne Trauschein leben, geht zu, zu den Yuppies, deren Träume aus Aktienkursen bestehen, geht zu denen, die Angst haben vor den Fremden und zu den Fremden, die am Rande stehen. Seid mit ihnen, damit ihr eure Botschaft so ausrichten lernt, dass sie alle euch verstehen!

Und schließlich noch eine Anweisung: Wenn ihr in eine Stadt kommt, heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: das Reich Gottes ist nahe! Das heißt so viel wie: Wenn ihr verkündigen geht, dann habt nicht nur die hehren Dinge des Himmels im Kopf! Lasst auch die irdischen, ja oft banalen, aber ans Mark gehende Sorgen der Menschen an euch heran! Es gibt keine Trennung von Seelsorge und Leibsorge! Darin gründet die soziale und also auch politische Seite, die jedes Wort der Verkündigung hat.

IV.

Das alles sind die Bedingungen, unter denen die Verkündigung des Evangeliums steht. Bequem sind sie nicht, attraktiv schon gar nicht. Gar nichts Feierliches, Erhebendes haben sie an sich. Und ein Verkünder, der sich auch nur in etwa nach Jesu Weisung zu richten versucht, muss der nicht seltsam verloren, ja komisch erscheinen in einer Welt, die so ziemlich in jedem Punkt genau das Gegenteil von dem praktiziert, was Jesus seinen Boten aufträgt? Warum aber stellt dann Jesus die Verkündigung seiner Botschaft unter Bedingungen, die alles eher schwerer zu machen scheinen denn erleichtern? Eine bündige Antwort gibt uns Paulus an einer Stelle im Zweiten Korintherbrief: Wir tragen den Schatz des Evangeliums in zerbrechlichen Gefäßen, sagt er; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt (2 Kor 4,7). Wann immer das Wunder geschieht, dass ein Mensch wieder zu Gott findet, wo immer ein Stück Schöpfung wieder heil wird, da soll der Verkünder davor bewahrt bleiben, diesen Sieg des Evangeliums seinem eigenen Bemühen und Können zuzurechnen. Denn das führte ihn selber weg von Gott. Wenn der Verkünder Worte und Gesten findet, die Menschenherzen anrühren, dann soll er wissen, dass Gott es ist, der die Armseligkeiten seines Boten zusammenfügt zu einer Gestalt voller Grazie, also einer Gestalt voll Gnade für die, zu denen er geschickt ist.

Der berühmte Maler Matthias Grünewald hat einmal ein Gebet niedergeschrieben, das jedem Verkünder und zumal den paar Neupriestern, die in diesen Wochen Primiz feiern, ins Stammbuch geschrieben sei. Grünewald betet:

Jesus, Herr - ich bitte dich, daß du mich annimmst zum Docht auf der Lampen, zu der du das Öl gibst. Geht mir nicht darum, ob mein Leib verdorrt wie Gras und mein Nam' verweht wie Rauch. Aber um dein Bild in mir geht es, das die Welt schauen soll. Zünd dein Licht an und laß mich sein wie ein heilig Feuer am Rande der finstern Öde, damit die im Dunkeln wissen, wo Du zu finden bist. –

Das ist der Sinn des kirchlichen Amtes, wie Jesus es gewollt hat. Ich weiß aus meiner mittlerweile vieljährigen Erfahrung als Hochschullehrer, dass es sehr wohl junge Frauen und Männer gäbe, menschlich und intellektuell so reif wie wach, die sich ohne Zögern für eine solche geistliche Stellenausschreibung des kirchlichen Amtes gewinnen ließen. So lange diese aber von angeblichen Notwendigkeiten – nur unverheiratet – und angeblichen Unmöglichkeiten – niemals weiblich – überkleistert bleibt, haftet den Gebeten um geistliche Berufe etwas Zwiespältiges an. Das heutige Evangelium sagt das wirklich Wichtige zur Sache. Um ein offenes Ohr für seine Botschaft bei den Verantwortlichen bitten, schiene mir aufrichtiger.