Osterwunder, mehrfach
2. Ostersonntag C: Joh 20, 19-31
In diesen Tagen feiern wir Ostern – die Auferstehung Jesu. Auferstehung ist das größte Wunder, das wir Christen kennen. Was ist ein Wunder? Eine jüdische Geschichte weiß folgendes: In der Schule erzählt der Rabbi den Kindern vom Rebbn Schloime, an dem der Herr viele Wunder getan hat. Eines Tages geht der Rebb Schloime durch einen Wald und findet an einem Baum ein Findelkind liegen. Er hebt die Hände zum Himmel, klagt, singt und betet, der Herr möge ein Wunder tun, dass das Kind am Leben bleibe. Und was geschieht? Der Herr tut ein Wunder und lässt dem Rebb Schloime Brüste wachsen, damit er das Kind stille.
II.
Über geistliche Dinge so mit Humor zu reden, ohne sie dabei lächerlich zu machen, ja vielmehr ihren tieferen Sinn zur Sprache zu bringen – das ist mehr als allen anderen den Juden gegeben. Wir Christen können da von ihnen lernen. Da betet einer um Gottes Hilfe. Und die Hilfe tritt ein. An ihm selbst. Hochwürden mit Mutterbrust. Wahrlich zum Lachen. Und doch ist genau das die Art, in der Gott zu allen Zeiten Wunder tat und tut: Nicht indem er von oben eingreift, sondern indem er von innen her denjenigen verwandelt, der des Wunders und seiner Hilfe bedarf.
III.
Von Wundern so zu denken, meine ich, hilft uns auch, das Wunder schlechthin, die Auferstehung zu verstehen. Und es entspricht auch der Art, wie Johannes im heutigen Evangelium von ihr spricht: dass nämlich das eigentliche Osterereignis an denen geschieht, für die sich Ostern ereignet.
Verschlossene Türen – das ist das Kennmal der Jünger nach dem Karfreitag. Aus Furcht vor den Juden, sagt Johannes. Kein Wunder: Die Jünger haben Angst, Angst, weil sich doch das, was sich gegen Jesus, gegen seine Botschaft von Gott, gegen seine Weise zu leben und zu handeln, gerichtet hatte, stärker als er erwies. War also das Gottvertrauen, zu dem Jesus eingeladen und das er in ihnen durch seine Zuwendung aufgerichtet hatte, nicht doch ein Trug gewesen? In diese Verschlossenheit der Angst hinein tritt Jesus, sagt das Evangelium. Dabei werden keine Türen auf- und zugemacht. Es geschieht also anders, als Greifbares und Sichtbares zu geschehen pflegt – ein Eintreten ins Innere, in die Seelen also. Dort sagt Jesus zu den Jüngern: Der Friede sei mit euch. – Friede ist das Gegenteil von Angst. Und er zeigt ihnen seine Hände und seine Seite, seine Wunden also. Der Friede, das Nicht-Angst-Haben und die Wunden gehören zusammen. Oder anders: Jesus bedeutet ihnen: Ihr müsst nicht Angst haben wegen meines Todes. Auch er widerlegt nicht mein Vertrauen in Gott. Denn wenn er – Gott – wirklich der ist, als den ich ihn auf Erden geglaubt habe, der, von dem ihr gewiss wart, dass ich ihn gekannt habe wie kein anderer, dann bleibt dieser Gott der Nahe und der Treue auch und gerade dann, wenn ich menschlich ans Ende komme, ja vernichtet werde.
Da freuten sich die Jünger, sagt Johannes. Kein Wunder. In diesem Augenblick, einem ähnlichen Entdeckungserlebnis wie bei den beiden Emmaus-Jüngern, da geht den Versammelten auf, was es um diesen Jesus ist. Noch einmal spricht ihnen Jesus den Frieden zu – als Bestätigung gleichsam ihrer Osterentdeckung. Und zugleich erwächst aus dieser Bestätigung ein Auftrag an sie: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Was Jesus für sie, die Jünger, war, sollen sie jetzt füreinander und für die Menschen sein: Zeugen der durch nichts zu widerlegenden Treue und Verlässlichkeit, je einfach der Liebe Gottes. Und Jesus haucht sie nach diesen Worten an – ein Sinnbild, das ganz weit zurückverweist, bis an den Anfang der Bibel. Dort heißt es, Gott habe dem Menschen, diesem vergänglichen Wesen aus Lehm, seinen Odem eingehaucht und ihn so geschaffen. Ostern jetzt ist Neuschöpfung des Menschen, dass er wieder so werde, wie Gott ihn gemeint hat: Dass er über alle Angst hinweg, die ihn anfallen mag, Gott traut, dass der zu ihm stehe, in allem. Dass er sich nicht mehr misstrauisch verkrümme, wie Adam und Eva das getan haben, als sie nach dem Baum des Lebens griffen, aus Angst, ja nicht zu kurz zu kommen – ein anderes Wort dafür ist: Sünde.
IV.
Aber da ist noch etwas, besser: noch einer: Thomas. Thomas erlebt das erste Kommen des Auferstandenen zu seinen Jüngern nicht mit, hat nicht Teil an ihrer Entdeckung. Was sie ihm davon erzählen, bezweifelt er. Darum stellt er Maßstäbe für Ostern auf: Wenn ich nicht die Wundmale an seinen Händen sehe; wenn ich nicht die Wunden betasten und meine Hand in seine Seite legen kann, glaube ich nicht. – Als der Auferstandene sich wieder zu erkennen gibt, ist Thomas dabei. Er wird aufgefordert, seine Beweisforderung nun einzulösen. Aber Thomas tut nicht, was er selbst verlangt hatte. Stattdessen bekennt er: Mein Herr und mein Gott! Und dann spricht Jesus einen der kritischen Sätze des ganzen Evangeliums: Weil du mich gesehen hast glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
Was Jesus damit sagt, heißt klipp und klar: Thomas, du hättest an meine Auferweckung auch ohne meine Erscheinung glauben können. Und das wäre auch der angemessenere Wege gewesen, der, der diejenigen, die ihn gehen, selig werden lässt. Dieses Wort des Herrn an den Thomas bringt uns vor eine aufregende Frage, die Frage nämlich: Wenn die Erscheinung des Auferstandenen dafür gar nicht nötig, im Grunde gar nicht angemessen ist, was hätte denn dann für Thomas bereits gereicht, um an Ostern zu glauben? Diese Frage ist deswegen so aufregend, weil sie unserer eigenen Situation genau entspricht. Denn auch unser Osterglaube kann sich auf keine Erscheinungen, auf das Überwältigende der Erfahrungen der ersten Stunde stützen. Was also hätte nach dem Zeugnis des Evangeliums den Osterglauben des Thomas begründen können?
Eigentlich sehr einfach: Das, was Thomas von Jesus wusste und mit ihm erlebt hatte. Im Klartext: Wer lebt, wie Jesus lebte; wer tut und sagt, was er tat und sagte; wer schließlich stirbt, wie er starb – von dem darf man überzeugt sein, dass er mit allem, was zu seinem Leben gehörte, nicht verloren geht, sondern auf immer in Gottes Hand gerettet sein und bleiben wird. Sein Leben und Sterben ist das eigentlich glaubwürdige Zeichen der Auferstehung. Übrigens ist das keine vergeistigende Deutung von Ostern durch Johannes oder die spätere Theologie. Vielmehr ist diese Sicht, dass Ostern am Gekreuzigten aufleuchte, also Karfreitag und Ostermorgen sozusagen ineinander liegen, schon in einem Wort Jesu selbst vorgezeichnet, das uns Lukas überliefert: Der Volksmenge, so Lukas, die von Jesus ein Zeichen seiner Beglaubigung verlangte, habe er geantwortet: Dieser Generation werde kein anderes Zeichen gegeben werden als das Zeichen des Jona. Denn wie Jona den Niniviten ein Zeichen war, so werde es auch der Menschensohn für diese Generation sein. Was aber tat denn dieser Jona? Gar nichts Besonderes, keinen Hauch von Schauwunder wirkt er! Er war bloß, was er war, er mit seinem Prophetenleben und mit dem Wort, das ihm aufgetragen war – und dass das Wort wirkte, was es sagte, beglaubigte, dass es in Gottes Namen gesprochen war.
Und genau so denkt und spricht Jesus von sich. Wenn er sagt: Kein anderes Zeichen würde dem Volk gegeben, dann ist es, als wische er all die Zeichen, die er ja zuvor vollbracht hatte, weg, die Heilungen, das Brotvermehren, die Dämonenaustreibungen und die Sturmstillung – so als gälte das alles gar nichts, "und er beschränke sich, wo es um die letzte Entscheidung geht, auf sich selbst, der das Zeichensein des Jona übertrifft. Er überbietet es durch seine eigene Unscheinbarkeit (‚bis zum Tod am Kreuz’ Phil 2,8) in das dreitägige Weilen im Schoß der Erde hinein" (H.U.v.Balthasar). Jesu Tod selbst ist – IST – das Zeichen seiner Auferstehung.
V.
Trotzdem ist Ostern nicht einfach ein inneres, geistiges Geschehen. Es hat vielmehr eine greifbare Außenseite, ein menschlich wahrnehmbares Echo sozusagen, wie unser Evangelium erzählt, wenn es gleich am Ende der ersten Begegnung mit dem Auferstandenen auf einmal von Sündenvergebung spricht. Das, das Sünden vergeben, ist die Sendung der Ostermenschen. Der Auferstandene vertraut ihnen seine eigene Sendung, die er vom Vater empfangen hat, an, damit sie sie ihrerseits fortsetzen sollen: die Versöhnung zwischen Gott und den Menschen. Was er durch sein Tun und Leiden – durch Leben und Sterben - gewirkt hat, wird den Jüngern übertragen. Indem sie Menschen mit Gott wieder versöhnen, tun sie, was er tat. Wo sie es tun, wird die Schöpfung erneuert, wo sie es nicht tun, bleibt das Alte. Darin gründet das Gewicht von Ostern für uns Christen. Nicht als Freilichtaufführung eines Himmelsdramas geschieht Auferstehung, Aufstehen und Herausgehen aus den Verstrickungen der Angst, sondern an den Christinnen und Christen selbst ereignet sich das, an uns.
So erleben sie, dass nicht unmöglich und nicht vergeblich ist, wofür er mit Leib und Leben stand. Ist etwas nicht vergeblich, bleibt es gültig und bestehen. Wenn Menschen auf die Jesusgeschichten der Jünger, der Christen hin sich Gott wieder zuwenden, wirkt der Gekreuzigte weiter das, was er als Lebender tat. Und das heißt: Er lebt. Das Sündenvergeben macht Ostern wahr. Wo Menschen einander Böses nicht aufrechnen, sondern einen neuen Anfang gewähren, da fängt Ostern an, da geben sie Zeugnis für den gekreuzigten Auferstandenen, ob sie es wissen oder nicht. Ostern ist, obwohl ein Geschehen im Innersten, eben keine bloße Idee, sondern eine Wirklichkeit, die bis zum Äußersten geht – denn was könnte äußerster sein als dass Böses in der Macht der Vergebung entmächtigt wird! Das ist den Jüngern anvertraut – also heute uns. Die Erfahrung machen und weitergeben werden wir, wenn wir uns an das halten, was der Auferstandene dem kritischen Thomas rät.