Auf Hoffnung gestellt

33. Sonntag C: Lk 21,5-19



I.
Der Schweizer Dichter Alexander Xaver Gwerder schrieb 1952 am Ende eines Gedichts die Zeilen:

Nur eine Sünde gibt’s: die Geburt – nur
eine Hoffnung: den Tod. So
ist es hier, jetzt...
Und wem da noch Hoffnung, dem
sei die Enttäuschung verziehn.

Bald darauf brachte er sich um. Mit 27 Jahren.


II.
Was hätte er auch anderes tun sollen, wenn er von dem überzeugt war, was er im Gedicht schrieb? Hoffnung für sein Leben konnte er sich nicht vorstellen. Nur Hoffnung dagegen. Dass es endlich aus sei. Verzweiflung muss seine Seele überflutet haben. Gwerder ist kein Einzelfall. Gar nicht wenige handeln ähnlich wie er. Und noch viele mehr denken so ähnlich, schrecken aber davor zurück, den letzten Schritt zu tun. Lebensträume zerplatzt, die Ansprüche des Alltags kaum zu ertragen, die Nähe eines lieben Menschen verspielt, in nicht wieder gutzumachende Schuld verstrickt. Wem wollte man verdenken, wenn er darob das Wort Hoffnung nicht mehr in den Mund nimmt? Wenn er nicht mehr fragt, wie er mit dem Leben fertig wird, weil er mit dem Leben fertig ist?


III.
Aus den letzten Tagen Jesu vor seiner Verhaftung überliefert das Evangelium ein paar rätselhafte Worte aus seinem Mund, die mit eben dieser Lebensnot zu tun haben. Als Jesus im Tempel hört, wie ein paar Leute den heiligen Bau bewundern, da kündigt er ihnen an, dass kein Stein vom Tempel auf dem anderen bleiben wird. Für gläubige Juden war das das klare Signal, dass das Ende der Welt und Zeit gekommen sei. Das Evangelium widerspricht dem: Es sieht die Zerstörung des Tempels in der Zeit geschehen, sieht Kriege und Unruhen heraufziehen, kosmische Katastrophen hereinbrechen und weiß von einer schlimmen Verfolgung der Christen, die quer durch Familien sogar gehen wird, bevor das Ende kommen wird.

Man muss wissen, dass der Evangelist Lukas damit von Dingen spricht, die sich zu seiner Zeit tatsächlich schon ereignet hatten: Der Tempel zerstört, politische Aufstände, Katastrophen, Kirchenverfolgung. Und immer noch war die Welt nicht am Ende. Was soll noch alles kommen? Man muss auch wissen, dass Lukas sozusagen von Ostern her sein Evangelium schreibt. Er weiß darum, dass nicht einmal durch die Katastrophe des Karfreitags hindurch widerlegt wurde, was Jesus sagte und was er war. Er weiß: Auferstehung heißt: Gott hält alles in der Hand, das Leben und das Sterben. Nichts ist darum umsonst. Und nichts muss uns ängstigen.

Von diesem Osterpunkt aus vermag er dann zu entdecken, dass auch noch dem Durcheinander der Welt, wie er sie erlebte, unübersehbare Hoffnungszeichen eingeschrieben sind: Die Kirche wird verfolgt – aber das Auseinanderstieben der Christen, ihre gerichtliche Verfolgung werden zum Anlass dafür, dass sie öffentlich Glaubenszeugnis ablegen und oft genug einstige Widersacher zu überzeugen vermögen, denken Sie etwa an das Martyrium des Stephanus, in das offenkundig Saulus verstrickt war, der sich bald danach bekehrt und zum großen Völkerapostel wird. Historisch gesehen war es tatsächlich: Durch die Verfolgung breitete sich die Kirche über Israel hinaus nach Ägypten, Syrien, Kleinasien, wahrscheinlich bis nach Indien aus.

Mitten in der Bedrängnis – weiß Lukas -, brauchen sich die Christen nicht mehr zurechtlegen, was sie ihren Gegnern sagen sollen. Wo es hart auf hart geht, kommen ihnen die Worte wie von selbst über die Lippen. Der Herr gibt’s ihnen ein, sagen sie dafür. Und viele erfahren sich durch den Schwall des Hasses hindurch immer wieder noch einmal so bewahrt, dass ihnen kein Haar gekrümmt wird.

An all das erinnert Lukas, um uns zu sagen: So wie es damals war, ist es mit dem Leben immer: Nichts bleibt im Leben, wie es war. Nicht einmal das, was uns ein und alles, unser Heiligstes unser Tempel ist, besteht für immer und unverrückbar – wie es Jesus gesagt hat. Manchmal wankt uns der Boden unter den Füssen, alles zerbricht, worauf wir uns verlassen. Unrecht wird uns angetan. Und trotzdem ist das nicht das Ende. Auch dem schlimmsten Durcheinander im Leben ist – wie verborgen vielleicht auch immer – das Wort Hoffnung eingeschrieben. Wer sich und sein Leben mit den Augen des Glaubens anschaut, wird es entdecken. Darum, Christen, so schließt Lukas -, habt keine Angst. Bleibt standhaft! Dann verliert ihr euch nicht. Auch was ihr nicht mehr versteht, was ihr nicht mehr beherrscht – Gott hat es in seiner Hand.


IV.
Martin Buber, der Jude, besuchte einmal seinen Freund, den Breslauer katholischen Theologen Joseph Wittig. Dem wurde von seiner Kirche bitteres Unrecht getan; man verurteilte ihn, enthob ihn seines Amtes, verbot ihm den Mund, suchte ihn menschlich niederzumachen. Buber schrieb ihm bei dem Besuch ins Gästebuch:

Gott ist ein großer Bauer.
Er sät den Samen hin,
Sein Armschwung ist die Dauer,
sein Schreiten ist der Sinn.
Wer solche Hoffnung teilen kann, wird getröstet leben.