Ernst gemeint
Taufe Jesu C: Lk 3,15-16. 21-22 + Apg 10, 34-38
I.
Fast drei Wochen lang haben wir Weihnachten gefeiert. Wir haben den vertrauten Geschichten aus den Evangelien nachgesonnen, die alten Lieder gesungen, haben auf die Krippe und den Christbaum geschaut. Und all diese äußeren Dinge wollten nur eines: uns nahe bringen, wer Gott ist. Einer, dem nichts zu viel ist für uns. Einer, dem die Armseligkeiten unseres Daseins, die es geben mag, nicht nur nicht fremd bleiben, sondern der sie mit uns teilt, damit wir nicht mutlos werden darin und damit wir erahnen, dass keine von ihnen das letzte Wort über uns behält, sondern er. Und er allein. Das verkündet die Weihnachtsgeschichte.
II.
Was die Evangelisten so über den Anfang des Lebens Jesu aus gläubiger Betrachtung niederschrieben, hat seinen Ursprung freilich in einem Ereignis des Lebens Jesu, das man schlichtweg dramatisch nennen muss. Es ist das erste Ereignis, das uns aus dem öffentlichen Auftreten Jesu mitgeteilt wird: Jesu Taufe am Jordan. Darum wird uns von ihr heute, am letzten Tag der Weihnachtszeit erzählt. Jahrhundertelang hatte die Kirche größte Probleme mit dieser Geschichte - denn wie konnte sein, dass er, den sie als Sohn Gottes bekannte, in allem uns gleich außer der Sünde, - dass der die Bußtaufe des Johannes empfing? Am liebsten hätte man die Geschichte aus dem Evangelium gestrichen. Aber sie blieb, weil die Christen mehr und mehr begriffen, dass in diesem Ereignis das innere Wesen Jesu, ja das Wesen Gottes selbst aufzuscheinen begann. In der Taufe Jesu wird unübersehbar, wie ernst es Gott mit seiner Zuneigung zu uns, seiner Sympathie für uns ist. Diesen Ernst bis zum Grunde nachzuvollziehen, mag gar nicht leicht sein. Folgende Geschichte aus Brasilien hilft uns dabei vielleicht.
III.
Ein Maisbauer, Domingos hieß er, wollte gerade zur Feldarbeit aufbrechen. Da kam sein ältester Sohn, Janjao. Er hatte an diesem Tag Geburtstag. Und er erinnerte den Vater an das versprochene Geschenk: ein Junges aus einem Sittichnest, das der Vater in der Nähe seines Feldes entdeckt hatte. Am Abend wollte Domingos schon den Heimweg antreten, da fiel ihm der Wunsch seines Buben wieder ein. Nochmals legte er sein Werkzeug ab und stapfte über dürres Gestrüpp zu dem Baum, wo sich in einem Astloch das Sittichnest befand. Behutsam griff er mit seiner schwieligen Hand hinein und suchte nach einem Vogeljungen. Da zuckte ein stechender Schmerz durch seine Hand. Verstört zog er sie zurück; deutlich waren zwei nebeneinander liegende Punkte auf dem Handrücken zu sehen. Im nächsten Augenblick erschien in dem Astloch ein länglicher, von einem Kreuz gezeichneter Kopf und sah ihn aus kleinen Augen böse an. Eine Urutu hatte ihn gebissen, gegen deren Gift es kein Mittel gab. Und er allein - mehr als eine Stunde vom Dorf entfernt. Die Gedanken jagten sich in Domingos Kopf. Er dachte an seine Frau, an die sechs Kinder und das siebte, das unterwegs war. Und im nächsten Moment gab er sich einen Ruck, legte seine Hand auf einen Baumstumpf neben ihm, holte mit dem Buschmesser aus und schlug sie sich ab. Schnell verband er den Stumpf mit Fetzen, die er von seinem Hemd riss. Dann machte er sich, so schnell er konnte, auf den Heimweg.
IV.
Die Geschichte ist nicht erfunden. Wahnsinn - und doch das einzig Richtige. Der Mann opferte seine Hand, um am Leben zu bleiben und so das Leben seiner Frau und der Kinder zu erhalten, die ohne ihn in bitterste Not geraten würden. Um ihretwillen gibt Domingos ein Stück dran von sich. Für immer wird er gezeichnet bleiben. Aber die Seinen werden leben. Und er mit ihnen.Etwas noch Dramatischeres geschieht in der Taufe Jesu. Der, den nichts von Gott trennt, - also der, der das absolut nicht nötig hat, steigt mit den Sündern, also den von Gott Abgewandten in den Jordan hinab. Er macht sich ohne Not den Sündern gleich. Er doziert nicht von oben, wie richtig leben geht, sondern: er geht mit uns sogar noch auf den verkehrten Wegen, um so mitten in den Verkehrtheiten durch seine Verbundenheit, seine Sympathie, uns zur Umkehr zu bewegen. So ernst ist Weihnachten gemeint. Weihnachten heißt: Gott hält sich nicht heraus aus der Welt. Nicht einmal aus der Sünde. Er lässt sich treffen von ihr. Wie und mit welchen Folgen, das wird uns die Passionsgeschichte in der Karwoche erzählen.
Die Taufe Jesu ist darum so etwas wie das Scharnier zwischen Weihnachten und Ostern: Nachhall davon, dass Gott sich mit Weihnachten der Welt ausliefert, und Vorschein, wie er selbst die bittere Last der Sünde brechen wird: durch die Wehrlosigkeit der Güte. Den Anfang dieser atemberaubenden Geschichte haben wir in den vergangenen Wochen mit Weihnachten gefeiert. Jetzt sind wir nach Ostern unterwegs.
V.
Was die Zwischenzeit bis dahin prägt, legt uns Petrus in seiner Predigt ans Herz, die wir vorhin aus der Apostelgeschichte gelesen haben. Da fasst der Apostel den Anfang des öffentlichen Auftretens Jesu zusammen: Bei der Taufe am Jordan, sagt Petrus, hat Gott Jesus von Nazaret gesalbt und mit dem Heiligen Geist und mit Kraft; dann zog Jesus umher; er tat Gutes und heilte alle, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm.
Dass Jesus geboren wurde, hatte von Anfang in Gott seinen Grund und von Gott her ein ganz genaues Ziel, will Petrus damit sagen. Dieses Ziel war eine Aufgabe. Gott selbst hat Jesus für diese Aufgabe ausgerüstet - das meint das "mit Geist und Kraft gesalbt". Und diese Aufgabe bestand darin, Gutes zu tun und alle zu heilen, die in der Gewalt des Teufels waren, die also - in Worten von heute gesagt - ihrer selbst nicht mehr mächtig waren, umtrieben wurden von Zwängen, die ihr Leben Stück um Stück zerstörten. Gutes tun und Menschen wieder zu sich selbst kommen zu lassen - dazu wusste sich Jesus von Gott gesandt.
Weil Jesus auf diese erlösende Weise auf Menschen wirkte, haben Menschen, die das an sich selbst erfuhren, später vom Anfang des Lebens Jesu so erzählt, dass in diesem Anfang schon aufstrahlte, was er später gewirkt hat. So entstanden die Weihnachtsgeschichten. Darum aber konnten sie umgekehrt auch sagen: Jesu Geburt, also Weihnachten, geschah um dessentwillen, was er dann tat. Weihnachten hat seinen eigentlichen Sinn darin, dass uns durch Jesus Gutes geschieht und wir uns wieder selbst geschenkt werden, wenn wir uns verloren haben. Oder kürzer gesagt: Weihnachten geht im Gutes-Tun und im Heilmachen menschlichen Lebens weiter.
In Irland singt man bis heute ein altes Weihnachtslied, das genau dies zum Ausdruck bringt. Es heißt:
- Wenn der Gesang der Engel verstummt ist,
Wenn der Stern am Himmel untergegangen,
Wenn die Könige und Fürsten heimgekehrt,
Die Hirten mit ihrer Herde fortgezogen sind,
Dann erst beginnt das Werk von Weihnachten:
Die Verlorenen finden,
Die Zerbrochenen heilen,
Den Hungernden zu essen geben,
Die Gefangenen freilassen,
Die Völker aufrichten,
Den Menschen Frieden bringen,
In den Herzen musizieren.
VI.
Dieses alte Lied ist im Grunde ein Echo dessen, was die ersten Christen über Jesus gedacht und Apostel wie Petrus über ihn gepredigt haben: Verlorene finden, Zerbrochene heilen, Hungernden zu essen geben, Gefangene freilassen, Völker aufrichten, in den Herzen musizieren. Wer als Christ Weihnachten ernst nimmt, der kann gar nicht anders, als sich um all das zu mühen. Weihnachten bleibt ja nur wahr, wenn es darin weitergeht, dass Menschen - von Jesus beseelt wie er von Gott beseelt war - seinen Dienst am Leben fortsetzen.
Weihnachten hat offenbar gemacht: Menschsein hat auf engst mögliche Weise mit Gott selbst zu tun und umgekehrt. Das gibt menschlichem Leben eine unvergleichliche Würde, jedem einzelnen. Es ist völlig gleichgültig, ob eines dieser Wesen groß oder klein, gescheit oder dumm, kunstfertig oder behindert, erfolgreich oder erfolglos, unschuldig oder schuldig ist. Seine Würde ist davon unabhängig und unantastbar. Darum auch verlangt christlicher Glaube gebieterisch, diese Würde zu verteidigen, wo sie bestritten wird, und sie wiederherzustellen, wo sie niedergehalten ist - ohne Ansehen der Person und der Umstände.
VII.
So hat Jesus selbst es gehalten. Die, die sich auf ihn berufen, werden ihm darin nachfolgen. Auch für sie wird Weihnachten darum ein Anfang sein. Das Fest ist mit heute aus. Das, was wir gefeiert haben, bleibt uns das ganze Jahr aufgegeben.