Gottes Entschiedenheit
Pfingstmontag C: Joh 3,16-21
I.
Ein Bauernmädchen war auf dem Weg zu seinem Geliebten. Es kam an einem Mullah, einem Frommen, vorüber, der gerade betete. Da Mädchen ging einfach an ihm vorüber, ohne ihn, wie vorgeschrieben, ehrfürchtig zu grüßen. Der Mullah war darüber zornig. Als das Mädchen auf dem Rückweg wieder vorbeikam, schimpfte er sie für ihr Vergehen: Was hast du für eine Sünde begangen, als du, ohne mich zu beachten, an mir vorübergingst, während ich betete. – Das Mädchen antwortete: Was ist das, Beten? – Der Mullah erwiderte: Ich dachte an Allah, den Herrn des Himmels und der Erde, und hielt Zwiesprache mit ihm. – Da sagte das Mädchen: Es tut mir leid. Ich weiß kaum etwas von Allah und vom Beten. Ich war auf dem Weg zu meinem Geliebten und war ganz von dem Gedanken an ihn erfüllt. Da war kein Platz für etwas anderes. Ich sah also nicht, dass du gebetet hast. Aber wie konntest du mich sehen, wenn du nur an Allah dachtest?
II.
Ganz schön frech, diese Frage. Aber sie trifft den Nagel auf den Kopf. Der Fromme hatte beim Beten offenkundig nicht nur gebetet, sondern sich selber zugeschaut und darum auch aufgepasst, ob die Vorübergehenden ihn gebührend ehrten. Er war nicht bei der Sache, wie man so sagt. Ganz anders dagegen das Mädchen. Es war so erfüllt von dem Gedanken an den Geliebten, den es bald sehen würde, dass es nichts anders mehr geben konnte. Die Liebe der Liebenden entlarvt einfach dadurch, dass sie ist, die Frömmigkeit dieses Frommen als das, was sie ist: Heuchelei und Eitelkeit. Das vermag sie durch ihr unbedingtes Entschiedensein: Kein anderer Gedanke konnte neben demjenigen an den Geliebten Platz finden.
III.
Die frühen Christen mussten manchmal kurz und bündig sagen, was sie denn eigentlich glaubten. Das war wichtig z.B., wenn von ihnen Rechenschaft über ihr Verhalten gefordert wurde, oder wenn sie missionarisch neue Glaubensgeschwister zu gewinnen suchten. Dann redeten sie manchmal ganz ähnlich wie unsere Geschichte von dem Mullah und dem Mädchen. Zum Beispiel im heutigen Evangelium. Da geht es auch um Entschiedenheit und was sie bewirkt.
Die Entschiedenheit freilich, um die es hier geht, ist die Entschiedenheit Gottes. Entschiedenheit wofür? Für die Welt und die Menschen. Das hatten die frühen Christen durch Jesus entdeckt. Schon zu seinen Lebzeiten hatten sie in dem, was er sagte und tat und wie er war, eine einmalige Verbundenheit zwischen ihm und Gott gespürt. Für sie war er schließlich auch in den Tod gegangen. Aber nicht einmal das Kreuz hatte diese Verbundenheit zerstören können, wie ihnen an Ostern aufging. Vielmehr hatte das Kreuz selber etwas über das Innerste Gottes verraten: Wenn Gott sein Liebstes, an dem sein Herz hängt, dafür darangibt, dass die Menschen wieder erkennen, wer er wirklich ist und sich ihm wieder anvertrauen, dann muss der letzte Grund von allem, was geschehen ist, Gottes Liebe, seine unbedingte Entschiedenheit für die Menschen und ihre Welt sein.
Gott hat die Welt nicht ins Dasein gestoßen und lässt sie nun wie ein Uhrwerk abschnurren, gleichgültig, was am Ende dabei herauskommt. Wie Jesus war und was mit ihm geschah, hat offenkundig gemacht, dass es Gott um einen guten Ausgang dieses Abenteuers geht. Nicht die Verwerfung, sondern die Vollendung soll das letzte Wort bekommen. Dafür tritt Gott selber ein mit buchstäblich allem, was ihm zu Gebote steht: Mit sich selbst – und für alle, weil er als Gott von allem das für alle tut.
IV.
Weil Gott mit Jesus schon in solcher Entschiedenheit gehandelt hat, verändert sich die Situation derer, für die er das tat, grundlegend: Da sogenannte "jüngste Gericht" geschieht nicht irgendwann, sondern bereits jetzt in dem Augenblick, da ein Mensch Stellung nimmt zu diesem Tun Gottes. Wer sich seine zuvorkommende Zuwendung in Jesus schenken lässt, indem er an diesen Jesus glaubt, für den ist das Gericht kein Thema mehr. Er hat es hinter sich, weil er sich durch den Glauben aus"richten" lässt auf Gottes Ziel und Willen hin. Nicht glauben bedeutet demgemäß: Sich bewusst jenseits von dem stellen, wofür Jesus steht. Oder anders: Mit Gottes Entschiedenheit für den guten Ausgang nichts zu tun haben wollen.
V.
Auf eine solche Idee aber, so ist das Evangelium überzeugt, kann im Letzten nur kommen, wer etwas zu verbergen hat. Gottes Entschiedenheit für uns in Jesus macht offenkundig, wie er den Menschen und die Welt gemeint hat. Gleichzeitig bringt sie ans Licht, wie es in Wahrheit um die Welt und den Menschen steht. Durch sein bloßes Kommen hat Jesus entlarvt, wo überall es dem Menschen gar nicht um Gott und das von ihm gewollte Gute geht, sondern um eigene Absichten, die dazu im Widerspruch stehen. Genauso, wie die lautere, unbedingte Liebe des Mädchens in der Geschichte die Heuchelei des Beters entlarvt hatte. Darum muss, wer Böses tut, dem Licht, also Jesus, aus dem Weg gehen.
Dahinter steht nicht eine anmaßende Einteilung, die von vornherein weiß, wer gut und wer böse ist – auch wenn in der Geschichte der Kirche manchmal so dahergeredet worden ist. Vielmehr steht dahinter ein Aufruf: Die Christen waren von Anfang an ehrlich genug, einzugestehen, dass alle Sünder sind. Aber das hat sie nicht entmutigt, sondern angespornt, sich dem Licht Jesu auszusetzen, in diesem Licht anzuschauen, was falsch läuft, und umzukehren. Den Mut dazu machte ihnen die Gewissheit, dass Gott für sie entschieden ist; davon hatte sie Jesus überzeugt. Und weil diese Entschiedenheit unwiderruflich ist, kann sie heute noch genauso beantwortet werden wie damals am Anfang. Den ersten Schritt hat Gott schon getan. Jetzt sind wir an der Reihe. Wer sich nicht selbst betrügen will, wird nicht zögern.