Auf Du und Du
3. Fastensonntag C: Ex 3,1-8a.13-15
I.
Wo immer einer auf der Welt Soldat wird, lernt er zuerst zwei Dinge: das "Gleichschritt marsch!" und den militärischen Gruß – zackig die Fingerspitzen an das Schiffchen gelegt. So erweisen Soldaten einander die Referenz. Wohl wenige nur werden noch wissen, woher diese Art zu grüßen kommt. Sie geht auf die Zeit der Ritter zurück. Wenn sich ihrer zwei begegneten, so eingepackt und eisenstarrend in ihren Panzern, dann klappten sie das Visier hoch, um einander ihr Gesicht zu zeigen.
II.
Nichts verachtet das Kriegshandwerk mehr als Gefühle. Und doch hat sich mitten in ihm diese Geste erhalten – vielleicht als letzte, ferne Erinnerung daran, dass auch noch hinter dem Befehlen und dem Gehorchen Menschen stehen. Wer das Visier aufmacht, gibt sich zu erkennen, teilt etwas von sich mit, macht sich verletzlich sogar. Das ist immer riskant. Aber anders kann es Begegnung nicht geben zwischen Menschen. Nicht nur bei den Rittern damals. Auch wir begegnen und verstehen einander nicht, wenn wir uns nicht auftun füreinander im buchstäblichen Sinn.
III.
Eine der aufregendsten Geschichten der Bibel erzählt davon, dass haargenau das Gleiche auch zwischen Gott und Mensch gilt. Einmal hat sich Gott auf derart unvergessliche Weise aufgetan, dass die Geschichte davon zur Mitte des biblischen Glaubens geworden ist: Mose weidet die Schafe seines Schwiegervaters. Mitten bei dieser Arbeit gibt Gott sich ihm zu erfahren. Natürlich ist so etwas ein ganz und gar innerliches Geschehen. Darum kann es nur bildhaft ausgedrückt werden. Und dieses Bild ist der Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt. Dieses Sinnbild sagt etwas Doppeltes: Wie Gott ist und wie der Mensch sich fühlt, wenn er Gott begegnet, also wenn ihm aufgeht, wer er eigentlich ist:
Wie ein nutzloser Dornstrauch kommt er sich vor, der zu nichts taugt, höchstens umgehauen wird. So unvollkommen, so überflüssig, dass ihn dieses Gefühlt wie ein loderndes Feuer aufzehren möchte. Aber genau das geschieht nicht. Auch vor Gott wird der Mensch, dieses Staubkorn nicht nichts. Die brennende Erkenntnis, wie er und wie es um ihn vor Gott steht, verbrennt ihn nicht. Und das hat mit der Wesensart Gottes zu tun: Gott ist eine Macht, der nichts Einhalt gebietet – ja -, aber eine Macht, die nicht Zerstörung wirkt und nicht Zerstörung braucht, um selbst zu bestehen. Eine Macht, wie sie unter Menschen nicht vorkommt. Eine Macht, die im Gegenteil will, dass das andre, das sie nicht ist, sei und lebe. Das ist ihr Geheimnis. Mose – und wir mit ihm – können es nicht durchschauen, nur über es staunen. Darum der Abstand der Ehrfurcht, den Mose zum Dornbusch einhält, und das Ablegen der Schuhe, weil er sich vor dem Dornbusch auf heiligen Boden, auf dem letzten Fundament seines Daseins weiß.
Der Gott, der so ist, wie er sich dem Mose zu erfahren gibt, teilt dem Mose in dieser Begegnung etwas mit: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr lautes Klagen gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und sie hinaufzuführen in ein schönes, weites Land. – Nicht irgend etwas sagt Gott damit dem Mose, sondern das, was gänzlich seiner Wesensart entspricht: Macht zu sein – nicht eine, die niederhält, sondern die leben lässt und Befreiung schafft. Daraus, wie Gott ist, wächst dem Mose die Berufung zu, sein Volk in die Freiheit zu führen. Im Auszug aus dem Sklavenhaus ins gelobte Land hinüber teilt Gott sich selbst mit.
Mose zweifelt daran nicht. Er versteht. Aber er weiß nicht, wie er das, was ihm da im Innersten aufging, den Leuten seines Volkes verständlich machen soll. Vor allem werden sie ihn ja fragen, wer denn der Gott sei, in dessen Namen ein so tollkühnes Unterfangen wie die Flucht aus Ägypten gelingen soll. Darum gibt dieser Gott dem Mose seinen Namen mit: Ich bin der Ich-bin-da. Hebräisch: asher ejeh asher. Griechisch: Ego eimi ho on. Lateinisch: sum qui sum. Immer wieder – bis heute übrigens – ist dieser Gottesname, das Tetragramm in seiner Urform und seinen Übersetzungen so etwas wie ein Treibsatz im okzidentalen philosophischen Denken gewesen. Die christlichen Neuplatoniker, die Scholastiker, neuzeitliche Denker wie Nikolaus von Kues, ein Carl Leonhard Reinhold, ein Herder, ein Franz von Baader waren fasziniert davon. Und die Juden begegnen bis heute dieser Selbstkundgabe Gottes mit tiefster Ehrfurcht: Sie scheuen sich, das Tetragramm buchstäblich auszusprechen, unterlegen es deshalb mit den Vokalzeichen für das Wort "Adonai" (Herr) und sprechen es auch so aus. Nicht einmal das Zahlwort benutzen sie, das sich im Hebräischen aus den Konsonanten des Gottesnamens ergibt: die 15. Statt dessen schreiben sie 9 + 6.
Seinen tiefsten Kern hat all dies darin, dass man diesen Gottesnamen eigentlich gar nicht richtig übersetzen kann. Denn dieser Gottesname ist wörtlich genommen ein unvollständiger Satz und heißt: "Er erweist sich als...". Dieser Satz verlangt danach, ergänzt und also vollständig zu werden. Immer wieder. Immer neu in jeder geschichtlichen Situation, in der er ausgerufen. Und die erste Ergänzung, die er bekommt, wird heißen: Er erweist sich als der Befreier – im Auszug, den er dem Mose aufträgt. Mit der Geschichte vom Anfang dieser ersten Vervollständigung des Dornbuschnamens – der Erzählung von der Pessach-Nacht – werden wir am Gründonnerstagabend die Feier der Heiligen Drei Tage beginnen.
IV.
Aber damit ist der Name Gottes nicht ausgeschöpft. Der kleine Satz will immer neu ganz gemacht werden. Das ist mein Name für immer, heißt es ja. Gottes Name macht sein Wesen aus. Sein Wesen ist: Macht, die Freiheit schafft und leben lässt, gerade das kleine zerbrechliche Leben, das wir das unsere nennen. Wo immer dem Leben aufgeholfen, wo es geschützt und gestützt wird, da erweist sich Gott. Und natürlich auch umgekehrt: Wo Gottes Namen ausgesprochen wird, kann gar nichts anderes geschehen als Verteidigung von Leben. Denn Gottes Wesen ist: etwas für uns übrig, nein: ein Herz für uns haben.
In einer alten rabbinischen Predigt zur heutigen Lesung heißt es: Der Heilige, gelobt sei Er, sprach zu Mose: Fühlst du denn nicht, dass ich mich in Schmerzen befinde, genau wie Israel sich in Schmerzen befindet? Merke es an dem Ort, an dem Ich mit dir rede – aus den Dornen! Gott ist uns und wir sind ihm nicht fremd. Nirgends. In den Dornen nicht. Nicht in dem Kummer, der manchmal über dem leben liegt. Und nicht einmal dann, wenn wir uns selbst einmal genommen werden. So leuchtet auch im brennenden Dornbusch schon der Vorschein des Ostermorgens mit, auf den wir uns vorbereiten.