Gott, christlich
4. Ostersonntag C: Joh 10,27-30
I.
Gott,
Christus, Sünde, Güte, Segen – alles Hauptwörter unseres Glaubens. Was
bedeuten sie? Was bedeuten sie uns? Es ist keine Schande, wenn einer –
so gefragt – eine Weile mit der Antwort zögert. Und wenn er auf diese
Weise eingesteht, wie wenig selbstverständlich ihm ist, was diese Worte
meinen, die ihm so glatt über die Lippen zu gehen pflegen. Es gibt in
eines Menschen Seele nicht nur Gottes Nähe, sondern manchmal und
manchmal sogar oft auch Gottesnächte. Wo alle Gewissheit schwindet, die
einer zu haben meint. Die Heiligen und die Dichter kennen das.
II.
Einer von ihnen, der auf seine Weise vielleicht beides war, der russische Jude Ossip Mandelstam schrieb einmal:
Dein Gesicht, das quälend ungewisse –
Nicht erkennbar, dunkle Nacht.
"Herr", so sprach ich selbstvergessen,
Sprach es aus ganz unbedacht.
Gottes Name, groß, ein Vogel –
der aus meinem Innern fährt.
Vor ihm – dichte Nebelwogen,
Hinter ihm – ein Käfig leer.
Gott, so wenig zu begreifen, so wenig zu besitzen, dass nur noch ein dunkler Schatten – wenn überhaupt – und in uns eine Leere bleiben – Hohlformen, die daran erinnern, dass da etwas fehlt. Ich denke, auch Gläubige müssen mit dieser Erfahrung der Gottentzogenheit ernst machen – damit sie sich nicht über ihn selbst, über das Heilige hermachen. Es gibt kein Jenseits, in dem Gott wäre. Er ist es in Person. Und wir stehen jenseits von ihm. Wo Gott nicht ist – sind wir. Und doch ist mit Jesus in unser Suchen und Fragen nach Gott etwas hineingekommen, das all das bis zum Grund verändert.
III .
Davon redet das heutige Evangelium. Es tut das
in dem uralten orientalischen Bild vom Hirten und seiner Herde. Es ist
ein Bild der Vertrautheit, das Ruhe ausstrahlt. Kein Geschrei, keine
Kommandos, kein Befehlston. Vielleicht haben Sie schon einmal aus der
Nähe erlebt, wenn eine große Herde – in ihrer Mitte der Hirt – über die
Weide zieht. Dieses langsame Vorangehen, damit keines der Tiere
zurückbleibt, die Umsicht des Hirten, wo Gefahr droht. Die
Zutraulichkeit, die selbst die ängstlichen Schafe in der Nähe des
Hirten bleiben lässt, während sie davonlaufen, wenn sich ein Fremder
auch nur von Ferne nähert.
So ist es auch mit Jesus und den Christen, sagt das Evangelium. Sie kennen seine Stimme, kennen sie heraus aus allen anderen; müssen sie nicht erst mühselig unterscheiden. Was er sagt, der Ton, die Worte, sind ihnen zutiefst vertraut. Ja: Was Jesus von Gott und vom Leben zu sagen hat, ist nichts Neues. Sondern er deckt - das freilich auf absolut neue Weise – auf, was an solcher Wahrheit seit Urbeginn in jedes Menschen Seele gelegt ist: Dass er sich vor nichts und niemand zu ängstigen braucht, weil doch Gott um ihn Sorge trägt – ihn, das zerbrechliche Wesen – und mit den Augen der Güte auf ihn schaut – wie ein guter Hirt. Mit dieser Wahrheit macht Jesus die Seinen wieder vertraut, indem er ist, wie er ist.
Er sagt von sich: Ich kenne meine Schafe. Kennen meint in der Bibel nie ein einfaches Bescheidwissen, sondern: um jemand wissen, also: ihn verstehen, seinem Geheimnis, dem Großen und dem Dunklen seiner Seele nahe sein. Solches Kennen hat mit Mögen zu tun. Einzig damit kann ja ein Hirt auch ein guter Hirt sein, weil er nur so weiß, was dem ihm Anvertrauten Not tut. So auch bei Jesus und denen, die seine Herde heißen. Was er sagt und wie er ist, lässt sie gewiss sein, dass er ihnen gut will – gut auf eine Weise, die unbedingt heißt. Er selbst sagt dafür: Ich gebe ihnen ewiges Leben. Das meint: Diesem Hirten zu folgen, bringt auf einen Weg, der, was wir tun und lassen, gültig macht vor Gott. Vor Gott gültig sein aber heißt: endgültig sein, also ins Ewige gehören. Daher das kühne Versprechen des Hirten Jesus, in seiner Obhut werde es für uns kein ewiges Verderben geben. Christ sein heißt: das wörtlich nehmen! Leid nicht, Schuld nicht, Schicksal nicht, nicht einmal das Sterben kann zunichte machen, was unter das Zeichen des guten Hirten, unter seinen Namen gestellt ist.
IV.
Er versinnbildet, was Gott für uns übrig hat. Dass es
so ist, mag manchmal, mag oft für uns unerkennbar sein. Weil Gott so
groß ist für unser Begreifen – bis dahin, dass uns scheint, er sei gar
nicht. Aber: Ich und der Vater sind eins, sagt der Hirte Jesus. Wie er
war, so ist Gott. Das ist viel. Und wir verstehen es. Das genügt.