Was beim Beten geschieht

29. Sonntag C: Lk 18, 1-8


I.
Ein altes Sprichwort sagt: Not lehrt beten. Das stimmt oft. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Denn genauso oft geschieht es, dass gerade in der Not das Beten selber auch noch zur Not wird. Ich denke mir, gar nicht so wenige von Ihnen kennen das aus eigener Erfahrung: Da ist so viel schief gelaufen, dass es schlimmer gar nicht mehr kommen kann. Oder einer muss sich eingestehen, dass er sich aus eigener Schuld um Zukunft, Beruf oder Familie gebracht hat. Passiert so etwas, dann fängt mancher zu beten an, dem in der Zeit davor Gott und Glaube mehr oder weniger gleichgültig geworden waren. Hilf mir!, lauten diese Gebete dann immer. Hilf mir, Gott, dass ich wieder herauskomme aus der ganzen Verfahrenheit!

II.
Ganz schnell aber mischen sich einem, der so aus einer Not heraus auf einmal wieder zu beten anfängt, Zweifel ins Gebet, vor allem, wenn er eine zeitlang betet, aber sich nichts zu ändern scheint. Da kommen dann wie von selber die Fragen: Hilft das Beten überhaupt? Hat es einen Sinn, mit Gott zu reden? Und noch einmal nicht recht viel später werden aus solchen Fragen Urteile: Hilft ja doch nichts! Ist sowieso alles umsonst.

III.
Solche Not mit dem Beten in der Not ist nichts Neues. Sie war schon den ersten Christen bekannt. Es hat sie gequält, dass sie zu Gott riefen um Hilfe in der Bedrängnis, die ihnen als kleine, schwache Gemeinschaft widerfuhr – und dass sich an ihrer Lage nichts zu ändern schien. In diese Situation hinein ist unser heutiges Evangelium gesprochen.

Es handelt sich um ein Gleichnis. Ein Gleichnis muss man nicht erklären. Es spricht für sich. Hören Sie nur: Da ist ein Richter, der sich weder um Gott noch um Menschen etwas schert. Und da ist eine Witwe, also jemand, der nach damaligem recht zu den Hilflosesten zählt. Sie hat Streit mit einem Widersacher, der ihr Unrecht tut. Der Richter hat keine Lust, seiner Aufgabe nachzukommen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Aber die Witwe lässt nicht locker. Hartnäckig bestürmt sie den Richter –bis dem das Ganze zu bunt wird. Er fürchtet sogar, von der Frau eins abzubekommen. Darum bequemt er sich endlich, seine Pflicht zu tun.

Wenn das so ist – und das ist die Spitze des Gleichnisses -, wenn schon so jemand Charakterloser wie dieser Richter der Beharrlichkeit der Bittstellerin nicht widerstehen kann – um wie unendlich viel mehr wird Gott ein Ohr haben für die, die zu ihm schreien. Das ist die Zusage des Evangeliums. Sie nimmt für ihr Gewicht niemanden anderen als Gott selbst in Anspruch, d. h. sie ergeht unbedingt, zu 100 %. Man könnte sie so übersetzen: Wer betet und im Beten nicht nachlässt, kann sich der Erhörung durch Gott gewiss sein.

IV.
Ein starkes Wort. Woraus zieht es sein Recht? Das verrät uns unser Evangelium durch seinen ersten und letzten Satz – und dadurch, dass es benennt, was Gott denen, die bittend bestürmen, schenken wird. Die Gewissheit, im Gebet erhört zu werden, setzt zum einen voraus, dass der Betende allezeit und beharrlich betet. Er fragt nicht: Wie oft und wie lange muss ich beten? Er zieht nicht Bilanz, ob es sich denn schon gelohnt habe. Sondern er betet. Er betet unabhängig von dem, was gerade geschieht. Daraus ergibt sich eine zweite Voraussetzung der Erhörung wie von selbst. Das Evangelium kleidet sie in eine beinahe sorgenvolle Frage: Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben finden? So deutet es an, wo es beim Beten oft am meisten fehlt: Am Glauben des Betenden!

Vielleicht fragen Sie jetzt? Gibt es das überhaupt, dass jemand betend bittet und gleichzeitig nur wenig oder gar keinen Glauben, also Gottvertrauen aufbringt? Ja, das gibt es: Es verrät sich immer dadurch, dass ein Beter mit seinen Bitten Gott auf eine ganz bestimmte Form der Erhörung festnageln möchte. Dann traut er Gott nicht zu, die Dinge zu einem guten Ganzen zu fügen. Er hält seine Vorstellung, seine Lösung für besser. Freilich: Gebet ist ein solches Bitten nicht mehr. Eher gleicht es dem Versuch, sich Gott zunutze zu machen. Wer wirklich aus Glauben betet, betet stattdessen zu Gott, auf den er hofft, sogar noch gegen Gott, wie der Beter ihn sich vorstellt.

V.
Von daher wird dann auch verständlich, warum das Evangelium als Erhörung rechten Betens etwas zusagt, woran man in diesem Zusammenhang gewiss nicht zuerst denkt: Er wird – heißt es – denen, die Tag und Nacht zu ihm schreien, Recht verschaffen. Recht hat in der Bibel wenig mit Recht haben und Recht bekommen in unserm Sinn zu tun, sondern mit Gerechtigkeit im gerichtlichen Sinn. Sondern Gerechtigkeit schafft der, der seinem Gegenüber gerecht wird. Einem Menschen gerecht werden heißt soviel wie: Sorge hegen um das, was ihm nottut, seinem Wesen, seinem letzten Woher und Wohin Rechnung tragen.

Dass Gott ebendies tut, treu und unverbrüchlich, weil er Gott ist – daraus schöpft das Evangelium seine Gewissheit, dass jedes aus Glauben kommende Bittgebet erhört wird. Wer auf rechte Weise betet, erbittet dabei gar nicht mehr dies oder jenes, sondern hängt sich gleichsam an Gott und lässt sich von ihm in Vertrauen durch alles hindurchtragen, was kommen mag.

VI.
Eine alte jüdische Geschichte erzählt von Rabbi Pinchas. Der habe gesagt: Das Gebet, das der Mensch betet, das Gebet selber ist Gott. Wenn du von deinem Freund etwas erbittest, dann ist das eine dein Freund und das andere deine Bitte. Nicht so im Gebet. Der Beter, der denkt, das Gebet sei etwas anderes als Gott, ist wie ein Bittsteller, der dem König, den er um etwas bittet, das Erbetene reicht. Wer aber weiß, dass das Gebet selber Gott ist, gleicht dem Königssohn, der sich aus den Schätzen seines Vaters holt, was ihm nottut.

Wenn mein Beten aus Glauben und von Herzen kommt, meint es ihn selbst und nur ihn. Alles andere überlasse ich ihm. Dann sind Gott und Gebet wirklich eins. Und ich darf gewiss sein, nicht ins Leere zu rufen. Denn dann ist Gott bei mir, indem ich bete.