Sagen, was sein wird

Fronleichnam B: Mk 6, 34-44 (zugewählt)

I
Dem Fest Fronleichnam, das wir heute feiern, eignet seit je etwas Besonderes in der Reihe unserer Glaubensfeste. Anders als sonst versammeln sich viele Gemeinden nicht im Gotteshaus. Stattdessen feiern sie das Dankgebet der Eucharistie inmitten der Häuser der Gemeinde und ziehen dann betend und singend durch die Straßen des Stadtviertels. Warum eigentlich tun sie das?

II
Berthold Brecht sagte einmal zu einem Freund über ein Mädchen, das beide kannten: Sie war nicht schön. Aber sie hätte es werden können, wenn es ihr einmal jemand gesagt hätte. – Und genau so etwas tun wir heute: Wir sagen und bedeuten unserer Welt, in der wir leben, was sie sein könnte, damit sie zu werden beginnt, was sie in Wahrheit ist. Aber dazu sprechen wir nicht einfach ein vielleicht gut gemeintes, aber dennoch leeres Wort in den Wind, sondern: wir benennen dazu den Grund unserer Ansage.

III
Diese Begründung ist nichts anderes als das, was wir jetzt hier tun: die Feier der Eucharistie. Christus, der Herr, hat beim Abendmahl Brot und Wein für uns zum Erinnerungszeichen gemacht für das, worauf es ihm ankommt: Brot wird gebrochen, verzehrt und verbraucht, damit wir leben können. So ist das Brot ein Sinnbild der Liebe, also dessen, wovon jeder Mensch vom ersten Atemzug bis zur Bahre einzig zu leben vermag: von der Liebe, die nichts für sich behalten, nichts für sich sein will und sich darum drangibt für den anderen. Und wie solches Brot, so bin ich, sagt uns Jesus: ich habe die Liebe gelebt, ich habe sie gepredigt und ich bleibe ihr auch jetzt treu, da sie mir das Leben kostet, damit ihr begreift, dass – wer der Liebe traut – dass der sein Leben menschlich macht und darum gültig vor Gott. Ostern, die Auferweckung Jesu, ist ja Gottes Beglaubigung, dass es wirklich so ist. Und eben darum trägt das Leben derer, die der Liebe tatsächlich trauen, auch jetzt schon, trotz aller Zweideutigkeiten, die Züge des Festes. Dafür steht das Zeichen des Weines. Es will sagen: überall, wo Menschen im Sinn Jesu, also im Geist der Liebe und des Füreinander, handeln und reden, breitet sich etwas über ihr Tun, was sie froh macht und ihnen gut tut. Und gäbe es anderes, was wir mehr ersehnten als eben dies?

In der Feier der Eucharistie, da wir der Liebe des gekreuzigten und auferstandenen Herrn gedenken und sein Erinnerungszeichen lebendig wird, da schöpfen wir jedes Mal neu den Mut, der Liebe mehr zu trauen als allem anderem im Leben. Das, was wir in unserer so unbeholfenen Theologensprache Wandlungen der Gaben von Brot und Wein nennen, geschieht also überhaupt nicht um seiner selbst willen – gleichsam, um unsern Glauben bis an die Schmerzgrenze auf die Probe zu stellen. Was auf dem Altar geschieht, die sinnenhafte Vergegenwärtigung des Herrn, die Wandlung, zielt vielmehr auf die Verwandlung unser selbst, der Verwandlung unserer Herzen in aufständische, also österliche, Widerstandsnester der Liebe, von denen aus unsere Welt gewiss geduldig, aber unbeirrbar ein anderes, ein menschlicheres, weil gottgewolltes Antlitz erhält.

IV
Dass eben das der Sinn des Altarsakraments ist – und nicht Ausgeburt eines spekulierenden Theologenhirns –, das bezeugt wortwörtlich das heutige Evangelium mit seiner Geschichte von der Brotvermehrung: Eine riesige Volksmenge hungert. Die Jünger wissen typischen Rat: Schickt sie weg, damit sie in den umliegenden Dörfern zu essen finden, sagen sie zu Jesus. Doch seine Antwort: Gebt ihr ihnen zu essen! Das machte sie sprachlos. Wir haben doch bloß fünf Brote und zwei Fische! Wie soll das reichen für diesen Haufen Leute? Sollen wir vielleicht losmarschieren, für alle die Essen kaufen? Und selbst wenn: wer trägt dann die Kosten dafür? Die Jünger sind nüchterne, sind praktische Leute!

Jesu Antwort, wie Lukas sie wiedergibt, verrät alles: Jesus fabriziert nicht irgendeinen Hokuspokus vor den Jüngern, sondern: er heißt die Leute sich setzen, dann nimmt er die fünf Brote und die zwei Fische, blickt zum Himmel auf, segnet sie und bricht sie; dann gibt er den Jüngern, dass sie austeilen an die Leute. Jeder Gläubige, der diese Antwort vernimmt – damals wie heute – kann nicht anders als an die Wandlungsworte der Eucharistiefeier zu denken: er nahm das Brot, sagte Dank, brach es und gab es seinen Jüngern. Mit dieser Antwort will uns das Evangelium lehren: Überall, wo Jesus, der Herr, unter Menschen gegenwärtig ist, also wo sein Geist in der Liebe wirkt, da erweist sich das scheinbar Armselige noch als Reichtum. Wo Liebe das Handeln der Menschen beseelt, da sind sie erfinderisch genug, das Wenige, das sie haben, so zu teilen, dass alle zu essen haben und satt werden. Ja sogar, dass mehr als nötig daraus wird, so dass man zwölf Körbe an Resten davon einsammeln muss. Die Liebe, hervorgegangen aus der Dankbarkeit dafür, dass Gott selbst uns liebhat – sie weiß Menschen aus der ausweglosesten Not noch zu lösen. Unzählige aus der Generation derer, die die Gräuel des vergangenen Krieges am eigenen Leib haben austragen müssen, wissen aus ihrer Erfahrung, dass es das wirklich gibt, das letzte Stückchen Brot, die letzte Zigarettenkippe noch mit einem anderen zu teilen und trotzdem nicht das Gefühl zu haben, um etwas gebracht worden zu sein. Heute sind es vor allem die Basisgemeinden in der Dritten Welt, die leibhaft erfahren, was Brotvermehrung bedeutet.

V
Und wenn heute Gemeinden mit dem eucharistischen Herrn in unserer Mitte durch die Straßen ziehen, dann ist das sinnenfälliger Ausdruck unserer Hoffnung, dass das – im Grunde so unscheinbare, aber dennoch so grundstürzende – Wunder des Christseins, wie es sich in der Brotvermehrung kundtat, – dass dieses Wunder auch unser eigenes Leben und Arbeiten und Sorge ergreife, es verwandle und ihm jenen Glanz von innen verleihe, der die Glaubenden froh macht und die Nichtglaubenden fasziniert.

Oftmals erfahren wir diese Welt nicht nur als nicht schön, sondern sogar als schlimm und schier unerträglich: Arbeitslosigkeit und neue Armut gibt es, die bleierne Einsamkeit der Alten und Alleingelassenen und auch die Bitternis des Todes, wenn einer unserer Lieben geht. Die Welt ist für viele nicht schön. Das ist wahr. Aber sie könnte es dennoch werden, wenn einer es ihr sagte. Dazu sind wir Christinnen und Christen heute unterwegs. Brot und Arbeit reichten auch dort noch für alle, wo sie heute knapp sind, wenn Menschen beides menschlich teilten. Die Alten und Kranken müssten nicht elend verkümmern, wenn Christen sich ihrer annähmen im Gedenken daran, daß ihr Herr seine Zuneigung am allermeisten den Schwachen und zu kurz Kommenden zuteil werden ließ. Und auch die Toten sind nicht vergessen, weil wir aus Glauben an den Auferstandenen das ihnen auf Erden schuldig gebliebene Leben als ausständiges gegenwärtig halten und es für sie von Gott erbitten.

So wird aus Glauben eine Welt für Menschen grundgelegt, eine Welt, in der Freude und Hoffnung, Trauer und Angst, sogar Leben und Sterben ihren rechten Platz finden. Auf eine solche gewandelte Welt leben wir zu. Wir Christen dürfen sie aufbauen – gehalten und getragen von der Liebe Gottes, die Jesus uns bezeugt. Darum sind die Häuser der Christen heute geschmückt, darum weicht die Hektik auf den Straßen, ruht die Arbeit, läuten die Glocken, setzen sich Menschen in vielen Gemeinden hernach fröhlich zusammen. Mit all dem bezeugen sie: Unser Leben mit allem, was zu ihm gehört, ist ein Fest, wenn wir es im Geist Gottes leben. Das Allererste, was wir selber beitragen dazu, ist: dass wir ihm danken. Das tun wir jetzt.