Das Leere ist das Wesentliche

Osternacht B: Joh 20,1-18 (Langfassung vorgezogen vom Ostertag)

I
Christus ist erstanden, halleluja,
er hat den Tod bezwungen, halleluja!

In dieser Nacht feiern wir den Ostersieg des Herrn. In dieser Nacht gründet unser Glaube, in ihr hat er seine Mitte, ohne sie ist er Trug und Lüge. Eine Wahrheit steht über diesem ersten Tag der Woche, so wunderbar, dass er einem zweiten, neuen Schöpfungsmorgen gleicht. Schwer zu verstehen ist diese Wahrheit für uns – nicht weil sie so schwierig, sondern weil sie so einfach und nah uns ist.

II
Es verhält sich gerade so, wie Laotse lehrte, einer der ganz großen Diener der Weisheit unter den Menschen: Man knetet den Ton zurecht zu einem Trinkgefäß, sagte er; eben dort, wo nichts ist, im leeren Raum des Bechers, dort liegt sein Nutzen. Man baut eine Wohnung mit Tür und Fenster; dort, wo nichts ist, im Innenraum, dort hat sie ihre Nützlichkeit. Das Leere ist das Eigentliche. Eine Wahrheit, die geradezu einfältig ist, und doch bis zum Grunde erfasst, was wesentlich ist an den Dingen. Und gerade so müssen wir die Ostergeschichten lesen, ihre Worte nehmen in ihrer menschlichen Anmut und Leere, wie sie sind, ohne Tiefsinn und Hintersinn hineinzudeuten. Dann können wir erahnen, was den Ostertag wunderbar macht.

III
Maria Magdalena – die, die Jesus von sieben Dämonen befreit hatte, also die, der er das Leben aus einer entsetzlichen Zerrissenheit als ihr eigenes zurückgegeben hatte, sie kommt in morgendlicher Dunkelheit zum Grab. Keine Stunde wird uns da angedeutet, sondern, was Maria erfährt: Zu den Toten auf den Friedhof geht, wenn es noch Nacht ist, nur, wer es bei sich nicht mehr aushält. Maria will weilen bei dem, was übrig geblieben von dem, der ihr leben half und endlich frei sie selber sein.

Als sie zum Grab kommt, findet sie es geöffnet. Kein Wunder wird da vermeldet und auch kein Diebstahl des Leichnams verschleiert, wie bald die Gegner des Evangeliums tuscheln sollten; wieder vielmehr, was Maria erfährt, wird uns gesagt, nämlich dies: das Überbleibsel der Hoffnung birgt kein Geheimnis mehr für den, der diese Hoffnung einst gehegt hat. Das Verschlossenste der Welt der Menschen – das Grab – steht offen, weil absolut nichts anderes als tot ist, wer hat sterben müssen. Nur weinen kann Maria da noch ob der Vergeblichkeit dessen, das ihre Hoffnung gewesen und dem ihre Liebe galt.

Vor Trauer beugt sich Maria weinend in die Grabkammer hinein: nicht, was Maria macht, wird uns gesagt, sondern was sie erfährt: sie selber krümmt und schmiegt sich dem Ort des Todes ein, sie wehrt ihrer Trauer nicht, geht in sie ein bis zum Grunde. – Da sah sie zwei Engel sitzen, die sie fragen, warum sie weine. Engel begegnen in der Bibel immer dort, wo Gott dem Menschen das Entscheidende zu sagen hat mit der Stimme seines Gewissens. Wozu weinst du?, hört Maria im Abgrund ihrer Trauer. Worüber vergießt du eigentlich deine Tränen? Gibt dir das Grab dazu Anlass? Das deute ich nicht in die Engelworte hinein: das bedeuten sie selber, sonst würde Maria auf dieses Wort hin sich nicht zurückwenden vom Grab, wie das Evangelium erzählt.

Da sah sie Jesus da stehen, ohne ihn aber zu erkennen. Nicht was Maria mit Augen äußerlich sieht, wird uns da gesagt – denn wie könnte sie ihn als ihn selber sehen, ohne gleichzeitig zu wissen, dass er es ist –, sondern was Maria erfährt, kommt da zur Sprache: dass im Augenblick der Abwendung von der absolut geheimnislosen, leeren Welt der Toten die Osterwahrheit anhebt. Sie hat sich vom Grab zurückgewandt zu dem, was Jesus gesagt, wie er gelebt und getan hatte, wie er zu ihr gewesen und wie er gestorben war. Und Eines muss es gewesen sein, in dem alles in eins kam, wessen sie sich erinnerte: dass er ganz einfach, aber ganz und darum anders als alle anderen, dem traute, was der Glaube seines Volkes ihm versprach: dass Gottes Name und Wesen Ich-bin-da-für-dich heißt. Denn genau das hatte er von Gott behauptet – gültig für jeden, auch und gerade den Sünder noch. Und so hatte er gehandelt, dass die von Krankheit Gefesselten und von Not Gequälten an Leib und Seele erspürten, was es heißt, dass für sie das ist kein Geringerer als der Höchste. So war er zu ihr gewesen mit ihrem zerrissenen Leben, dass sie von ihm lernte, Maria zu sagen und gewiss zu sein, dass sie es war, die da sprach und lebte. Und so war sein Ende gewesen, dass er im Sterben sogar noch immer seines Gottes Namen rief und so bekannte, dass er ihm traute, auch jetzt noch und gerade jetzt der Ich-bin-da-für-dich zu sein. Warum weinst du noch?, sagt der zu ihr, der so gewesen war. Wen suchst du eigentlich? Hast du nicht schon gefunden, wen du suchst?

Da hört sie ihren Namen: Maria! Alles, dessen sie gedenkt, meint sie. Um ihretwillen ist es geschehen. Gelebt, gesprochen, gelitten, den Tod getragen hat er, damit sie lerne, zu leben und einverstanden zu sein mit dem Leben, wie der Schöpfer es uns geschenkt hat: im Frieden des Herzens, weil dieses Leben mitsamt seinem Ende der Ich-bin-für-dich-da in seinen Händen hält. Jesu Kommen und wie er sein Leben besteht, das spricht sie an im Innersten ihres Wesens und gibt Antwort auf die Frage, die sie sich immer schon war. Darum antwortet sie ihm: Rabbuni, lieber Meister, du mein Lehrer. Von ihm hat Maria leben gelernt, damit wir es lernen von ihr: dem trauen, der uns geschaffen, dass gut ist, wie wir geworden – zwei Hände voll Staub, der Erde vermählt und Gott anvertraut. Und dass der, der solches glaubhaft zu lehren vermag, selber nur auf wunderbare Weise wirklich sein kann, also leben trotz seines irdischen Sterbens. So geht unserm Glauben eine neue Schöpfung auf.

Mit Händen greifen möchte Maria ihr Glück. Doch er: Noli me tangere – das fast zärtliche Abwehren einer Berührung, wie es ein Giotto, ein Riemenschneider und verrätselt selbst noch ein Picasso geradezu überirdisch in Szene gesetzt haben: dieses Halt mich nicht fest! Doch wiederum nicht, was Maria versucht, wird uns gesagt, sondern was sie erfährt: dass sich das Wunder der Auferstehung nicht begreifen und feststellen lässt, sondern dass es eine Verheißung schenkt: Maria soll verkünden, dass Jesus zu seinem Vater und zu unserem Vater geht, zu seinem Gott und zu unserem Gott. Wer mit Maria erspürt, wie er, der Gekreuzigte in unserem Leben lebt und wirkt, der darf selber Gott, den Unbegreiflichen so erfahren, wie er sich nennt: Ich-bin-da-für-dich. Gerade so, wie der Apostel der Gemeinde in Kolossae schrieb: Ihr seid mit Christus auferweckt. Wer mit ihm teilt, wie er lebt und stirbt, dem teilt er mit, was er als erster der Menschen ganz errang: Leben wie der Schöpfer es gemeint hat.

IV
Und Maria Magdalena ging zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Nicht, was sie unternahm, wird uns gesagt, sondern was sie erfährt: dass sie, die Frau, die Rechtlose und als Zeugin Unglaubwürdige nach den Gesetzen ihres Volkes, – dass sie Lehrerin der berufenen Amtsträger wird. Ich habe den Herrn gesehen sagt sie. Sie weiß, dass er lebt, weil sie ihn zu Lebzeiten erfuhr als den, der sie lebendig machte, und weil sie jetzt erfährt, dass das Kreuz seine sanfte Macht, lebendig zu machen, nicht nur nicht gebrochen, sondern aufgetan hat für immer und entgrenzt hat für alle, die sich zu ihm wenden: Zu meinem Gott und zu eurem Gott gehe ich, sagte er. Wer auf ihn schaut als den, der wahrhaft leben lehrt, wer ihn zu seinem Rabbuni wählt, der findet den Gott Jesus Christi als Gott und Herrn seines eigenen Lebens, der ihm verspricht: ich bin da für dich, vor deinem Anfang schon und auch in deinem Ende noch. Der muss vor dem Sterben nicht mehr Angst haben und kann darum dem Leben trauen, wie es ist. Und so auferweckt zu sich selber wird er als österlicher Mensch leben und damit Zeuge dessen sein, durch den es Ostern für uns geworden ist.

Das lehrt Maria, die apostola apostolorum, wie Thomas von Aquin sie nennt, die Apostelin der Apostel, die Inhaberin des Magdala-Amtes, das nicht weniger bedeutsam ist als das Petrus-Amt, die amtlichen Zeugin: nicht ein Geheimnis lehrt sie, nicht satzhafte Wahrheiten lehrt sie und nicht Dogmen, sondern durch ihre Gesten der Liebe und Treue lehrt sie uns, wie Ostern geschieht für alle, die das Leben suchen.