Was uns die himmlische Stadt zu sagen hat
Christi Himmelfahrt - Lesung zugewählt aus Anlass einer geplanten Ausstellung: Offb 21, 10-12, 14. 22-26
I
Vor etwa 280 Jahren haben gläubige Menschen dieses Gotteshaus gebaut. Seither haben Menschen hier gebetet, gefeiert, getrauert, manchmal einfach nur Zuflucht und Stille gesucht. Vielen Generationen war wie selbstverständlich, dass so eine Kirche geistlich gesehen allen in der Gemeinde gehört und ihr Mittelpunkt ist. Dass sie sich darum sorgen um sie und stolz sind auf sie. Dass sie sie hüten und schön machen. Gewiss nur ein Haus aus Stein und darum zu klein, um auch nur Gottes Mantelsaum zu fassen, ist sie dennoch zugleich ein sichtbares Zeichen für jenes Daheimsein der Seele, nach dem ein jeder Mensch auf irgendeine Weise sucht.
Darum sind Kirchen immer auch etwas Wichtiges für den Ort, für die Stadt, in der sie stehen: Sie weisen mit ihren Türmen nach oben und halten den Himmel offen. Und mit ihren Kuppeln holen sie gleichsam en miniature das Himmelgewölbe in die Anschauung unserer menschlichen Sinne. So verwebt sich durch sie das Oben und Unten, Gottes- und Menschenwelt. Es ist darum alles andere als Nostalgie, wenn Menschen trauern überall dort, wo Kirchen geschlossen, gar abgerissen werden, weil man sie anscheinend nicht mehr braucht. Mit ihnen verschwindet etwas, was durch nichts ersetzt werden kann. Und das sei nicht zuletzt denen gesagt, die auch mit diesem Gotteshaus recht Irdisches im Sinn haben, um das Wenigste zu sagen.
II
Vielleicht ist es ein glücklicher Zufall, vielleicht mehr, dass dieser innere Zusammenhang von Stadt und Kirche gerade im Fall unseres Gotteshaus hier zuletzt im Advent intensiv in das Blickfeld rückte und das bald wieder, nach Ostern, erneut tun wird: In den vorweihnachtlichen Wochen war hier eine Ausstellung des Malers Michael Rickert gewesen. Sie trug den Titel „Stadtbild“. Der Künstler hatte Bilder versammelt, die ausschließlich die Münsteraner Kirchtürme zum Thema hatten und in einer räumlichen Verdichtung zeigten, wie sehr diese Stadt von ihren Kirchen geprägt und wie sie ohne diese im Grunde nicht einmal erkennbar wäre. Und nach Ostern wird hier im Gotteshaus für etliche Monate das große Münsteraner Stadtmodell Heimat finden. Es wird auf besondere, gleichsam begehbare Weise aufgestellt werden und wird den Besucherinnen und Besuchern erlauben, sozusagen aus der Vogelperspektive auf die Stadt zu schauen und zugleich zu sehen, wo sie – an diesem Ort hier stehend – sich im größeren Ganzen befinden. Denn nichts ist einfacher, als durch den herausragenden Bau einer Kirche mit ihrer unverwechselbaren Architektur den eigenen Standort zu identifizieren.
III
In solch ästhetisch-sinnlicher Erfahrung könnte, wer ein wenig tiefer schaut, aber noch mehr entdecken, nämliches Geistliches über die Stadt und über die Kirchen in ihr. Und dabei könnte ihm oder ihr unsere zweite Lesung vorhin aus der Offenbarung des Johannes helfen. Auf seinen letzten Seiten nämlich spricht das Neue Testament das einzige Mal ausführlich vom letzten Ziel, dem ewigen Leben bei Gott, indem es das Inbild menschlicher Gemeinschaft schlechthin aufgreift: nämlich das Bild der Stadt. Mit ihm vermag die Offenbarung des Johannes offensichtlich am besten zur Sprache zu bringen, was Himmel, was Ewigkeit eigentlich meint:
Diese Stadt von Gott her, wie sie dem Seher vor Augen steht, hat eine große und hohe Mauer. Die, die dort wohnen, dürfen sich geschützt und geborgen wissen. Sie haben, wonach sich jeder jederzeit sehnt – eine Heimat. Sie sind, wohin sie gehören – für immer. Und diese Heimat gründet auf dem Wort Jesu, auf dem Evangelium. Deshalb stehen die Namen der 12 Verkünder, die Namen der Apostel auf den Grundsteinen der Mauer. Diese Mauer, so sieht der Seher weiter – hat nicht weniger als 12 Tore, die noch dazu immer offen stehen, den ganzen Tag. Die Mauer der Stadt von Gott her dient also nicht mehr der Abwehr und der Aufrüstung. Die Stadt will vielmehr anziehen und einladen. Sie hat Platz für jeden, der sie betreten will. Und auf den Toren stehen die Namen der 12 Stämme Israels. Das sind die Namen derer, die Gott erwählt hat, dass sie seine Einladung zum Leben überall hintragen. Jesus hatte eben diese Aufgabe von seinem Volk übernommen und erfüllt. Und dann weitergegeben an die, die ihm glaubten, an die Kirche also. Sie, die Kirche, hat deshalb wie die Tore der Stadt zu sein: sie darf und muss einladen und einlassen in die Geborgenheit. Einen Tempel sieht der Seher in dieser Stadt, die von Gott kommt, nicht mehr. Sie kennt nämlich keinen festen, abgegrenzten Bezirk mehr, in dem allein Gott wohnt, weil er überall gegenwärtig ist. Die ganze Stadt ist Gottes Wohnung. Und immer und überall ist es hell. Selbst ohne das Licht der Gestirne, weil alles, was von Gott beseelt ist, von innen, wie von selber leuchtet. Daher gibt es auch keine Nacht mehr für die Stadt, jenen Hort der dunklen Gefahren. Und schließlich: die Könige bringen ihre Pracht in die Stadt. Schätze aus Menschenhand schenken sie ihr. Das ist Zeichen dafür, dass es dort keine Missgunst und keine Rivalität mehr gibt.
So ist der Himmel, will uns der Seher sagen. So ähnlich wie eine solche Stadt. Und ich meine, er redet nicht zufällig gerade so von dem, was Gott mit uns vorhat. Er redet vielmehr deshalb im Bild der Stadt, weil es für den, der so schrieb und für seine Leser erfahrbar geglücktes Leben in Gemeinschaft gegeben hat. Und nicht nur geglückt, sondern so beglückend, dass er nicht anders konnte als zu sagen: ja, so ähnlich – und wohl noch herrlicher – muss das Leben bei Gott einmal sein. Dabei wusste er sehr genau, dass dieses geglückte Miteinander, das er erfahren durfte, unmittelbar und untrennbar zu tun hat mit dem, an den er glaubt – dass es zu tun hat mit Jesus Christus, dem Auferstandenen. Deshalb hat der Seher auch in seinem Bild von der herrlichen Stadt überall Spuren des Herrn eingezeichnet: die Namen der Apostel, der 12 Stämme Israels und vor allem: das Zeichen des Lammes, das die Stadt hell macht.
Wo Jesus Christus und seine Botschaft ernst genommen werden, wo Menschen es riskieren, so zu leben wie er: nämlich von Gott her ganz aufeinander zu, da glückt menschliche Gemeinschaft. Und zwar so sehr, dass sie uns einen leisen Vor-Schein des Endgültigen schenken kann – trotz aller Brüche und Vorläufigkeiten, die allem Menschlichen anhaftet.
IV
Im visionären Traumbild dessen, was einmal sein wird, ist uns so gleichzeitig ein Entwurf dessen geschenkt, was sein kann. Die himmlische Stadt offenbart uns, wie die irdische ausschaut, wenn sie Gott entspricht: Geborgenheit schenkend, aber einladend offen. Alle haben Platz in ihr. Sie ist freundlich hell durch die verborgene, gleichwohl spürbare Gegenwart Gottes überall in ihr und das meint: sie ist hell durch die Hände und Seelen derer, die sich zu Gott bekennen und sich deshalb dem Gebot der Liebe verschreiben. Hass, Missgunst, Anonymität, Ausschluss sind daher fremde Worte in der Stadt, in der Gemeinschaft, wie Gott sie gemeint hat.
V
Wer nun all das nicht bloß für ein Hirngespinst hält, sondern für eine lebbare Alternative zum allerorts gängigen Gegeneinander, derer, die zu allererst ans Haben, Herrschen und Gelten denken, der wird in diesen Zeilen des Neuen Testaments freilich nicht nur einen verheißungsvollen Vorentwurf finden. Er wird darin zugleich auch einen kritischen Maßstab sehen für die Weise, wie wir hier und heute als Christen und Christinnen in unserem Ort zusammenleben. Und wenn wir diesen Maßstab anlegen, dann sehen wir, dass gewiss zumindest begonnen ist: das Engagement für die älteren Mitbürger. Die Sorge um die Kranken, denen durch Sozialstationen das Pflegeheim erspart wird. Ein förderndes Klima für die Kleinen, die Kinder und Jugendlichen – und nicht zuletzt die riesige Zahl Studierender in dieser Stadt. Das Bemühen, den vielen, die hier wohnen, auch für die Freizeit ihren Heimatort anziehend zu machen.
Mit unserem Maßstab werden wir aber auch entdecken, dass Manches noch fehlt: das wirkliche Zusammengehören von alten und neuen Bürgern bis in unsere kleine Gemeinde hinein. Das Bewusstsein, in einer Gemeinde nicht nur Rechte zu haben, sondern auch Pflichten füreinander. Auch die Kirchen, die ja nach dem Plan Gottes so etwas wie Tore sein sollen, durch die die Menschen zueinander kommen, auch die Kirchen haben zwar Einiges, aber noch nicht alles getan, was sie tun können und tun müssen. Allerdings: nichts von dem, was da noch aussteht, kann begonnen werden, wenn nicht Tag für Tag sich viele großherzig bereit finden, auch ein paar Stunden ihrer Zeit dem Engagement für die Gemeinschaft zu widmen, zu der sie gehören – ganz gleich, wo und wie einer dabei seine Talente einsetzt: beim Cityadvent, den täglichen Andachten, während des Eurocityfests im Sommer oder einfach am Sonn- und Feiertag bei der Liturgie.
Die Botschaft unseres Glaubens ruft uns dazu ausdrücklich auf. Denn sie weiß darum, dass im Engagement füreinander keineswegs etwas Draufgesetztes, Äußerliches geschieht. Im Gegenteil: die heutige Lesung hat uns ahnen lassen, dass gerade in dem, was Menschen füreinander tun, Gott immer schon ausgesprochen oder unausgesprochen mitgemeint ist. Eben dies macht unser miteinander gelebtes Leben gültig – und endgültig. Aus der Weise, wie wir hier und heute zueinander sind, wächst unser ewiges Leben hervor, unsere endgültige Heimat bei Gott. So nah ist uns Gott. Und so wichtig sind wir füreinander.
Vor etwa 280 Jahren haben gläubige Menschen dieses Gotteshaus gebaut. Seither haben Menschen hier gebetet, gefeiert, getrauert, manchmal einfach nur Zuflucht und Stille gesucht. Vielen Generationen war wie selbstverständlich, dass so eine Kirche geistlich gesehen allen in der Gemeinde gehört und ihr Mittelpunkt ist. Dass sie sich darum sorgen um sie und stolz sind auf sie. Dass sie sie hüten und schön machen. Gewiss nur ein Haus aus Stein und darum zu klein, um auch nur Gottes Mantelsaum zu fassen, ist sie dennoch zugleich ein sichtbares Zeichen für jenes Daheimsein der Seele, nach dem ein jeder Mensch auf irgendeine Weise sucht.
Darum sind Kirchen immer auch etwas Wichtiges für den Ort, für die Stadt, in der sie stehen: Sie weisen mit ihren Türmen nach oben und halten den Himmel offen. Und mit ihren Kuppeln holen sie gleichsam en miniature das Himmelgewölbe in die Anschauung unserer menschlichen Sinne. So verwebt sich durch sie das Oben und Unten, Gottes- und Menschenwelt. Es ist darum alles andere als Nostalgie, wenn Menschen trauern überall dort, wo Kirchen geschlossen, gar abgerissen werden, weil man sie anscheinend nicht mehr braucht. Mit ihnen verschwindet etwas, was durch nichts ersetzt werden kann. Und das sei nicht zuletzt denen gesagt, die auch mit diesem Gotteshaus recht Irdisches im Sinn haben, um das Wenigste zu sagen.
II
Vielleicht ist es ein glücklicher Zufall, vielleicht mehr, dass dieser innere Zusammenhang von Stadt und Kirche gerade im Fall unseres Gotteshaus hier zuletzt im Advent intensiv in das Blickfeld rückte und das bald wieder, nach Ostern, erneut tun wird: In den vorweihnachtlichen Wochen war hier eine Ausstellung des Malers Michael Rickert gewesen. Sie trug den Titel „Stadtbild“. Der Künstler hatte Bilder versammelt, die ausschließlich die Münsteraner Kirchtürme zum Thema hatten und in einer räumlichen Verdichtung zeigten, wie sehr diese Stadt von ihren Kirchen geprägt und wie sie ohne diese im Grunde nicht einmal erkennbar wäre. Und nach Ostern wird hier im Gotteshaus für etliche Monate das große Münsteraner Stadtmodell Heimat finden. Es wird auf besondere, gleichsam begehbare Weise aufgestellt werden und wird den Besucherinnen und Besuchern erlauben, sozusagen aus der Vogelperspektive auf die Stadt zu schauen und zugleich zu sehen, wo sie – an diesem Ort hier stehend – sich im größeren Ganzen befinden. Denn nichts ist einfacher, als durch den herausragenden Bau einer Kirche mit ihrer unverwechselbaren Architektur den eigenen Standort zu identifizieren.
III
In solch ästhetisch-sinnlicher Erfahrung könnte, wer ein wenig tiefer schaut, aber noch mehr entdecken, nämliches Geistliches über die Stadt und über die Kirchen in ihr. Und dabei könnte ihm oder ihr unsere zweite Lesung vorhin aus der Offenbarung des Johannes helfen. Auf seinen letzten Seiten nämlich spricht das Neue Testament das einzige Mal ausführlich vom letzten Ziel, dem ewigen Leben bei Gott, indem es das Inbild menschlicher Gemeinschaft schlechthin aufgreift: nämlich das Bild der Stadt. Mit ihm vermag die Offenbarung des Johannes offensichtlich am besten zur Sprache zu bringen, was Himmel, was Ewigkeit eigentlich meint:
Diese Stadt von Gott her, wie sie dem Seher vor Augen steht, hat eine große und hohe Mauer. Die, die dort wohnen, dürfen sich geschützt und geborgen wissen. Sie haben, wonach sich jeder jederzeit sehnt – eine Heimat. Sie sind, wohin sie gehören – für immer. Und diese Heimat gründet auf dem Wort Jesu, auf dem Evangelium. Deshalb stehen die Namen der 12 Verkünder, die Namen der Apostel auf den Grundsteinen der Mauer. Diese Mauer, so sieht der Seher weiter – hat nicht weniger als 12 Tore, die noch dazu immer offen stehen, den ganzen Tag. Die Mauer der Stadt von Gott her dient also nicht mehr der Abwehr und der Aufrüstung. Die Stadt will vielmehr anziehen und einladen. Sie hat Platz für jeden, der sie betreten will. Und auf den Toren stehen die Namen der 12 Stämme Israels. Das sind die Namen derer, die Gott erwählt hat, dass sie seine Einladung zum Leben überall hintragen. Jesus hatte eben diese Aufgabe von seinem Volk übernommen und erfüllt. Und dann weitergegeben an die, die ihm glaubten, an die Kirche also. Sie, die Kirche, hat deshalb wie die Tore der Stadt zu sein: sie darf und muss einladen und einlassen in die Geborgenheit. Einen Tempel sieht der Seher in dieser Stadt, die von Gott kommt, nicht mehr. Sie kennt nämlich keinen festen, abgegrenzten Bezirk mehr, in dem allein Gott wohnt, weil er überall gegenwärtig ist. Die ganze Stadt ist Gottes Wohnung. Und immer und überall ist es hell. Selbst ohne das Licht der Gestirne, weil alles, was von Gott beseelt ist, von innen, wie von selber leuchtet. Daher gibt es auch keine Nacht mehr für die Stadt, jenen Hort der dunklen Gefahren. Und schließlich: die Könige bringen ihre Pracht in die Stadt. Schätze aus Menschenhand schenken sie ihr. Das ist Zeichen dafür, dass es dort keine Missgunst und keine Rivalität mehr gibt.
So ist der Himmel, will uns der Seher sagen. So ähnlich wie eine solche Stadt. Und ich meine, er redet nicht zufällig gerade so von dem, was Gott mit uns vorhat. Er redet vielmehr deshalb im Bild der Stadt, weil es für den, der so schrieb und für seine Leser erfahrbar geglücktes Leben in Gemeinschaft gegeben hat. Und nicht nur geglückt, sondern so beglückend, dass er nicht anders konnte als zu sagen: ja, so ähnlich – und wohl noch herrlicher – muss das Leben bei Gott einmal sein. Dabei wusste er sehr genau, dass dieses geglückte Miteinander, das er erfahren durfte, unmittelbar und untrennbar zu tun hat mit dem, an den er glaubt – dass es zu tun hat mit Jesus Christus, dem Auferstandenen. Deshalb hat der Seher auch in seinem Bild von der herrlichen Stadt überall Spuren des Herrn eingezeichnet: die Namen der Apostel, der 12 Stämme Israels und vor allem: das Zeichen des Lammes, das die Stadt hell macht.
Wo Jesus Christus und seine Botschaft ernst genommen werden, wo Menschen es riskieren, so zu leben wie er: nämlich von Gott her ganz aufeinander zu, da glückt menschliche Gemeinschaft. Und zwar so sehr, dass sie uns einen leisen Vor-Schein des Endgültigen schenken kann – trotz aller Brüche und Vorläufigkeiten, die allem Menschlichen anhaftet.
IV
Im visionären Traumbild dessen, was einmal sein wird, ist uns so gleichzeitig ein Entwurf dessen geschenkt, was sein kann. Die himmlische Stadt offenbart uns, wie die irdische ausschaut, wenn sie Gott entspricht: Geborgenheit schenkend, aber einladend offen. Alle haben Platz in ihr. Sie ist freundlich hell durch die verborgene, gleichwohl spürbare Gegenwart Gottes überall in ihr und das meint: sie ist hell durch die Hände und Seelen derer, die sich zu Gott bekennen und sich deshalb dem Gebot der Liebe verschreiben. Hass, Missgunst, Anonymität, Ausschluss sind daher fremde Worte in der Stadt, in der Gemeinschaft, wie Gott sie gemeint hat.
V
Wer nun all das nicht bloß für ein Hirngespinst hält, sondern für eine lebbare Alternative zum allerorts gängigen Gegeneinander, derer, die zu allererst ans Haben, Herrschen und Gelten denken, der wird in diesen Zeilen des Neuen Testaments freilich nicht nur einen verheißungsvollen Vorentwurf finden. Er wird darin zugleich auch einen kritischen Maßstab sehen für die Weise, wie wir hier und heute als Christen und Christinnen in unserem Ort zusammenleben. Und wenn wir diesen Maßstab anlegen, dann sehen wir, dass gewiss zumindest begonnen ist: das Engagement für die älteren Mitbürger. Die Sorge um die Kranken, denen durch Sozialstationen das Pflegeheim erspart wird. Ein förderndes Klima für die Kleinen, die Kinder und Jugendlichen – und nicht zuletzt die riesige Zahl Studierender in dieser Stadt. Das Bemühen, den vielen, die hier wohnen, auch für die Freizeit ihren Heimatort anziehend zu machen.
Mit unserem Maßstab werden wir aber auch entdecken, dass Manches noch fehlt: das wirkliche Zusammengehören von alten und neuen Bürgern bis in unsere kleine Gemeinde hinein. Das Bewusstsein, in einer Gemeinde nicht nur Rechte zu haben, sondern auch Pflichten füreinander. Auch die Kirchen, die ja nach dem Plan Gottes so etwas wie Tore sein sollen, durch die die Menschen zueinander kommen, auch die Kirchen haben zwar Einiges, aber noch nicht alles getan, was sie tun können und tun müssen. Allerdings: nichts von dem, was da noch aussteht, kann begonnen werden, wenn nicht Tag für Tag sich viele großherzig bereit finden, auch ein paar Stunden ihrer Zeit dem Engagement für die Gemeinschaft zu widmen, zu der sie gehören – ganz gleich, wo und wie einer dabei seine Talente einsetzt: beim Cityadvent, den täglichen Andachten, während des Eurocityfests im Sommer oder einfach am Sonn- und Feiertag bei der Liturgie.
Die Botschaft unseres Glaubens ruft uns dazu ausdrücklich auf. Denn sie weiß darum, dass im Engagement füreinander keineswegs etwas Draufgesetztes, Äußerliches geschieht. Im Gegenteil: die heutige Lesung hat uns ahnen lassen, dass gerade in dem, was Menschen füreinander tun, Gott immer schon ausgesprochen oder unausgesprochen mitgemeint ist. Eben dies macht unser miteinander gelebtes Leben gültig – und endgültig. Aus der Weise, wie wir hier und heute zueinander sind, wächst unser ewiges Leben hervor, unsere endgültige Heimat bei Gott. So nah ist uns Gott. Und so wichtig sind wir füreinander.