Der zweite Dornbusch
Maiandacht: Ex 3,1-6
I
Keine katholische Kirche auf der Welt gibt es, in der sich nicht ein Bild der Gottesmutter fände – um zu schweigen von den Bildern und – ja einfach auch – Bildchen, die gläubigen Menschen so ans Herz gewachsen sind, dass sie sie in ihren Häusern aufhängen oder in die Gebetbücher legen. Die wunderbare Schlichtheit der frühchristlichen Mosaiken in Rom und Ravenna, die geradezu sinnlichen Madonnen der Gotik, zahllose Ikonen, in denen sich – man muss es wohl sagen – im Maß des Endlichen die Ewigkeit spiegelt; Marien, die unverkennbar die Züge der Indianer, der Schwarzafrikaner, der Eskimos tragen. In allen und hinter allen: die eine Gottesmutter.
II
Wenn Sie aufmerksame Besucher von Kirchen und Wallfahrtsorten sind, wird Ihnen vielleicht schon einmal aufgefallen sein, dass auf vielen Marienbildern den Schleier, der das Haar bedeckt, eine Art Stern schmückt. So auf dem berühmten Bild der schwarzen Madonna von Tschenstochau, aber auch auf dem Gnadenbild unserer Alten Kapelle zu Regensburg. Das Zeichen hat immer acht zumeist spitze Ecken – und ist in Wahrheit kein Stern, sondern: Sinnbild für den brennenden Dornbusch – und steht, so belegen schon uralte Loblieder der Christenheit, als Symbol für Marias Jungfrau-Sein.
III
Geboren von der Jungfrau Maria, bekennen wir im Credo. Sie wissen, dass darüber in letzter Zeit viel gestritten wurde. Ein Streit, in dessen Verlauf sich mancher Theologe und mancher Amtsträger nicht sehr erleuchtet gezeigt hat. Mir will scheinen, die alten frommen Maler, die diesen Satz des Glaubensbekenntnisses dadurch ausdrückten, dass sie Marias Stirn mit dem Sinnbild des brennenden Dornbuschs gleichsam besiegelten, haben sie ungleich unkomplizierter und zugleich genauer zum Ausdruck gebracht, was das Evangelium meint, wenn es die Gottesmutter Jungfrau nennt.
IV
Mose weidet die Schafe seines Schwiegervaters. Mitten bei dieser Arbeit gibt Gott sich ihm zu erfahren. Natürlich ist so etwas ein ganz und gar innerliches Geschehen. Darum kann es nur bildhaft ausgedrückt werden. Und dieses Bild ist der Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt. Dieses Sinnbild sagt etwas Doppeltes: Wie Gott ist und wie der Mensch sich fühlt, wenn er Gott begegnet, also wenn ihm aufgeht, wer er eigentlich ist: wie ein nutzloser Dornstrauch kommt er sich vor, der zu nichts taugt, höchstens umgehauen wird. So unvollkommen, so überflüssig, dass ihn dieses Gefühl wie ein loderndes Feuer aufzehren möchte. Aber genau das geschieht nicht. Auch vor Gott wird der Mensch, dieses Staubkorn nicht nichts. Die brennende Erkenntnis, wie er und wie es um ihn vor Gott steht, verbrennt ihn nicht. Und das hat mit der Wesensart Gottes zu tun: Gott ist eine Macht, der nichts Einhalt gebietet – ja-, aber eine Macht, die nicht Zerstörung wirkt und nicht Zerstörung braucht, um selbst zu bestehen. Eine Macht mithin, wie sie unter Menschen nicht vorkommt und kaum denkbar ist. Eine Macht, die im Gegenteil will, dass das andere, das sie nicht ist, sei und lebe. Das ist ihr Geheimnis. Mose – und wir mit ihm können es nicht durchschauen, nur über es staunen. Darum der Abstand der Ehrfurcht, den Mose zum Dornbusch auf heiligen Boden, auf dem letzten Fundament seines Daseins weiß.
V
Wenn die alten Künstler, die ja ganz oft Mönche und Theologen waren, das Jungfrau-Sein der Gottesmutter mit dem Zeichen des brennenden Dornbuschs versinnbilden, dann haben sie sagen wollen: Mensch, bleib’ im Abstand der Ehrfurcht zu dem Geheimnis, dass Gott hat Mensch werden wollen. Du wirst es nicht ergründen, wenn du dich seiner zu vergewissern suchst, höchstens zerstören. Merke nur dies: Gott teilt sich mit im Unscheinbaren und scheinbar Wertlosem, einem Dornbusch. Er braucht kein Spektakel. Und entspricht dies nicht am allermeisten dem, dass er, der Unendliche, sich klein macht für uns, um uns als Mensch – auf Du und Du – zu begegnen?
Und wenn er sich mitteilt im Endlichen – das ist das Zweite –, dann zerstört er nicht, was er zuvor geschaffen hat: Der Dornbusch brennt – gewiss -, aber er verbrennt nicht. Und auch dort, wo Gott selber eintritt in die Welt, bleibt er sich treu, seiner Art, zu hüten und zu halten, was ist. Und das Dritte: Wie ein Nichts ist der Mensch im Vergleich mit dem, dessen Zuwendung wir Gnade nennen. Auch Maria. Und doch will Gott sie brauchen. Sich und seine Absicht macht er abhängig von einem endlichen, zerbrechlichen Menschenkind und seinem Ja zu ihm: Er, der Allmächtige, will leben aus dem Ja seines Wesens, das einzig sich seinem Ja zu sich verdankt weiß. Das ist das Wunder der Welt, nicht abgeleitet und herausvernünftelt werden kann. Absolut aus dem Nichts hebt menschlich gesehen das Gotteskind-Sein, das Leben der Gnade an. Und das können wir Menschen nicht besser sagen als so: Geboren aus der Jungfrau Maria. Und wir meinen damit: Gott selbst fängt neu an mit uns in Jesus aus Maria. Darum ist sie so etwas wie ein zweiter Dornbusch: Etwas, durch das Gott selbst sich auf wunderbare Weise menschlich sichtbar macht. Maria vermag das, weil sie sich für Gott hat begeistern lassen; weil sie beseelt ist vom Feuer des Geistes, wie das Neue Testament immer wieder sagen wird.
Wer als Christ dieses geistliche Feuer nicht auslöscht, das Taufe und Firmung in ihm entzündet haben, wird selber erfahren, was an Maria geschah: Das neue Leben der Gotteskindschaft wird in ihm wachsen. Darin hat seinen Grund, dass die Alten Maria oft „Stern des Meeres“ genannt haben – Leitstern, der über alles Auf und Nieder der Lebtage hinweg gegenwärtig hält, was der Glaube sucht: den neuen Anfang aus Gott. Jede unserer Maiandachten, die wir gefeiert haben, war so etwas wie eine Suchbewegung auf diesen Anfang hin – die Gottesmutter vor Augen als Zukunft, die uns versprochen ist. Dank Ihnen allen, die Sie diese Suche mitgetragen haben.
Keine katholische Kirche auf der Welt gibt es, in der sich nicht ein Bild der Gottesmutter fände – um zu schweigen von den Bildern und – ja einfach auch – Bildchen, die gläubigen Menschen so ans Herz gewachsen sind, dass sie sie in ihren Häusern aufhängen oder in die Gebetbücher legen. Die wunderbare Schlichtheit der frühchristlichen Mosaiken in Rom und Ravenna, die geradezu sinnlichen Madonnen der Gotik, zahllose Ikonen, in denen sich – man muss es wohl sagen – im Maß des Endlichen die Ewigkeit spiegelt; Marien, die unverkennbar die Züge der Indianer, der Schwarzafrikaner, der Eskimos tragen. In allen und hinter allen: die eine Gottesmutter.
II
Wenn Sie aufmerksame Besucher von Kirchen und Wallfahrtsorten sind, wird Ihnen vielleicht schon einmal aufgefallen sein, dass auf vielen Marienbildern den Schleier, der das Haar bedeckt, eine Art Stern schmückt. So auf dem berühmten Bild der schwarzen Madonna von Tschenstochau, aber auch auf dem Gnadenbild unserer Alten Kapelle zu Regensburg. Das Zeichen hat immer acht zumeist spitze Ecken – und ist in Wahrheit kein Stern, sondern: Sinnbild für den brennenden Dornbusch – und steht, so belegen schon uralte Loblieder der Christenheit, als Symbol für Marias Jungfrau-Sein.
III
Geboren von der Jungfrau Maria, bekennen wir im Credo. Sie wissen, dass darüber in letzter Zeit viel gestritten wurde. Ein Streit, in dessen Verlauf sich mancher Theologe und mancher Amtsträger nicht sehr erleuchtet gezeigt hat. Mir will scheinen, die alten frommen Maler, die diesen Satz des Glaubensbekenntnisses dadurch ausdrückten, dass sie Marias Stirn mit dem Sinnbild des brennenden Dornbuschs gleichsam besiegelten, haben sie ungleich unkomplizierter und zugleich genauer zum Ausdruck gebracht, was das Evangelium meint, wenn es die Gottesmutter Jungfrau nennt.
IV
Mose weidet die Schafe seines Schwiegervaters. Mitten bei dieser Arbeit gibt Gott sich ihm zu erfahren. Natürlich ist so etwas ein ganz und gar innerliches Geschehen. Darum kann es nur bildhaft ausgedrückt werden. Und dieses Bild ist der Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt. Dieses Sinnbild sagt etwas Doppeltes: Wie Gott ist und wie der Mensch sich fühlt, wenn er Gott begegnet, also wenn ihm aufgeht, wer er eigentlich ist: wie ein nutzloser Dornstrauch kommt er sich vor, der zu nichts taugt, höchstens umgehauen wird. So unvollkommen, so überflüssig, dass ihn dieses Gefühl wie ein loderndes Feuer aufzehren möchte. Aber genau das geschieht nicht. Auch vor Gott wird der Mensch, dieses Staubkorn nicht nichts. Die brennende Erkenntnis, wie er und wie es um ihn vor Gott steht, verbrennt ihn nicht. Und das hat mit der Wesensart Gottes zu tun: Gott ist eine Macht, der nichts Einhalt gebietet – ja-, aber eine Macht, die nicht Zerstörung wirkt und nicht Zerstörung braucht, um selbst zu bestehen. Eine Macht mithin, wie sie unter Menschen nicht vorkommt und kaum denkbar ist. Eine Macht, die im Gegenteil will, dass das andere, das sie nicht ist, sei und lebe. Das ist ihr Geheimnis. Mose – und wir mit ihm können es nicht durchschauen, nur über es staunen. Darum der Abstand der Ehrfurcht, den Mose zum Dornbusch auf heiligen Boden, auf dem letzten Fundament seines Daseins weiß.
V
Wenn die alten Künstler, die ja ganz oft Mönche und Theologen waren, das Jungfrau-Sein der Gottesmutter mit dem Zeichen des brennenden Dornbuschs versinnbilden, dann haben sie sagen wollen: Mensch, bleib’ im Abstand der Ehrfurcht zu dem Geheimnis, dass Gott hat Mensch werden wollen. Du wirst es nicht ergründen, wenn du dich seiner zu vergewissern suchst, höchstens zerstören. Merke nur dies: Gott teilt sich mit im Unscheinbaren und scheinbar Wertlosem, einem Dornbusch. Er braucht kein Spektakel. Und entspricht dies nicht am allermeisten dem, dass er, der Unendliche, sich klein macht für uns, um uns als Mensch – auf Du und Du – zu begegnen?
Und wenn er sich mitteilt im Endlichen – das ist das Zweite –, dann zerstört er nicht, was er zuvor geschaffen hat: Der Dornbusch brennt – gewiss -, aber er verbrennt nicht. Und auch dort, wo Gott selber eintritt in die Welt, bleibt er sich treu, seiner Art, zu hüten und zu halten, was ist. Und das Dritte: Wie ein Nichts ist der Mensch im Vergleich mit dem, dessen Zuwendung wir Gnade nennen. Auch Maria. Und doch will Gott sie brauchen. Sich und seine Absicht macht er abhängig von einem endlichen, zerbrechlichen Menschenkind und seinem Ja zu ihm: Er, der Allmächtige, will leben aus dem Ja seines Wesens, das einzig sich seinem Ja zu sich verdankt weiß. Das ist das Wunder der Welt, nicht abgeleitet und herausvernünftelt werden kann. Absolut aus dem Nichts hebt menschlich gesehen das Gotteskind-Sein, das Leben der Gnade an. Und das können wir Menschen nicht besser sagen als so: Geboren aus der Jungfrau Maria. Und wir meinen damit: Gott selbst fängt neu an mit uns in Jesus aus Maria. Darum ist sie so etwas wie ein zweiter Dornbusch: Etwas, durch das Gott selbst sich auf wunderbare Weise menschlich sichtbar macht. Maria vermag das, weil sie sich für Gott hat begeistern lassen; weil sie beseelt ist vom Feuer des Geistes, wie das Neue Testament immer wieder sagen wird.
Wer als Christ dieses geistliche Feuer nicht auslöscht, das Taufe und Firmung in ihm entzündet haben, wird selber erfahren, was an Maria geschah: Das neue Leben der Gotteskindschaft wird in ihm wachsen. Darin hat seinen Grund, dass die Alten Maria oft „Stern des Meeres“ genannt haben – Leitstern, der über alles Auf und Nieder der Lebtage hinweg gegenwärtig hält, was der Glaube sucht: den neuen Anfang aus Gott. Jede unserer Maiandachten, die wir gefeiert haben, war so etwas wie eine Suchbewegung auf diesen Anfang hin – die Gottesmutter vor Augen als Zukunft, die uns versprochen ist. Dank Ihnen allen, die Sie diese Suche mitgetragen haben.