Was Gott mit dem Schlafen zu tun hat
12. Sonntag B: Mk 4,35-41 (St. Anton, Regensburg)
I.
Genau besehen gibt es eine einzige Frage nur, die jeden von uns umtreibt. Sie heißt: Wie komme ich klar mit mir? Getragener gesagt: Wie kann ich mein Leben bestehen? Bestehen zumal dann, wenn Not oder Leid oder Schuld mich bedrängen? Dschalaludin Rumi, der wohl größte Dichter Persiens – er lebte in der Zeit, die wir Abendländer „Mittelalter“ nennen –, Rumi hat sich dieser Frage in einem Zwiegespräch mit Gott gestellt. Er schrieb:
Wo warst Du, Gott, in der Not,
als ich schrie,
als ich weinte,
als ich mich verkroch?
Und Gott antwortet:
Daß Du schreien,
daß Du weinen,
daß Du Dich verkriechen konntest,
– das war ich.
II.
Man muss wohl eine Weile bei dieser Gottesantwort verweilen, um zu begreifen, dass in ihr eine ungeheuer nüchterne, aber gleichzeitig ebenso trostvolle Wahrheit lebt. Haargenau das Gleiche gilt vom heutigen Evangelium. Auch die Geschichte von der Sturmstillung redet davon, wie unser Leben zu bestehen ist. Und auch sie gibt eine nüchterne Antwort, die trotzdem die Kraft hat, jedem in der Seele Frieden zu geben, der sie vernimmt. Wir brauchen sie nur zu hören und uns dabei gegenwärtig zu halten, dass auch die äußeren Ereignisse, die das Evangelium erzählt, immer Inneres versinnbilden – das, was in der Seele zwischen Gott und uns vorgeht.
III.
Es wird Nacht, so hören wir. Jesus und die Jünger fahren in einem Boot über den See Gennesaret ans andere Ufer hinüber. Markus erzählt davon auf eine Weise, die uns Winke gibt, worum es ihm eigentlich geht: nicht vom See Gennesaret spricht er, sondern vom „Meer“, und nicht von dem Ziel, zu dem Jesus und die Jünger unterwegs sind, sondern bloß vom jenseitigen Ufer, wörtlich von der „Jenseite“. Die kleine Szene – das will Markus damit andeuten – ist ein Sinnbild für unser menschliches Dasein.
Unterwegs sind wir zum jenseitigen Ufer, unterwegs auf dem Meer, über Abgründen und Unwägbarem, wo kein Mensch Fuß fassen und was keiner mit eigener Kraft beherrschen kann; wo wir uns ausgeliefert erfahren. Ein kleines Boot nur, eine Nussschale trägt uns auf diesem Meer: Nussschale – das ist die Gemeinschaft, in der wir uns geborgen fühlen; die Menschen, die zu uns stehen; auch die eigenen Kräfte, die kleinen, die wir aufbringen manchmal. So ist das Leben.
Es wird Nacht, die Ruhe kehrt ein. Aber: gerade dann, wenn rings um uns der Lärm schwindet, wenn es still wird und einsam, dann bricht gar nicht selten in uns drinnen der Sturm los: Was wir falsch gemacht haben, quält uns; uns reut, einen Menschen getäuscht, verletzt, hintergangen zu haben; den Chancen, die wir selbst mitverschuldet verschenkt haben, trauern wir nach; Sorgen macht uns, wie es weitergehen soll mit der Last einer Krankheit, dem Einsamsein, des Versagens, einer Schuld, die auf uns liegt. Da wird die kleine Nussschale des Lebens nicht nur hin und hergerissen – da schwappt das Meer, dieses unwägbar Gefährliche und Bedrohende, ins Boot hinein. So erfahren wir leibhaft – auf dem Meer der Angst –, wie wenig es braucht, dass wir untergehen. Buchstäblich! Wahrscheinlich kennen das etliche von uns, mehr als man wohl denken möchte. Die Stunden früh zwischen zwei und vier können quälend sein.
Jesus schläft, erzählt Markus. Trotz des tobenden Sturmes ringsum liegt er auf einem Kissen in tiefem Frieden. Anders die Jünger: sie geraten in Panik und wecken Jesus auf, dass er sie rette vor dem Untergang. Er tut das – wie beiläufig beruhigt er Meer und Wind. Und dabei tadelt er die Jünger: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Eben damit spricht Jesus sein eigenes Geheimnis aus – das Geheimnis, wer er ist und warum er Macht über Meer und Wind sogar hat, dass sie ihm gehorchen. Mit der Frage an die Jünger sagt Jesus nämlich: das tobende Meer und den Sturm, also das Auf und Ab und die Gegenkräfte im Leben erlebt nur der als gefährlich und als Bedrohung, der und die Angst hat. Angst ist das Gegenteil von Glaube. Glauben heißt: Ich traue Gott. Auch dem Glaubenden begegnet Gefahr und manche Widerwärtigkeit. Und immer wieder wird er darauf gestoßen werden, wie schwach und klein er in Wahrheit ist. Aber: wer Gott traut – und so traut wie Jesus –, dem rauben auch der Sturm und das aufgewühlte Meer nicht den Schlaf. Versagen nicht; Schwäche nicht; Not nicht; nicht einmal Schuld. Weil er sich in allem und über alle Abgründe hinweg immer schon und für immer gehalten weiß. Wer glaubt, ist so stark, dass sich Sturm und Wogen der Angst vor ihm legen. Wie vor Jesus, weil er Gott ganz traute. Sein Wort, die Frohe Botschaft vom Gott, der uns trägt, wirkt das Wunder, dass der Sturm in uns still wird.
Sprichwörtlich nachgerade ist die Ruhe vor dem Sturm. So müssen Menschen reden, die auf dem Sprung sind, weil sie sich ängstigen, was denn nun noch oder schon wieder kommen wird. Wer sich zueigen macht, was Jesus kündet, der wird erfahren, dass es auch Ruhe nach dem Sturm gibt. Das erst ist Ruhe, die diesen Namen verdient. Ich wünsche Sie Ihnen.
Genau besehen gibt es eine einzige Frage nur, die jeden von uns umtreibt. Sie heißt: Wie komme ich klar mit mir? Getragener gesagt: Wie kann ich mein Leben bestehen? Bestehen zumal dann, wenn Not oder Leid oder Schuld mich bedrängen? Dschalaludin Rumi, der wohl größte Dichter Persiens – er lebte in der Zeit, die wir Abendländer „Mittelalter“ nennen –, Rumi hat sich dieser Frage in einem Zwiegespräch mit Gott gestellt. Er schrieb:
Wo warst Du, Gott, in der Not,
als ich schrie,
als ich weinte,
als ich mich verkroch?
Und Gott antwortet:
Daß Du schreien,
daß Du weinen,
daß Du Dich verkriechen konntest,
– das war ich.
II.
Man muss wohl eine Weile bei dieser Gottesantwort verweilen, um zu begreifen, dass in ihr eine ungeheuer nüchterne, aber gleichzeitig ebenso trostvolle Wahrheit lebt. Haargenau das Gleiche gilt vom heutigen Evangelium. Auch die Geschichte von der Sturmstillung redet davon, wie unser Leben zu bestehen ist. Und auch sie gibt eine nüchterne Antwort, die trotzdem die Kraft hat, jedem in der Seele Frieden zu geben, der sie vernimmt. Wir brauchen sie nur zu hören und uns dabei gegenwärtig zu halten, dass auch die äußeren Ereignisse, die das Evangelium erzählt, immer Inneres versinnbilden – das, was in der Seele zwischen Gott und uns vorgeht.
III.
Es wird Nacht, so hören wir. Jesus und die Jünger fahren in einem Boot über den See Gennesaret ans andere Ufer hinüber. Markus erzählt davon auf eine Weise, die uns Winke gibt, worum es ihm eigentlich geht: nicht vom See Gennesaret spricht er, sondern vom „Meer“, und nicht von dem Ziel, zu dem Jesus und die Jünger unterwegs sind, sondern bloß vom jenseitigen Ufer, wörtlich von der „Jenseite“. Die kleine Szene – das will Markus damit andeuten – ist ein Sinnbild für unser menschliches Dasein.
Unterwegs sind wir zum jenseitigen Ufer, unterwegs auf dem Meer, über Abgründen und Unwägbarem, wo kein Mensch Fuß fassen und was keiner mit eigener Kraft beherrschen kann; wo wir uns ausgeliefert erfahren. Ein kleines Boot nur, eine Nussschale trägt uns auf diesem Meer: Nussschale – das ist die Gemeinschaft, in der wir uns geborgen fühlen; die Menschen, die zu uns stehen; auch die eigenen Kräfte, die kleinen, die wir aufbringen manchmal. So ist das Leben.
Es wird Nacht, die Ruhe kehrt ein. Aber: gerade dann, wenn rings um uns der Lärm schwindet, wenn es still wird und einsam, dann bricht gar nicht selten in uns drinnen der Sturm los: Was wir falsch gemacht haben, quält uns; uns reut, einen Menschen getäuscht, verletzt, hintergangen zu haben; den Chancen, die wir selbst mitverschuldet verschenkt haben, trauern wir nach; Sorgen macht uns, wie es weitergehen soll mit der Last einer Krankheit, dem Einsamsein, des Versagens, einer Schuld, die auf uns liegt. Da wird die kleine Nussschale des Lebens nicht nur hin und hergerissen – da schwappt das Meer, dieses unwägbar Gefährliche und Bedrohende, ins Boot hinein. So erfahren wir leibhaft – auf dem Meer der Angst –, wie wenig es braucht, dass wir untergehen. Buchstäblich! Wahrscheinlich kennen das etliche von uns, mehr als man wohl denken möchte. Die Stunden früh zwischen zwei und vier können quälend sein.
Jesus schläft, erzählt Markus. Trotz des tobenden Sturmes ringsum liegt er auf einem Kissen in tiefem Frieden. Anders die Jünger: sie geraten in Panik und wecken Jesus auf, dass er sie rette vor dem Untergang. Er tut das – wie beiläufig beruhigt er Meer und Wind. Und dabei tadelt er die Jünger: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Eben damit spricht Jesus sein eigenes Geheimnis aus – das Geheimnis, wer er ist und warum er Macht über Meer und Wind sogar hat, dass sie ihm gehorchen. Mit der Frage an die Jünger sagt Jesus nämlich: das tobende Meer und den Sturm, also das Auf und Ab und die Gegenkräfte im Leben erlebt nur der als gefährlich und als Bedrohung, der und die Angst hat. Angst ist das Gegenteil von Glaube. Glauben heißt: Ich traue Gott. Auch dem Glaubenden begegnet Gefahr und manche Widerwärtigkeit. Und immer wieder wird er darauf gestoßen werden, wie schwach und klein er in Wahrheit ist. Aber: wer Gott traut – und so traut wie Jesus –, dem rauben auch der Sturm und das aufgewühlte Meer nicht den Schlaf. Versagen nicht; Schwäche nicht; Not nicht; nicht einmal Schuld. Weil er sich in allem und über alle Abgründe hinweg immer schon und für immer gehalten weiß. Wer glaubt, ist so stark, dass sich Sturm und Wogen der Angst vor ihm legen. Wie vor Jesus, weil er Gott ganz traute. Sein Wort, die Frohe Botschaft vom Gott, der uns trägt, wirkt das Wunder, dass der Sturm in uns still wird.
Sprichwörtlich nachgerade ist die Ruhe vor dem Sturm. So müssen Menschen reden, die auf dem Sprung sind, weil sie sich ängstigen, was denn nun noch oder schon wieder kommen wird. Wer sich zueigen macht, was Jesus kündet, der wird erfahren, dass es auch Ruhe nach dem Sturm gibt. Das erst ist Ruhe, die diesen Namen verdient. Ich wünsche Sie Ihnen.