Vom geistlichen Grund des Dankens

Silberprofess Sr. M. Regis: Röm 11,33-36

I.
Wenn ein Christ sagt: Ich glaube an Gott, so bekennt er damit nicht bloß:
- es gibt eine hohe Majestät in der Ferne;
- es gibt einen Schöpfer allen Daseins;
- es gibt einen Richter von Zeit und Geschichte;
sondern er bekennt vor all dem, dass Gott, der unbegreiflich Geheimnisvolle, sich vom ersten Augenblick seiner Lebensgeschichte an in die Zeilen des Daseins einschreibt, einschreibt als lebendige Wirklichkeit genau so, wie das Jesus von Nazaret bezeugt und durch das Geschick seines eigenen Lebens beglaubigt. Dieses sein Zeugnis für Gott besagt:
- Da ist einer unter mir, der mich trägt, gleichsam wie der Boden unter meinen Füßen, der mich ausschreiten lässt in die Weite meiner Welt: Gott.
- Da ist einer hinter mir, der mir den Rücken stärkt, wenn ich ohnmächtig an meine Grenzen stoße, und der mir aufrechten Gang verleiht, weil er zu mir steht: Gott.
- Da ist einer neben mir, der mein Bangen und Hoffen, mein Glück und meine Grenzen kennt, der mich versteht und mein Leben mit mir teilt: Gott.
- Da ist einer vor mir, der mich einlädt, ja mich lockt und mich zieht, damit ich werde, was ich bin: Gott.
Das ist Gott. Am Dornbusch hat er sich vor Mose genannt: IHWH. Das ist kein Eigenname, sondern ein Kurzsatz. Wörtlich übersetzt heißt IHWH: „Er erweist sich als ...“ Der Satz ist also unvollständig. Er verlangt nach Ergänzung. Man muss die Wege und Wendungen des eigenen Lebens einsetzen in den Satz, dann geht einem auf, wer Gott ist und wer man selbst.

II.
Wo immer ein Mensch dies aus Glaube tut, dessen Leben wird sich gleichsam wie von selbst zu ändern beginnen: Es wird dankbarer werden. Der Lobpreis Gottes in Gebet und heiliger Feier wird sich von Pflicht in Herzensbedürfnis wandeln; das gütige, mitfühlende Zugehen auf andere von Gebot in sinnenhaften Ausdruck der Freude darüber, so sehr die Zuneigung Gottes geschenkt zu erhalten.

III.
Dank ist die erste Regung des glaubenden Menschen vor seinem Gott. Dank nicht nur an den ganz großen Wendepunkten eines Lebens wie etwa dem Jubiläum einer Silberprofess, sondern Dank auch für viele, oft so unscheinbare, so schnell übersehene Spuren der Sympathie Gottes zu uns: die Freude eines guten Wortes, einer von Stille gefüllten Stunde, einer gelungenen Arbeit, einer überstandenen Gefahr, eines strahlenden Morgens, einer überschwänglichen Melodie.

IV.
Eben dazu aber braucht es unsere Aufmerksamkeit: Wie der eigene Schatten wird uns unser Leben lang die Versuchung der Selbstverständlichkeit begleiten. Immer wieder geschieht doch genau das, was Jesus auf dem Weg nach Jerusalem mit den zehn Aussätzigen widerfuhr: Zehn bitten ihn um Hilfe in ihrer Not; zehn werden geheilt; einer kehrt zurück und sagt ihm danke dafür. Ganz glauben bedeutet: Nicht nur für 10 % meines Lebens Gott Dank zu sagen, für das, was mir vorderhand zupass kommt und sich einfügt in den Reim, den ich mir auf mein Dasein mache. Glauben bedeutet: Überzeugt sein, dass mein ganzes Leben des Dankes wert ist. Also danke sagen können auch noch für menschlich gesehen dunkle Stunden, weil auch in ihnen noch geschehen kann, was wesentlich ist für mich. Nur wer so von Gott und vom Leben denkt, wird auch etwas mit den Worten des Hl. Paulus aus der Römerbrieflesung anfangen können:
O Tiefe des Reichtums,
der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unergründlich sind seine Entscheidungen,
wie unerforschlich seine Wege! ...


V.
Ist das der Überschwang eines Menschen, der unverschämtes Glück im Leben hatte? Alles andere als das! Dahinter steht etwas ganz anderes. Eine alte Geschichte sagt es so: Eines Nachts hatte ein Mann einen Traum. Er träumte, er würde mit Christus am Strand entlang spazieren. Am Himmel über ihnen erschienen Szenen aus seinem Leben. Jeder Szene entsprechend bemerkte er zwei Paar Fußabdrücke im Sand, eines gehörte ihm, das andere dem Herrn. Nach der letzten Szene schaute er zurück zu den Fußabdrücken und bemerkte, dass oft auf dem Weg nur ein Paar Fußabdrücke im Sand zu sehen war. Er merkte auch, dass das immer gerade während der Zeiten war, in denen es ihm am schlechtesten ging. Das wunderte ihn, darum fragte er den Herrn: Herr, du versprachst mir einst, du würdest jeden Weg mit mir gehen. Aber während der beschwerlichsten Zeiten meines Lebens sind immer nur ein Paar Fußabdrücke zu sehen. Ich verstehe das nicht. Warum hast du mich allein gelassen, wenn ich dich am meisten brauchte? Der Herr antwortete: Mein Kind, während der Zeiten, wo es dir am schlechtesten ging, wo du auf Proben gestellt wurdest und gelitten hast – dort, wo du nur ein Paar Fußabdrücke siehst -, das waren die Zeiten, wo ich dich getragen habe.

VI.
Diese Geschichte darf man nie erzählen, um davon abzulenken, dass zu einem Leben oft auch Unfertiges gehört und anderes, das der Versöhnung harrt. Wo Brüche waren – und wo fehlten sie ganz! – tragen die glatten Worte nicht. Aber wer das beachtet, den lässt die Geschichte auch ahnen: Es gibt mehr – und viel mehr -, als wir zu überschauen vermögen. Glauben heißt darum nicht zuletzt, Tag für Tag aufmerksam zu gewahren, wofür wir zu danken haben. Sie, liebe Sr. Regis, heute besonders. Und wir alle an jedem Morgen oder Abend neu.