Christliches Signet

6. Ostersonntag B: Joh 15,9-17

I.

Wahrscheinlich ist Ihnen der Name Nicolaus Herman noch nie untergekommen. Kein Wunder. Nicolaus Herman war einfacher Soldat im dreißigjährigen Krieg. Durch eine schwere Verwundung am Bein musste er sein Soldatenleben aufgeben, kam als Diener zu einem hohen Herrn und tat dort einen Dienst, von dem er später sagen musste, dass er alles zwar gut gemeint, aber so unbeholfen angestellt habe, dass so ziemlich alles kaputt machte, was er in die Hände bekam. Weil ihn während seines ganzen Lebens immer wieder die Frage nach Gott umtrieb, trat er als Vierzigjähriger ins Karmel-Kloster von Paris ein. – Ich war der Meinung, sagte er über diesen Schritt später, - ich war der Meinung, ich würde dort Gelegenheit finden, für meine Dummheiten und Vergehen Buße zu tun. Aber Gott enttäuschte mich gründlich. Er ließ mich nur Freude und Zufriedenheit finden.

II.

Schon seltsam. Da ist ein Mensch, der weiß um seine Grenzen, seine schwachen Seiten, und dass er Fehler gemacht hat. Aber wenn ihm Gott in den Sinn kommt – beim Beten oder sonst wo -, da freut er sich. Ob so etwas viele von sich sagen können? War Nicolaus Herman eine Ausnahme, ein Paradefrommer? Alles andere als das: Er war ganz einfach Christ. Aber das ganz. Christ sein heißt soviel wie: Ich freue mich, wenn ich an Gott denke.

III.

Jedenfalls behauptet das das Evangelium. Und es sagt uns auch dazu, wie einer dazu kommt, zu diesem Freuen an Gott. Jesus selbst spricht es aus: Bleibt in meiner Liebe! Das geschieht dadurch, dass ihr meine Gebote haltet. Und das habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist. – Und was ist sein Gebot, das uns froh werden lässt über Gott – und darum – siehe Nicolaus Herman – auch des eigenen Lebens? – Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Dieses Gebot, das die Liebe Jesu uns sein will, verpflichtet nicht auf hehre Vorsätze und nicht auf tiefe Gefühle. Wir wissen ja: das Kennzeichen der Liebe Jesu ist die Fußwaschung: nüchtern einstehen füreinander; sich nicht zu gut dünken, sich zu bücken für einen; dem andern einen Dienst erweisen, ohne auszurechnen, ob sich denn das für mich lohnen wird – das ist Jesu Liebe. Nüchterne Demut; Demut kommt ja von Dienmut; nüchterner Mut zum Dienen, das ist, was Jesus mit Liebe meint.

IV.

Wenn freilich unser Leben so sich ganz der Liebe verdankt, aus Gottes Liebe hervorgeht, ja geradezu ein sichtbar gewordenes Stück dieser Liebe ist, wie könnte dann die Bewegung der Liebe, ihr Drang auf den anderen hin in einem Menschenleben abgeblockt und unterbrochen werden! Liebe kann in unserem Dasein überhaupt nicht fehlen, solange Leben nun wirklich es selbst sein und sich treu bleiben will. Wie von selbst erhebt sich deshalb aus der Mitte unseres Herzens das Gebot der Liebe – als einzig natürliche Antwort auf Gottes Tun für uns. Und eben deshalb ist uns das Liebesgebot nicht auferlegt als Zwangsjacke und Schikane. Es ist uns vielmehr Hilfe zum Leben können. – Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.

Wo Menschen diese Einladung Jesu annehmen und in den Dialog der Liebe eintreten, da freilich geht es nicht nur um ein menschenwürdiges Auskommen untereinander. Da bahnt sich nach dem Zeugnis des Evangeliums noch etwas ganz anderes an. Viele Christen von heute pflegen es, ob ihrer Hektik und ihrer Gleichgültigkeit geistlichen Dingen gegenüber, regelmäßig als fromme Rede zu überlesen. In Wirklichkeit geht es dabei um den größten Schatz ihres Lebens: Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage, wenn ihr also liebt – sagt der Herr. Ich nenne euch nicht mehr Knechte. Knecht hieß in Israel nicht nur der Dienstbote. "Knecht" bezeichnete auch die Stellung des Menschen gegenüber Gott. Allein Abraham und Mose heißen wenige Male Gottes Freunde im Alten Testament. Und jetzt nennt Jesus, der für Gott spricht, - er nennt jeden, der liebt, Freund. Ahnen sie, was hinter diesem Wort Jesu verborgen liegt? Ja, wir sind mehr als Abraham und mehr als Mose, wenn wir uns in den von der Liebe geleiteten Lebensbewegung Jesu hineinbeugen, wenn wir ihm nachfolgen. Die Liebe, die einer tut, emanzipiert ihn als vom Knecht zum Freund. Sie setzt ihn frei von aller äußerlichen Gesetzlichkeit hinein in ein inniges Vertraut sein. Sie bringt ihn in eine geradezu unglaubliche Unmittelbarkeit zu Gott. Sie erhebt ihn an die Seite Jesu, gibt Anteil an der Gemeinschaft mit Gott, wie Jesus sie im Herzen trägt – durch nichts und niemand verstellt und verzerrt. In dem Maß, in dem einer liebt, ganz unspektakulär, vielleicht ganz einfach da ist für einen anderen und ihm zuhört in seiner Not ohne Ansehen seines eigenen Nutzens und ohne sich dabei nochmals moralisch gut zu fühlen, in genau dem Maß ist er wirklich bei Gott. Und Gott bei ihm. So nah können Gott und Mensch einander sein. Unzertrennlich liegen sie einander in den Armen, wo Liebe geschenkt wird. Das ist das ganz große Geheimnis unseres Gottes. Und eben das ist es, was Jesus vom Vater gehört hat. Und es ist alles, was er uns mitteilt. Wenn Menschen das mit dem Herzen wissen, also als ihr Eigenes anerkennen, dann sind sie Freunde Gottes und kennen sein Geheimnis. So gut können wir Christen Gott kennen. Und eben das verleiht uns Gewicht.

Wer das Gebot Jesu lebt, darf das hören: Er/Sie ist Freund. Freund Jesu und darum Freund Gottes, weil Jesus der ist, der untrennbar zu Gott gehört, ein Stück von ihm – sein Sohn, wie die Alten sagten. Wer einem andern von Herzen so gut ist, wie Jesus zu uns gut war; wer so ohne Hintergedanken und Eigensucht liebt wie er, dem ist Gott so nah wie er Jesus nah war: nämlich ganz. Der steht mit Gott auf Du und Du. Der ist vertraut mit ihm und versteht ihn – versteht, dass Gott selbst Grund und Mitte und Geheimnis seines Lebens ist. Das Wie-Jesus-Lieben macht das: Wer so lebt, weiß alles von Gott, was man von ihm wissen kann: Ich habe – sagt der Herr – euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.

V.

Und genau das ist es, was einen, der die Liebe Jesu lebt, so froh und zufrieden macht – wie den Nicolaus Herman. Denn wer mit ihm und wie er die Liebe tut, der versteht durch ihn, dass er im nüchternen menschlichen Füreinander-Dasein nichts anderes tut als das, was Gott für uns schon immer getan hat und für immer tun wird. Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Und Jesus liebt uns, damit wir lieben lernen wie er. Wer mit Jesus liebt auf seine Menschenweise, der weiß, was Gott tut für ihn. Er weiß: Obwohl ich kein Recht und keinen Anspruch darauf habe steht da einer zu mir und ist mir gut. Auch dort – und gerade dort -, wo ich es menschlich gesehen absolut nicht wert bin, wo ich niemals zurückerstatten könnte, was der andere – was Gott – für mich tut. Aber genau das sind ja die Ernstfälle der Liebe. Vor Gott ist immer Ernstfall für uns. Und immer geht es gut aus.

Große Worte haben da keinen Platz mehr. Und auch nichts Lautes und Grelles. Und dennoch kennt dieses Menschwerden aus der Liebe ein untrügliches sichtbares Zeichen: Dies habe ich euch auch gesagt, damit meine Freude in euch ist – und damit sie vollkommen sie. Das Glück gelingenden Menschseins spiegelt sich wider in der Freude, manchmal dem überschwänglichen, meist wohl dem stillen Frohsein dessen, der Gott gefunden hat und in ihm sich selber. Diese Freude kommt zu dem, der sich von der Liebe ergreifen und verwandeln lässt. Sie kommt aus erfahrener und getaner Liebe. In ihr leuchtet das Glück des Gottesreiches aus – das sagt uns das Evangelium.

Und ich meine, damit setzt es uns einen spitzen Stachel ins Fleisch. Denn wie geht das zusammen mit der tiefen Freudlosigkeit, die sich oft genug bleiern über das Tun der Kirche und ihre Gemeinden breitet – die unterkühlte Atmosphäre in den Gottesdiensten, das amtliche Immer-schon-Bescheid-Wissen in allem und jedem und der Krämerseelengeist in der Arbeit der Gremien und Verbände, das sind so Gewänder jenes Fehls an Freude. Die Verantwortlichen einiger süddeutscher Diözesen führen das derzeit gerade wieder mal mustergültig vor. Wo Menschen sich nicht freuen können, dass sie Christen sind und weil sie Christen sind, da hat sie das Geheimnis Gottes noch nicht berührt. Jede Gemeinde – auch die unsere – und jeder und jede einzelne in ihr hat da sein Schuldbekenntnis zu sprechen, weil er den Schatz seines Lebens, die unverstellte Nähe Gottes und seine eigene Emanzipation zum Freund, zur Freundin des Herrn durch seine Lieblosigkeit verschleudert. Der einzige Weg heraus aus diesem Verhängnis freilich bleibt noch einmal nichts anders als die Liebe. Sie ist unumgehbar und unüberholbar. Das erste und das letzte Wort unseres Christenlebens. Über sie – diese Liebe – lässt sich streng genommen gar nicht reden. Sie lässt sich nur tun. Und nur, wer sie tut, weiß um sie und versteht das heutige Evangelium. Fangen wir also an mit ihr. Jeden Tag neu. Und wenn wir hundertmal versagen, fangen wir auch ein hundertunderstes Mal an mit ihr. Diesen Anfang brauchen wir nicht einmal selber zu machen. Er wird uns geschenkt. Jetzt, in dieser Stunde, wenn wir glaubenden Herzens Eucharistie feiern, dieses Fest der sich in Brot und Wein verschenkenden Liebe Gottes. Wer jetzt dann vom Brot des Lebens isst, der nimmt ein unzerstörbares Saatkorn der Liebe in sich auf. Es möchte sich entfalten in ihm, ihn ausfüllen und in ein lebendiges Gleichnis der Liebe Gottes verwandeln.