Botschaft ohne Worte

Osternacht B: Mk 16,1-8 [erweitert]

I.

Heute halten wir Osternacht. Vor drei Tagen haben wir das große Fest unseres Glaubens begonnen. Wir haben uns am Gründonnerstagabend an den Abschied Jesu von seinen Freunden erinnert. Am Karfreitag haben wir seines Leidens und Sterbens gedacht. Und jetzt feiern wir seine Auferstehung. Gott hat den Gekreuzigten auferweckt: Das ist das Urwort unseres Glaubens. Ohne es wüsste heute kaum mehr einer, dass es Jesus gab und wer er war. Ohne es gäbe es kein Neues Testament, keine Gemeinden, keine Kirche.

II.

Was bedeutet dieses Urwort – "Gott hat den gekreuzigten Jesus auferweckt"? Man muss genau hinhören, von wem darin was gesagt wird. Dieses Urwort spricht von Gott. Er ist es, von dem an erster Stelle etwas ausgesagt wird – er, Gott, ist das Subjekt des Satzes und damit der Handelnde. Und da war Jesus. Er hat von Gott erzählt, wie er in Wahrheit ist: Einer, der uns Gutes will, der uns nicht einmal abschreibt, wenn wir uns schuldig machen, der liebevoll um uns wirbt, ja ringt, um uns wieder für sich zu gewinnen. Einer, dem man darum unbedingt vertrauen darf. Das hat Jesus verkündet, und was er verkündete, hat er in menschlichen Gesten – Hunger stillen, heilen, befreien, Sünden vergeben – versinnbildet und spürbar gemacht.

Bestimmten Kreisen hat dieser Gott Jesu nicht gepasst. Er war ihnen zu nah, zu menschlich. Sie wollten ihn weiter weg, höher, unnahbar. Denn dann war mehr Platz für sie selber, für ihre Ansprüche, ihre Interessen. Darum haben sie, als es ihnen zuviel wurde, Jesus beseitigt. Er floh nicht vor dem diesem Ende, obwohl er es gekonnt hätte. Denn mit einer Flucht hätte er Lügen gestraft, was er von Gott sagte: Wenn man Gott vertrauen kann, dann kann man ihm in allem vertrauen, in absolut allem, also auch dann noch, wenn mir alles aus der Hand genommen wird, ich mir selbst, wenn ich sterbe. So machte Jesus auch noch sein Ende zur Botschaft, zum Schlusswort dessen, was er während seines Lebens gepredigt hatte.

Unser Urwort "Gott hat Jesus auferweckt" ist so etwas wie das himmlische Echo auf jenes Schlusswort Jesu. Es kann darum nichts anderes heißen als: Gott selbst hat bestätigt, was Jesus während seines Lebens und dann besonders mit seinem Ende am Kreuz von ihm gesagt hat. Er hat Jesus recht gegeben. Recht gegeben also auch seinem Vertrauen, sogar im Tod nicht verloren zu gehen, weil Gott in allem der Verlässliche, der Treue bleibt. Gegen die Macht des Todes Recht zu bekommen aber bedeutet nichts anderes, als im irdischen Sterben zu entdecken, dass das bisherige Leben schon eine verborgene Innenseite besaß, die der Tod nicht zerstören kann und die jetzt erst sichtbar wird.

III.

Recht bekommen aber ist nicht etwas, das im stillen Kämmerlein geschieht. Recht bekommt einer vor den Augen der Öffentlichkeit. Doch weil es sich bei dem Recht, das der Gekreuzigte von Gott bekommt, um das Recht seines urpersönlichen Gottvertrauens, also das Recht von etwas ganz und gar Innerem zwischen Gott und Jesus geht, kann dieses Rechtbekommen – wie alles Innere – nur in Sinnbildern und Zeichen zu öffentlichem Ausdruck kommen. Wie das geschieht, hängt dabei ganz und gar davon ab, wem in welcher Situation das Bestätigt worden sein Jesu aufgeht, also offenbart wird. Daher rührt, dass es im Neuen Testament so viele verschiedene, miteinander nicht vergleichbare und aufeinander nicht rückführbare Geschichten über die Begegnung mit dem Auferstandenen gibt.

IV.

Eine der aufregendsten dieser Geschichten scheint mir die aus dem Evangelium der heutigen Nacht zu sein. Aufregend vor allem deshalb, weil sie uns durch die, die in dieser Geschichte vorkommen, sagt, auf welche Weise wir selber Zeugen dafür werden, dass Jesus von Gott Recht bekommen hat. Maria von Magdala, eine andere Maria und Salome begeben sich zum Grab, um Jesus durch eine Salbung einen letzten Liebesdienst zu erweisen. Als sie hinkommen, finden sie alles anders, als sie es erwarten. Gräber sind immer zu. Jesu Grab steht offen. In Gräber liegen Tote. Sie finden stattdessen einen weiß gekleideten jungen Mann, also einen Engel. Das sind solche Sinnbilder für das, was zuinnerst zwischen Gott und Jesus geschah.

Und was sagen diese Sinnbilder? Das Grab offen und kein Toter. Das heißt soviel wie: Hier sucht ihr an der falschen Stelle, wenn ihr nach Jesus und seinem Schicksal sucht. Das Grab ist leer, es beinhaltet keine Auskunft und keine Botschaft über ihn. Und noch deutlicher der Engel, Gottes Botschaft in Person sozusagen: Der Engel schickt die drei Frauen fort vom Grab. Aber wichtig, wohin er sie schickt! Nach Galiläa – dorthin also, wo alles begonnen hatte, wo Jesus zu predigen anfing, wo sie ihn kennen gelernt hatten und ihm gefolgt waren. Er schickt sie zurück an den Anfang seines Weges und ihres Weges mit ihm. Jemand an den Anfang eines Weges zurückschicken heißt nichts anderes, als ihn auffordern, den Weg nochmals zu gehen. Dort werdet ihr ihn sehen, verspricht der Engel.

V.

Er will sagen: Das Gottvertrauen selbst zu leben, das er gelebt hat, es in die tätige Güte zu übersetzen, die er gewagt hat, heißt dorthin kommen, wo einem unzweifelbar aufgeht, dass er recht hatte und dass darum für immer gültig bleibt, was er sagte und wie er war – dass er also lebt. Dass Auferweckung so wenig irgendein Jenseits meint und so zuinnerst im gelebten Leben beginnt, - darauf können Menschen wahrscheinlich zunächst einmal gar nicht anders reagieren als die Frauen am Grab: in Furcht und Entsetzen davonzulaufen, weil der Himmel so unglaublich nah ist. Aber schon der nächste Satz deutet an, dass sie trotzdem verstanden haben: Denn sie erzählen nichts von dem, was ihnen widerfahren ist. So endet das Markus-Evangelium. Weil für die Osterbotschaft Wörter nicht das Erste sind. Was aber dann?

VI.

Eigentlich sehr einfach: Dass es das Evangelium und an seinem Ende unsere Geschichte dennoch gibt, verrät, dass das Rechtbekommen Jesu durch Gott trotz des Schweigens der ersten Osterzeuginnen öffentlich geworden ist: Wenn aber nicht durch Worte, weil die Frauen schwiegen, dann eben dadurch, dass sie – ganz wie der Engel es ihnen aufgetragen hatte – mit dem Weg des Glaubens ganz von vorn anfingen und so durch ihr Tun und Leben Zeugnis gaben von dem, was unzerstörbar ist und trägt. Man kann dafür sagen: Sie sind Zeugen dafür geworden, dass Jesus lebt. Aber – wie gesagt: die Worte sind zweitrangig. Die Osterbotschaft gibt es schon vor ihnen. Den Jesus-Weg gehen macht Ostern aus. In seinem Gehen geschieht werden wir aus dem Todesdunkel geholt. Und klar natürlich, dass dieser Schluss ohne Worte auf die Leser und Hörer – also auch auf uns – zielt und soviel bedeutet wie: Geht doch mit! Dann werdet ihr ihn sehen.