Schon besiegt

Taufe des Herrn B: Mk 1,7-13

I
Wie stellst Du Dir das Ende vor, fragte der Geistliche. Früher dachte ich, es müsse gut enden, sagte K., jetzt zweifle ich daran manchmal selbst. Ich weiß nicht, wie es enden wird. Weißt Du es? Nein, sagte der Geistliche, aber ich fürchte, es wird schlecht enden. Man hält dich für schuldig. Dein Prozeß wird vielleicht über ein niedriges Gericht gar nicht hinaus kommen. Man hält wenigstens vorläufig Deine Schuld für erwiesen. – Ich bin aber nicht schuldig, sagte K. Es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein Mensch überhaupt schuldig sein? Wir sind hier doch alle Menschen, einer wieder andere. – Das ist richtig, sagte der Geistliche, aber so pflegen die Schuldigen zu reden.

II
Ich muss es eigentlich nicht erst dazusagen: Ich zitierte soeben aus Kafkas "Der Prozeß". Die Passage bringt auf den Punkt, was der Dichter mit dem ganzen Roman zum Ausdruck bringen wollte: Du kannst denken, was du willst. Du kannst dich entschuldigen, wie du willst, du kannst dich berufen worauf du willst – am Ende ist alles eins: Du bist und bleibst ein Schuldiger. Das Leben – gnadenlos. Ein einziges Verhängnis. Du kannst gar nicht anders, als dich schuldig zu machen und darum beschuldigt zu sein.

III 
Franz Rosenzweig, einer der großen jüdischen Denker der deutschen Philosophie des 20. Jahrhunderts, sagte einmal mit Blick auf ein anderes Werk Kafkas, den Roman "Das Schloß": Ich habe noch nie ein Buch gelesen, das mich so stark an die Bibel erinnert hat. Im Grunde gilt das für alles, was der Dichter schrieb: Meist tragen seine Hauptgestalten nur Initialen – Kafka wollte sagen: Mit der Vertreibung aus dem Paradies verlor der Mensch seinen Namen und mit ihm die Sprache – es gibt keine wirkliche Verständigung mehr – und auch die Liebe, von der nur noch das Geschlechtliche bleibt.

So vom Leben zu denken, ist nicht Ausgeburt einer schwarzen Phantasie. Kafka rekapituliert auf diese Weise nur nochmals, was in den ersten elf Kapiteln der Bibel steht: Wie Gott den Menschen geschaffen und ihm voller Gunst ein Leben im Paradiesgarten geschenkt hat – mit nur einem einzigen unter den vielen Fruchtbäumen zum Genießen, der ihm vorenthalten ist als Erinnerungszeichen daran, dass er das alles nicht selbst gemacht hat, sondern einem verdankt. Wie der Mensch diesem gönnenden Gott trotz dieser Fülle misstraut, der wirklich Gute zu sein, und sich darum selbst zum unumschränkten Herrn aufzuschwingen sucht. Wie sich dadurch der wunderbare Lebensgarten ohne das Gottvertrauen in ein Jammertal verkehrt: Alles zerrissen, was von Gott verbunden war: der Mensch gegen Gott, so dass er sich vor ihm aus Angst versteckt. Der Mann gegen die Frau und die Frau gegen den Mann, da sich das einst vom bezauberten Jubel erfüllte Zueinander der Geschlechter der Logik von Macht und Begehren verfällt. Der Erdboden, der so Fruchttragende, übersät mit Disteln, lässt sich nur noch mit Mühsal das tägliche Brot abringen. Neues Leben wird unter Schmerzen geboren. Einer der Nachkommen bringt den eigenen Bruder um – Kain und Abel. Gewalt und das Böse wachsen wie eine Lawine. Und dann – trotz des Ritardandos der Sintflut – am Ende der Zerfall von allem beim Turmbau von Babel, der doch als gigantische Aufrüstung das Leben sichern und die Angst vertreiben sollte, aber stattdessen dazu führt, dass einer des anderen Sprache nicht mehr versteht.

Und? Ist das nicht ziemlich genau die Welt, die wir Tag für Tag bald direkt bald indirekt erleben? In den Fernsehbildern, was das Große betrifft. Und im kleinen der alltäglichen Selbstbehauptungen daheim, überall. Der Himmel ist verriegelt, die Erde ein Straflager, einzig von Schuldigen bewohnt. Kafka hatte Recht. Unsere Erfahrung gibt ihm Recht.

IV
Kafka hatte Recht. Aber das Evangelium redet ihm dazwischen. Es tut das mit der Geschichte von der Taufe Jesu. Damit, dass er von Johannes im Jordan die Taufe zur Vergebung der Sünden empfängt, tritt Jesus ins Licht der Öffentlichkeit. Markus erzählt von dem her, was die Jünger später mit Jesus erlebt hatten, dieses erste Auftreten Jesu so, dass daran schon sichtbar wird, wozu Jesus eigentlich kommt.

Es geht ihm um die Sünde, das Verhängnis, das wie ein Fluch über dem Leben liegt, das einen dazu verdammt, sich schuldig zu machen, und seine tiefsten Wurzeln im Getrennt-Sein von Gott hat. In dem Augenblick, da er mit dem Zeichen des Getauftwerdens zu Gott fleht, diese gnadenlose Zerrissenheit möge zu Ende kommen, da sah er – hören wir - , dass der Himmel sich öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Auf seine Vergebungsbitte hin tut sich auf, was seit Adam verschlossen war. Und er wird sich darüber klar, dass Gott ihn selbst in den Dienst dieser Versöhnung von Himmel und Erde stellt. Darum – so sieht Markus es – steht der Himmel offen, wo Jesus ist. "Wie eine Taube"  nennt der Evangelist die Verbindung zwischen oben und unten, die durch Jesus geschieht. Damit spielt er natürlich auf das Hoffnungszeichen aus der Sintflutgeschichte an, die Taube, die Noach aussendet und die ihm mit dem Ölzweig den allerersten Gruß neuen Lebens bringt. Aber genauso bedeutsam: Im Alten Orient galt die Taube weit verbreitet als Hochzeitsvogel, als Sinnbild also von Lebensbund, Neubeginn und Liebe. Sie, die Liebe, die überschwängliche, die manchmal verrückte, durch nichts zu beirrende, mit nichts aufzuwiegende, sie ist es, die das Zerrissene wieder heilen, die Kluft wieder schließen kann, aus der das Böse aufsteigt.

Die Himmelsstimme, die Jesus zu dieser seiner Vision dazuhört, bestätigt ihm das: Du bist mein geliebter Sohn. Und das ist seinerseits ein Vers, in dem Kernworte aus allen drei Teilen der jüdischen Bibel, also der Bibel, wie Jesus selbst sie las, anklingen: Einer aus der Tora, nämlich der Spitzengeschichte der Abrahamserzählung, wo Gott selbst den Isaak als den bezeichnet, den Abraham als seinen Einziggeborenen liebhat; dann ein Vers aus den Propetenbüchern, Jesaja 42,1, den wir auch in der ersten Lesung hörten, wo Gott seinen Knecht den nennt, an dem er Gefallen findet und auf den er seinen Geist legt; und dann spielt aus dem dritten Teil der Bibel auch der Psalm 2 Vers 7 hinein, der die Erwählung des Königs durch Gott proklamiert: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt. Abrahams Verheißungssohn, der Gottesknecht und der königliche Messias zugleich, die ganze Schrift – nur wer diesem Netzwerk der Anklänge nachspürt, ahnt etwas von dem Gewicht, das auf dem Schlussvers des heutigen Evangeliums ruht. Ein Gebirge von Erwartung, das im Innern vor Hoffnung glüht.

Von daher kommt auch erst wieder die ganze Dramatik der Geschichte von Jesu Taufe in Blick, die uns ansonsten durch die Vertrautheit der Episode verdeckt ist. Ist es doch kein anderer als Gott selbst, der in seinem Liebsten, seinem Herzenskind, in dem, der untrennbar zu ihm gehört und seit je sein Innerstes ausmacht, die – ja ich sage es so – Arbeit der Versöhnung auf sich nimmt, auf seine Kosten, für die ihm nichts zu viel ist, nicht einmal er sich selbst. Und das ja auch erst macht das wahre Wesen von Liebe aus.

Man darf sich ja all das, was eben über Gottes Handeln in menschlichen Worten zu sagen war, nicht sozusagen mit "links" gemacht vorstellen. Wenn Gott das absolute Gegenteil seiner selbst, das Böse, die Sünde, das Abgelehntwerden seiner verwindet, dann verlangt ihm das – menschlich gesagt – das Äußerste ab: dass er um unseretwillen auf sich selbst Verzicht tut und darin sozusagen das Oberste zu unterst kehrt. Das ist auch der Grund, warum manche sensible Maler unserer Tage wie der Priester-Künstler Herbert Falken oder .... den Gekreuzigten bisweilen kopfüber darstellen. Noch feinsinniger wohl drückt das ein Relief am Nordportal der Würzburger Marienkapelle aus, das aus dem 15. Jahrhundert stammt. Es zeigt die Verkündigungsszene: Maria kniet vor dem Betrachter, ganz in ein Buch versunken, die Heilige Schrift mit ihren Verheißungen natürlich. Der Engel tritt in ihren Raum ein und hält Ihr das Schriftband mit dem "Ave Maria, gratia plena" entgegen. Und darüber Gott, der Vater: Aus seinem Mund kommt Gottes Geist, dargestellt wie eine Art Bahn, die sich herabschwingt zu Maria und an ihrem Ohr in Gestalt einer Taube endet. Und auf dieser Bahn, fast einer Rutsche, gleitet das Jesus-Kind bäuchlings und kopfüber dem Ohr seiner Mutter zu. Aus eigener Erfahrung ist Ihnen wohl vertraut, wie man sich in einer solchen Körperhaltung fühlt, wie ausgesetzt und ohnmächtig im Grund. In diesem Bild mit seiner Bewegung des Hinab und Kopfüber sind der Anfang der Menschwerdung – Jesu Empfängnis – und ihre Vollendung, das Hinteruntergehen bis zum Grunde in der Jordantaufe geistlich zusammengeschaut, so dass dieser Abschluss der Weihnachtsgeschichte, des Kommens Gottes zu uns, zugleich als Overtüre der Passionsgeschichte erscheint. Jesu Taufe ist das Bindeglied zwischen beiden.


V
Dass Jesus selbst diese Erfahrung, da ihm seine Sendung aufging, überwäl tigte und aufwühlte, kann nicht überraschen. Darum trieb es ihn in die Wüste, wie Markus erzählt, den Ort der Einsamkeit, der Bewährung auch, wie es Israel im Gang seiner Geschichte immer wieder erfahren hat. Dort stellte er sich dem, wozu er sich jetzt berufen glaubt. Er setzte sich dem Bösen aus – und hielt ihm Stand. Er musste erproben, ob die Liebe, die er empfing, und die Liebe, die er empfand, ob die tragen würde – und sie trug. Anders als bei Adam und den Seinen.

Und weil sie trug, war auch das Paradies nicht mehr verschlossen. Er lebte bei den wilden Tieren, heißt es. Die Verbundenheit der Geschöpfe untereinander wird wiederhergestellt, der messianische Friede beginnt. Nach der Abwendung von Gott hatte ein Engel mit dem Flammenschwert das Paradies verschlossen, jetzt tragen nicht nur einer, sondern viele Engel Sorge um den Menschen, den neuen. Alles Sinnbilder das, natürlich, aber Sinnbilder, die für sich sprechen. Wir verstehen sie: Nichts und niemand mehr kann uns gefährlich sein, am Ende Tod und Teufel nicht einmal. Und behütet und bewahrt sind wir – Getragene. Was bewirkt solche Wunder? Die Liebe. Die Liebe Gottes zu uns, die Jesus bezeugt, und die, die er als Antwort darauf lebt.

Christsein heißt, diesem Zeugnis glauben und selbst die Liebe riskieren. Das hat nichts Gefühlsseliges an sich. Im Gegenteil: Die Liebe tun, heißt: Ohne auf den Preis zu achten, dem Verhängnis ins Wort zu fallen, den Teufelskreis von Schuldigmachen und Beschuldigtwerden zerbrechen. Jesus hat den Anfang gesetzt. Eine unzählbare Schar schon hat es ihm nachgetan. Sonst gäbe es die Welt gar nicht mehr. Jetzt sind wir an der Reihe.