Zielangabe
1. Advent A: Jes 2,1-5
I.
Eigentlich ist es seltsam: Die Zeit schreitet unumkehrbar und unwiederholbar in einer Richtung fort. Der Augenblick, der soeben vor uns liegt, geht durch das Jetzt hindurch, und schon ist er vergangen, auf immer unveränderbar geworden, unerreichbar hinter uns. Ob wir wollen oder nicht: Indem die Zeit durch uns hindurchgeht, nimmt sie uns mit in ihre Richtung – nach vorne.
Trotzdem ordnen wir unsere Zeit. Und wir tun das auf eine Weise, die regelrecht quer steht zum Verlauf der Zeit. Wir ordnen alles in Kreisform, also so, dass wir immer an den Anfang zurückkehren und neu anfangen. Allein schon mit jedem Tag tun wir das. Jeder Morgen ist ein Neuanfang, genauso jede Woche, jeder Monat, jedes Jahr.
II.
Ebenso halten wir es in den Dingen des Glaubens. Wir wissen, dass wir unumkehrbar von unserer Geburt an dem Sterben und darin Gott entgegengehen. Aber die Zeit dazwischen, die besteht aus Jahreskreisen, in denen wir den Glauben feiern. Den Anfang dieses Jahreskreises bildet der erste Advent, den wir heute begehen. Dass wir jedes Jahr einen solchen Neuanfang halten, ist zunächst eine Einladung: Wenn man etwas wiederholt, prägt man sich es ein. Nur Wichtiges wiederholen wir normalerweise, um es nicht nur nicht zu vergessen, sondern zu vertiefen. Und wenn ich etwas wiederholen darf, erhalte ich die Chance, etwas nachzuholen oder zu verbessern, was ich bisher ausgelassen oder nicht gut genug getan habe. Kreisförmige Zeit tut uns gut.
III.
Trotzdem überblendet der Jahreskreis unserer Glaubenszeit nicht jenen unumkehrbaren Flug des Zeitpfeils nach vorne. Die Art, wie wir den Advent selbst begehen, macht das sichtbar. Zunächst schon äußerlich dadurch, dass wir jeden Sonntag im Advent am Adventskranz – einem Kreis wohlgemerkt! – eine Kerze mehr anzünden, sodass es immer heller wird. Das ist eine sinnbildliche Richtungsweisung, worauf alles hinausläuft, wenn wir treu den Glauben immer neu, immer wieder von vorne einüben, um ihn stark zu machen. Indem wir die Jahreskreise durchleben, werden wir aus dem Dunkeln ins Helle getragen.
Dem entspricht genau, dass uns in der allerersten Lesung des neuen Jahreskreises eine Zielangabe begegnet. Obwohl vor zweieinhalb Jahrtausenden formuliert, ist sie hochaktuell. Formuliert hat sie der Prophet Jesaja. Der Hl. Augustinus hat einmal diesen Jesaja den Evangelisten, also den Frohbotschafter unter den alttestamentlichen Propheten genannt. Trotzdem war Jesaja kein Süßholzraspler. Alles andere als das! Das biblische Buch, das seinen Namen trägt, enthält in der Mehrzahl gnadenlose Abrechnungen mit der Verlogenheit der Menschen Gott gegenüber und glühende Proteste gegen das, was Menschen einander an Unmenschlichem antun können.
Ohne jede Einleitung fängt das Buch Jesaja mit einer Anklage der Untreue Israels Gott gegenüber an, sagt es Jerusalem, der Heiligen Stadt, den Untergang voraus, weil ihre Bewohner mit Gott Schindluder treiben. In diesem Zusammenhang steht übrigens auch jener Satz, durch den Jesaja bis heute versteckt zwei Figuren unserer Weihnachtskrippen geschaffen hat: Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht. Ochs und Esel in der Krippe haben also überhaupt nichts mit Idylle und Romantik zu tun. Sie erinnern an die Plage, die Not, die Gott mit den Menschen hatte – und hat. Und dass er darum buchstäblich das Letzte, nämlich sich selbst dran geben muss, wenn er von seinen Geschöpfen erkannt werden will.
Aber mitten in diesen klagenden und anklagenden Worten Jesajas stehen auch die Zeilen der Lesung von vorhin: Alle Völker, alle, werden sich aufmachen zum Gottesberg, also dorthin, wo Gott dem Menschen am nächsten ist. Sie werden seine Nähe suchen, werden sich von ihm über den Gang seines rechten Lebens etwas sagen lassen und darum für seine Gebote ein offenes Ohr haben. Und das wird von selbst Folgen haben dafür, wie Menschen und Völker miteinander umgehen. Sie werden, sagt Jesaja, aus ihren Schwertern Pflugscharen und Winzermesser aus ihren Lanzen schmieden. Sie werden abrüsten und aus den Waffen, mit denen sie sich bekriegt haben, werden sie Geräte machen, um die Felder zu bestellen, damit Brot wachse, und Winzermesser für die Weinernte.
Darauf will die Geschichte hinaus, die Gott mit den Menschen seit Abraham angefangen hat. Dass Menschen und Nationen einander in ihrer Verschiedenheit respektieren, dass sie einander leben helfen und miteinander Frieden halten. Könnte es heute ein Ziel geben, das dringlicher wäre? Betrogen und belogen wird, dass sich die Balken biegen. Unliebsame Stimmen werden per Hinrichtung zum Schweigen gebracht. Und Krieg geführt wird derzeit an etwa 80 Orten der Welt. Zwingt uns diese Bilanz nicht dazu, einzugestehen, dass es sich bei Jesajas Vision nur um die Traumtänzerei eines gutgläubigen Naivlings handelt?
IV.
Dächten wir so – wir müssten die Bibel schließen und unsern Gottesdienst sofort beenden. Alles, was wir sagten, was wir täten, wäre nichts anderes als Selbstbetrug. Was also bleibt? Die Antwort sagt uns Jesaja im letzten Satz der heutigen Lesung: Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn.
Das Ziel steht aus und es mag noch unendlich fern erscheinen, buchstäblich so fern wie der jüngste Tag. Und doch appelliert der Prophet an sein Volk, jetzt schon zu tun, was später einmal alle tun werden. Kommt, gehen wir unsere Wege im Licht des Herrn, folgen wir jetzt seinen Geboten! Jemand muss anfangen. Und nicht unbedingt der Mächtigste oder Stärkste, der tut es in der Regel ja sowieso nicht. Israel war winzig und wehrlos im Vergleich zu sämtlichen umliegenden Völkern und Gemeinschaften. Aber jemand muss anfangen, muss Avantgarde, also Vorhut werden mit allem Risiko! Und wer sonst könnte es am ehesten als die, die mit dem Gott schon vertraut sind, in dessen Namen Jesaja seine große Vision zu formulieren wagt?
V.
Und genau das gilt heute noch immer. Wer sollte denn anfangen, wenn nicht die, die Gott trauen und damit zu denken wagen, dass das Bild der einen Menschengemeinschaft vor dem einen nahen Gott kein Trugbild ist? Die Gemeinschaft der Glaubenden mag heute – zumindest in unseren Breiten – so klein und ohnmächtig sein wie Israel damals zwischen seinen Nachbarn. Aber sie kann anfangen zu leben, wozu der Prophet aufruft. So wird sie zum Erinnerungszeichen an eine Zukunft, die mehr birgt als das, was wir jetzt als Gegenwart erleben. Ohne diesen Hoffnungsstachel dürften wir nicht der Stimme unseres Gewissens trauen, die uns zum Guten ruft und dürften wir nicht einmal für die Opfer der Geschichte hoffen, dass ihnen Gerechtigkeit werde. Gut und böse wären gleich-gültig im buchstäblichen Sinn. Wo aber Menschen aus ihrem Gottvertrauen sich dafür verbürgen, dass das nicht so ist, verändern sich Welt und Zeit, unumkehrbar. Wir haben ein Ziel, für das sich zu leben und treu zu sein lohnt, etwas, das wir herbeisehnen und herbeileben. Das ist Advent.
Eigentlich ist es seltsam: Die Zeit schreitet unumkehrbar und unwiederholbar in einer Richtung fort. Der Augenblick, der soeben vor uns liegt, geht durch das Jetzt hindurch, und schon ist er vergangen, auf immer unveränderbar geworden, unerreichbar hinter uns. Ob wir wollen oder nicht: Indem die Zeit durch uns hindurchgeht, nimmt sie uns mit in ihre Richtung – nach vorne.
Trotzdem ordnen wir unsere Zeit. Und wir tun das auf eine Weise, die regelrecht quer steht zum Verlauf der Zeit. Wir ordnen alles in Kreisform, also so, dass wir immer an den Anfang zurückkehren und neu anfangen. Allein schon mit jedem Tag tun wir das. Jeder Morgen ist ein Neuanfang, genauso jede Woche, jeder Monat, jedes Jahr.
II.
Ebenso halten wir es in den Dingen des Glaubens. Wir wissen, dass wir unumkehrbar von unserer Geburt an dem Sterben und darin Gott entgegengehen. Aber die Zeit dazwischen, die besteht aus Jahreskreisen, in denen wir den Glauben feiern. Den Anfang dieses Jahreskreises bildet der erste Advent, den wir heute begehen. Dass wir jedes Jahr einen solchen Neuanfang halten, ist zunächst eine Einladung: Wenn man etwas wiederholt, prägt man sich es ein. Nur Wichtiges wiederholen wir normalerweise, um es nicht nur nicht zu vergessen, sondern zu vertiefen. Und wenn ich etwas wiederholen darf, erhalte ich die Chance, etwas nachzuholen oder zu verbessern, was ich bisher ausgelassen oder nicht gut genug getan habe. Kreisförmige Zeit tut uns gut.
III.
Trotzdem überblendet der Jahreskreis unserer Glaubenszeit nicht jenen unumkehrbaren Flug des Zeitpfeils nach vorne. Die Art, wie wir den Advent selbst begehen, macht das sichtbar. Zunächst schon äußerlich dadurch, dass wir jeden Sonntag im Advent am Adventskranz – einem Kreis wohlgemerkt! – eine Kerze mehr anzünden, sodass es immer heller wird. Das ist eine sinnbildliche Richtungsweisung, worauf alles hinausläuft, wenn wir treu den Glauben immer neu, immer wieder von vorne einüben, um ihn stark zu machen. Indem wir die Jahreskreise durchleben, werden wir aus dem Dunkeln ins Helle getragen.
Dem entspricht genau, dass uns in der allerersten Lesung des neuen Jahreskreises eine Zielangabe begegnet. Obwohl vor zweieinhalb Jahrtausenden formuliert, ist sie hochaktuell. Formuliert hat sie der Prophet Jesaja. Der Hl. Augustinus hat einmal diesen Jesaja den Evangelisten, also den Frohbotschafter unter den alttestamentlichen Propheten genannt. Trotzdem war Jesaja kein Süßholzraspler. Alles andere als das! Das biblische Buch, das seinen Namen trägt, enthält in der Mehrzahl gnadenlose Abrechnungen mit der Verlogenheit der Menschen Gott gegenüber und glühende Proteste gegen das, was Menschen einander an Unmenschlichem antun können.
Ohne jede Einleitung fängt das Buch Jesaja mit einer Anklage der Untreue Israels Gott gegenüber an, sagt es Jerusalem, der Heiligen Stadt, den Untergang voraus, weil ihre Bewohner mit Gott Schindluder treiben. In diesem Zusammenhang steht übrigens auch jener Satz, durch den Jesaja bis heute versteckt zwei Figuren unserer Weihnachtskrippen geschaffen hat: Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht. Ochs und Esel in der Krippe haben also überhaupt nichts mit Idylle und Romantik zu tun. Sie erinnern an die Plage, die Not, die Gott mit den Menschen hatte – und hat. Und dass er darum buchstäblich das Letzte, nämlich sich selbst dran geben muss, wenn er von seinen Geschöpfen erkannt werden will.
Aber mitten in diesen klagenden und anklagenden Worten Jesajas stehen auch die Zeilen der Lesung von vorhin: Alle Völker, alle, werden sich aufmachen zum Gottesberg, also dorthin, wo Gott dem Menschen am nächsten ist. Sie werden seine Nähe suchen, werden sich von ihm über den Gang seines rechten Lebens etwas sagen lassen und darum für seine Gebote ein offenes Ohr haben. Und das wird von selbst Folgen haben dafür, wie Menschen und Völker miteinander umgehen. Sie werden, sagt Jesaja, aus ihren Schwertern Pflugscharen und Winzermesser aus ihren Lanzen schmieden. Sie werden abrüsten und aus den Waffen, mit denen sie sich bekriegt haben, werden sie Geräte machen, um die Felder zu bestellen, damit Brot wachse, und Winzermesser für die Weinernte.
Darauf will die Geschichte hinaus, die Gott mit den Menschen seit Abraham angefangen hat. Dass Menschen und Nationen einander in ihrer Verschiedenheit respektieren, dass sie einander leben helfen und miteinander Frieden halten. Könnte es heute ein Ziel geben, das dringlicher wäre? Betrogen und belogen wird, dass sich die Balken biegen. Unliebsame Stimmen werden per Hinrichtung zum Schweigen gebracht. Und Krieg geführt wird derzeit an etwa 80 Orten der Welt. Zwingt uns diese Bilanz nicht dazu, einzugestehen, dass es sich bei Jesajas Vision nur um die Traumtänzerei eines gutgläubigen Naivlings handelt?
IV.
Dächten wir so – wir müssten die Bibel schließen und unsern Gottesdienst sofort beenden. Alles, was wir sagten, was wir täten, wäre nichts anderes als Selbstbetrug. Was also bleibt? Die Antwort sagt uns Jesaja im letzten Satz der heutigen Lesung: Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn.
Das Ziel steht aus und es mag noch unendlich fern erscheinen, buchstäblich so fern wie der jüngste Tag. Und doch appelliert der Prophet an sein Volk, jetzt schon zu tun, was später einmal alle tun werden. Kommt, gehen wir unsere Wege im Licht des Herrn, folgen wir jetzt seinen Geboten! Jemand muss anfangen. Und nicht unbedingt der Mächtigste oder Stärkste, der tut es in der Regel ja sowieso nicht. Israel war winzig und wehrlos im Vergleich zu sämtlichen umliegenden Völkern und Gemeinschaften. Aber jemand muss anfangen, muss Avantgarde, also Vorhut werden mit allem Risiko! Und wer sonst könnte es am ehesten als die, die mit dem Gott schon vertraut sind, in dessen Namen Jesaja seine große Vision zu formulieren wagt?
V.
Und genau das gilt heute noch immer. Wer sollte denn anfangen, wenn nicht die, die Gott trauen und damit zu denken wagen, dass das Bild der einen Menschengemeinschaft vor dem einen nahen Gott kein Trugbild ist? Die Gemeinschaft der Glaubenden mag heute – zumindest in unseren Breiten – so klein und ohnmächtig sein wie Israel damals zwischen seinen Nachbarn. Aber sie kann anfangen zu leben, wozu der Prophet aufruft. So wird sie zum Erinnerungszeichen an eine Zukunft, die mehr birgt als das, was wir jetzt als Gegenwart erleben. Ohne diesen Hoffnungsstachel dürften wir nicht der Stimme unseres Gewissens trauen, die uns zum Guten ruft und dürften wir nicht einmal für die Opfer der Geschichte hoffen, dass ihnen Gerechtigkeit werde. Gut und böse wären gleich-gültig im buchstäblichen Sinn. Wo aber Menschen aus ihrem Gottvertrauen sich dafür verbürgen, dass das nicht so ist, verändern sich Welt und Zeit, unumkehrbar. Wir haben ein Ziel, für das sich zu leben und treu zu sein lohnt, etwas, das wir herbeisehnen und herbeileben. Das ist Advent.