Wer gemeint ist

Christkönig: Mt 25, 31-46

I
Allmählich geht auch schon das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, dieses neuen Jahrtausends wieder zu Ende. Die wachsende Distanz zu dem, was vorher war, lässt Stück für Stück klarer sehen, was jenes 20. Jahrhundert prägte, das hinter uns liegt. Darüber wird noch viel gesagt und geschrieben werden. Und mancher Perspektivenwechsel wird uns da wohl noch bevor stehen.

II
Zwei Dinge kann man aber jetzt schon mit Gewissheit sagen: Noch nie, seit Menschen sich der Geschichte erinnern, gab es ein Jahrhundert, das so grausam war wie dieses 20. Zwei echte Weltkriege – etwas, das es so vorher nie gab. Kriege, deren Opfer nur noch in zweistelligen Millionensummen zu erfassen sind. Die Shoah – der Versuch, fabrikmäßiger Auslöschung eines kompletten Volkes. Das prägte die erste Hälfte dieses Jahrhunderts. Und die zweite ließ gegen ihr Ende Ahnungen aufkommen, dass möglicher Weise Dinge bevor stehen, gegen die sich jene beiden Weltkriege wie Fußnoten der Geschichte ausnehmen könnten: Epidemien, Aids z.B., die die Pestseuchen des Mittelalters unschwer in den Schatten stellen, neue Völkerwanderungen ungeahnten Ausmaßes, nicht aus Abenteuerlust, sondern aus schierer Not; und am Horizont erste Anzeichen von gnadenlosen Kämpfen um unverseuchtes Wasser und ein Stück Boden, das noch etwas hervor bringt, das man essen kann.

III
Als Papst Pius XI. im Jahr 1925 das Christkönigsfest einführte, das wir heute feiern, entsprang das nicht einer Laune. Er wollte damit zum Ausdruck bringen: Nicht einmal die Gräuel des Krieges und auch nicht die Not, die ihnen folgte, können ausradieren, was Jesus gebracht hat.

Mit ihm ist ja etwas gekommen, was, nachdem es gekommen ist, Menschen nicht mehr so einfach los lässt. Man kann Jesu Botschaft auf den Nenner bringen: Der Mensch, also die und der Einzelne, ist wichtig, und nicht nur wichtig. Er, sie ist einmalig und darum unendlich viel wert. Völlig unabhängig von dem, was eine oder einer tut und hat und kann. Selbst dort, wo sich einer schuldig macht an sich und anderen, verliert er oder sie diese Einmaligkeit nicht. Im Gegenteil muss dann erst recht und gerade alles zur Verfügung Stehende aufgeboten sein, damit dieser Mensch wieder seiner Würde inne wird und von daher dann auch die etwaigen Verstrickungen seiner Schuld zerreißen kann. Das steht hinter der Emphase, mit der uns das heutige Evangelium viermal hintereinander geradezu einschärft, worauf es im Letzten vor Gott ankommt.

Der Mensch, jede Frau, jeder Mann, ist allein kraft dessen, dass es sie oder ihn gibt, so viel wie das, was Menschen, wenn sie unter sich sind, einen König nennen: ein Wesen also, das man nicht antasten darf, das ganz unvergleichlich ist und dem darum Ehrfurcht gebührt. Weil es Gott so nahe steht und weil es Gott gehört, niemandem sonst. Recht bedacht sind also wir Menschen gemeint, wenn Christus „König“ genannt wird, weil er Bürge unserer Würde ist.

IV
Christkönig war die Antwort der Kirche auf die Menschenverachtung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Heute besteht dringlicher Anlass, diese Antwort nicht nur nicht zu vergessen, sondern unbeirrt und öffentlich und immer neu auszusprechen. Wie das geschehen muss und glaubwürdiger Weise überhaupt nur geschehen kann, hat Jesus selbst zweimal eindeutig zum Ausdruck gebracht: einmal durch die Art seines Einzugs in Jerusalem. Und das zweite Mal durch das, was er beim Verhör dem Pilatus antwortete.

Beim Einzug ritt er nicht hoch zu Ross, sondern auf einem Esel. Und nicht waffenklirrende Kohorten begleiteten ihn dabei, sondern Kinder, Fischer und einfache Leute. Im Grunde war das eine provozierende Karikatur der Weise, wie menschliche Könige aufzutreten pflegen. Und zugleich Sinnbild, dass es ihm, diesem Jesus um einen Anspruch, eine Macht geht, die quer steht zur Macht, wie Menschen sie übereinander ausüben. Eine Macht, deren Repräsentant so auftritt, dass man spürt: der will nichts für sich – eine solche Macht muss man nicht mehr fürchten. Denn sie stellt sich in den Dienst derer, für die sie ausgeübt wird.

Zum Prozess gegen Jesus ist es nur darum gekommen, weil es seinen Widersachern gelang, so zu tun, als habe Jesus versucht, eine Macht auszuüben in Konkurrenz zur politischen Macht, die die Römer beanspruchten. In Wirklichkeit wussten sie genau, dass sein Anspruch unvergleichlich radikaler war: Er hatte bestritten, dass Menschen über Menschen geistige Macht ausüben dürfen. Und er hatte diese Macht entmachtet, indem er am Sabbat Menschen gesund machte, beim Zöllner Zachäus einkehrte und der Ehebrecherin bedingungslos vergab. Darum wollten sie Jesus loswerden. Die Entmachtung der Macht von Menschen über Menschen, das ist die Wahrheit, um deren Bezeugung willen Jesus von sich sagt, in die Welt gekommen zu sein.

V
Das Evangelium ist also von Wesen Evangelium der Freiheit. Die Kirchen haben diese Mitte ihrer Sendung oft genug vergessen und verraten. Sie spielten und spielen immer noch viel zu oft die Machtspiele der Mächtigen mit. Christkönig ist darum so etwas wie ein Stachel in ihrem Fleisch, der ihnen verweigert zu vergessen, wofür es sie eigentlich gibt. Für die unbedingte Würde und die Freiheit des Menschen einzutreten ist der Dienst, den wir Christen und Christinnen der Welt schulden – mehr als je zuvor. Üben wir ihn aus, so wie Jesus es gewollt hat, dann geben wir damit zugleich Gott die Ehre, die wir ihm schulden.