Der springende Punkt
Pfingstmontag: Gal 6, 14-18 zugewählt
I
Jetzt sind die großen Festtage unseres Glaubens im Jahreskreis vorbei. Nächsten Sonntag das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit noch, gleichsam als Zusammenfassung dessen, was wir von Advent bis Pfingsten gefeiert haben. Danach schließlich – gleichsam als ein Widerhall des Gründonnerstags und damit der Eucharistie als dem Höhepunkt aller heiligen Feier – das Fronleichnamsfest. Und dann beginnt endgültig die „grüne Zeit“ in der Liturgie: die gewöhnlichen Sonntage. Aber auch die und die Tage zwischen ihnen sind wichtig. Sie geben uns Raum, das Wesentliche in der Seele einzuwurzeln, dass wir Stand gewinnen im Glauben. Denn das geschieht nicht von selbst. Daran erinnern uns immer wieder Menschen, denen ein besonderes Gespür für die Dinge Gottes geschenkt ist.
II
Zu ihnen gehört auch der Jesuit und Philosoph Teilhard de Chardin, einer der ganz großen, derzeit freilich auch vergessenen Denker und Seismographen der Gegenwart. Teilhard ist 1955 gestorben. Trotzdem nannte ich ihn gerade Denker der Gegenwart, weil viel von seinen Gedanken so seiner Zeit voraus war, dass das Wichtigste davon auch heute noch nicht eingeholt ist. Drei Jahre vor seinem Tod schrieb Teilhard in einem Brief einen Satz, dessen Wahrheit sich auch erst in den letzten Jahren zu bestätigen beginnt. Der Satz heißt:
Was immer man auch sagt, unser Jahrhundert ist religiös, vielleicht religiöser als alle anderen. Nur hat es noch nicht den Gott gefunden, den es anbeten könnte.
Mit diesem Wort stand Teilhard bereits damals völlig quer zu seiner Zeit. Es waren die Jahre, wo man begann, das Ende nicht nur des Christentums, sondern auch der Religion überhaupt vorherzusagen: Alles, was mit Gott und Glaube zu tun habe, entlarve sich über kurz oder lang als fauler Zauber und billiger Trost. Doch schon ein gutes Jahrzehnt später sah die ganze Lage völlig anders aus: Zuerst wurde Jesus zum Idol der Hippie-Generation, die sich Jesus-People nannten, neue Sekten schossen regelrecht wie Pilze aus dem Boden, kontinentübergreifende religiöse Bewegungen entstanden. Und heute ist Religion auch intellektuell weltweit ein Megathema. Das geschieht oft an den alten religiösen Mustern und Autoritäten, auch an der Kirche vorbei. Aber Religion lebt - in einer nicht mehr zu überschauenden Vielfältigkeit.
III
Teilhard hatte also recht. Er hatte aber auch recht mit dem zweiten Teil seines Satzes: dass unser Jahrhundert noch nicht den Gott gefunden habe, den es anbeten könnte. Heute wird nicht nur ein Gott verehrt, sondern viele. Früher im alten Rom hießen sie Jupiter, Mars, Merkur oder Venus. Die gleichen Götter gibt es heute immer noch. Nur heißen sie jetzt Macht, Gewalt, Geld oder Geschlecht. Und die Schar ihrer Verehrer ist groß. Doch ebenso groß ist die Zahl derer, die sich von diesen Göttern wieder abwenden, weil sie eines Tages entdecken, dass sie einem Trug aufgesessen waren. Dass sie das Ein und Alles ihres Lebens von Sachen erwartet hatten, die man haben und machen kann. Und dann fangen sie zu suchen an: Wo finde ich einen Gott, der nicht trügt und den ich anbeten kann, dem ich danken, zu dem ich schreien darf? Einer, in dessen Hand ich mich fallen lassen darf, wenn ich nicht mehr kann – in der Gewissheit, unverlierbar gehalten zu sein?
IV
Besonders häufig ist es der Apostel Paulus, der uns für diese Suche nach einem der Anbetung würdigen Gott Winke gibt, allerdings nicht selten etwas ungewöhnliche Winke. Einer der seltsamsten steht in den letzten Zeilen des Briefes an die Galater. Diese Gemeinde war für Paulus ein großes Sorgenkind. Er hatte ihnen einen Gott verkündet, der durch Jesus Christus gezeigt hat, dass es ihm voraussetzungslos um den Menschen geht. Der von sich alles daransetzt, dass der Mensch ihn wieder finde und sich wieder mit ihm verbinde, weil allein so ein Menschenleben wirklich gelingen kann. Die Galater hatten diese frohe Botschaft begeistert aufgenommen.
Aber nicht lange, da drängte sich ihnen – geschürt von konservativen Kreisen – die Frage in den Vordergrund: Kann das wirklich sein? Ein Gott, der nicht zuerst verlangt und dann gibt? Einer, der zuerst vergibt und eben dadurch mich zur Umkehr bewegen möchte, also nicht durch Drohung und Strafe? Ist es nicht doch besser, eine Art Vorleistung zu erbringen: Rituale und Bräuche einzuhalten? Es ist doch sicherer, wenn man selber auch etwas in der Hand hat, als Verhandlungsmasse sozusagen und ein bißchen als Anspruch gegenüber diesem Gott.
Paulus war außer sich, als er davon hörte. Denn würden die Galater dem tatsächlich nachgeben, würden sie tatsächlich wieder so denken, dann hätten sie den christlichen Glauben nicht nur ein bisschen mit anderem vermengt, sie hätten ihn mit Stumpf und Stil über Bord geworfen. Kein Wunder, dass es keinen Brief des Apostels gibt, der so harsch klingt wie der Galaterbrief. Darum ruft er den Galatern am Schluss noch einmal ins Gedächtnis, was allein und ausschließlich den wahren Gott und darum den wahren Christen ausmacht: Ich will mich allein des Kreuzes Christi, unseres Herrn rühmen. In Worten von heute wiederholt: Ich bilde mir nichts ein auf meine Frömmigkeit und schon gar nicht auf etwas anderes. Ich bilde mir einzig etwas darauf ein, dass Jesus Christus für seine Botschaft vom bedingungslos uns zugewandten Gott ans Kreuz ging. Und dass er eben dadurch selbst zum einzigartigen Gleichnis dieses Gottes wurde. Zum Inbild dessen, dem nichts zuviel ist für uns, der alles darangibt, sogar sich selbst, um uns wieder für sich zu gewinnen.
V
Um nochmals in der Sprache Teilhard de Chardins zu fragen: Wäre nicht gerade dieser Gott, der nichts für sich will, der richtige für dieses durch und durch vom Tauschen, Leisten und Handeln bestimmte Zeitalter, auf dass es einen Gott zum Anbeten hätte? Ich glaube schon, denn es wäre ein Gott, der dem Anspruch von Macht und Geld und Ansehen Einhalt gebieten kann, weil diese Dinge schier unvereinbar sind mit dem, wie er selber ist.
Praktisch gesagt: Zum Christsein gehört, dass ich lerne, auf das Kreuz stolz zu sein. Weil da das Wichtigste von Gott für mich sichtbar geworden ist. Das ist auch der Grund, ein Bild des Gekreuzigten an die Wand zu hängen, bei sich zu tragen oder, dass wir uns bekreuzigen. Wer es mit Ehrfurcht tut, übt den Stolz ein, zu dem ihr oder ihm das Evangelium das Recht gibt. Fast möchte ich sagen: Diesen Stolz auf das Kreuz einzuüben, das ist die Aufgabe, die uns der Pfingstmontag, dieser Übergangstag zwischen Fest und Werktag, als große Aufgabe bis zum nächsten Advent mitgibt. Und es ist gut, dass das durch einen Tag geschieht, der noch ganz in das Licht des pfingstlichen Geistes getaucht ist. Denn ohne ihn, den Geist, von dem wir bekennen, dass er die Herzen lenkt und den Schwachen Beistand schenkt, – ohne ihn wären wir kaum so mutig, im Kreuz ein Inbild unzerstörbaren Lebens zu sehen. Natürlich wird es immer auch Leute geben, die deswegen, weil sie das tun, die Christinnen und Christen für Spinner halten. Das war ganz am Anfang der Kirche so, das ist heute so. Manche Prediger des neuen Atheismus der jüngsten Zeit ergötzen sich noch immer daran, dass das französische Wort für Idiot, chretin, ursprünglich vom Namen Chretien, also Christ, kommt. Doch das tut nichts zur Sache. So viel Widerständigkeit des Christlichen zu dem, was man so denkt, muss sein. Weniger darf nicht sein.