Gerecht werden
2. Advent A: Jes 11,1-10 (+ Hl. Nikolaus)
I.
Zu keiner Zeit des Jahres begleiten so viele Heilige unser Beten und Feiern wie im Advent. Den Anfang macht im Grunde schon der Hl. Martin am 11. November. Am Tag danach begann früher die vierzigtägige Vorbereitungszeit auf den zweiten Tauftermin neben der Osternacht, den Dreikönigstag. Den Täufer Johannes, Maria und Elisabeth stellen uns die Evangelien dieser Wochen vor Augen. Anfang letzter Woche haben wir die Hl. Barbara gefeiert. Und vor drei Tagen traf das Fest des Hl. Nikolaus. Wenige Heilige sind so bekannt wie er. Wenige aber auch durch zum Selbstzweck, manchmal zur Karikatur gewordene Bräuche so verdunkelt wie er. Dabei steht er gerade dem biblischen Kern der adventlichen Tage besonders nahe.
II.
Von außen gesehen mag es Zufall sein, dass wir Nikolaus als adventlichen Heiligen feiern. Wer aber sein Leben näher anschaut, gleichsam ein wenig von innen her, kann unschwer entdecken, dass es verblüffende Zusammenhänge zwischen diesem Heiligen und den prophetischen Worten aus dem Jesaja-Buch gibt, die wir in der Lesung gehört haben.
III.
Bis heute lesen Christinnen und Christen mit den Juden dieses Gedicht des Jesaja, von dem der Hl. Augustinus einmal gesagt hat, er sei im Grunde mehr Evanglist als Prophet. Mit den Juden teilen wir Christen die große Hoffnung dieser Zeilen. Diese Hoffnung zu wagen, ist nicht selbstverständlich und war es damals zu Jesajas Zeiten schon nicht:
Der Prophet sieht das Ende des davidischen Königshauses kommen. David gilt in der Geschichte Israels als der König schlechthin, so sehr, dass manche es wagten, seinem Haus, also seiner Dynastie, ein nicht mehr endendes Regieren zu verheißen. Aber das war Trug. Schon zwei Generationen nach David ging es bergab. Davids Nachfahren ließen sich immer weniger von Gottes Weisungen leiten, dafür um so mehr von der eigenen politischen Raffinesse und Kungelei. In den Augen eines, der so intensiv in Gedanken an Gott lebte wie Jesaja, musste solches Gebaren in die Katastrophe führen. Und das sagte er auch drastisch: Das Königshaus wird wie der Stumpf eines abgehauenen Baumes sein. Morscher, vor sich dahinfaulender Überrest, der von dem, was früher war, nicht einmal mehr etwas erahnen lässt. Israels Existenz in Segen und Frieden wird abbrechen. Der alte Kampf um Tod oder Überleben wird von neuem beginnen. Menschliche Macht, selbst die, die ideal, ja wunderbar erschien wie diejenige eines David, vermag die Welt nicht zu ordnen und den Frieden nicht zu sichern. Den Sieg trägt das Verbrechen davon, das Böse.
An dieser Einsicht nicht verzweifeln kann nur noch, für wen es mehr gibt als das, was Menschen tun und können. Das Gegenwort gegen die Verzweiflung und gegen ihre Wurzel, das Böse - das Gegenwort heißt: Gott. Der Grausamkeit, dem Krieg, dem Elend dieses Wort entgegenhalten, nein: entgegenschreien - Gott! -, das ist nicht Ausflucht und nicht billiger Trost. Im Gegenteil: Es ist Ausdruck eines Glaubens von atemberaubender Kühnheit. Hören wir nur Jesaja zu: Es kommt der Tag, da wächst aus dem Baumstumpf Isais, also dem untergegangenen Königshaus Davids, ein neuer Trieb hervor. Aus Totem, sagen wir gleich: Aus dem Nichts bricht etwas Neues heraus. Eine Gegenmacht, die dem Irrsinn des Verbrechens nicht nur widersteht, sondern ihn besiegen wird. Niemand kann aus dem Nichts etwas machen, niemand - außer Gott. Wenn es eine Macht gibt, die stärker als das Böse ist, kann sie darum nur von Gott kommen und ihm entsprechen.
Jesaja stellt sich diese Gegenmacht als einen von Gott erweckten Nachkommen Davids vor, der so erfüllt ist vom Geist Gottes, dass er abstrichlos Gottes Willen tut, ja selber Inbild von Gottes Wesensart ist. Von dieser Verkörperung des Gegenwortes gegen alle Todes- und Zerstörungsmacht her vermag der Prophet sogar noch im Anblick des Untergangs die Vision einer anderen Welt in Bildern zu beschwören, die keine Erklärung mehr brauchen: Der Wolf wird beim Lamm liegen, Kuh und Bärin werden Freunde, das kleine Kind spielt in der Nähe der Schlange. Alles Gift und die Angst von Geschöpfen voreinander wird nicht mehr sein. Feindschaft, so tief verwurzelt, dass sie zur Natur der Verfeindeten zu gehören scheint, kommt an ein Ende. Versöhntes Leben auf einer versöhnten Erde. So hat Gott sein Werk gemeint:
Von dieser Utopie her versteht sich dann auch, was Gerechtigkeit meint. In jungen Ohren heißt das oft nur, dass einer genauso viel wie der andere bekommt. In der Sprache der Bibel bedeutet Gerechtigkeit etwas ungleich Größeres: Gerecht heißt, wer einem anderen gerecht wird, seiner Wesensart, seiner Lage, seinem Tun und Lassen Rechnung trägt. Der von Jesaja herbeigehoffte Gottesmann tut eben das, indem er nicht nach Augenschein und Hörensagen entscheidet, sondern dahinterschaut, auf die wahren Gefühle, warum einer so und nicht anders handelt. Besonders den Armen wird er gerecht werden, denen, die sich nicht zu helfen und zu wehren wissen. Darum auch wird und muss seine Gerechtigkeit parteilich sein: So lässt er Gewalt, das glatte Gegenteil von Gerechtsein, nicht durchgehen. Und zwar nicht mit Gegengewalt, sondern mit dem Stock seines Wortes und dem Hauch seines Mundes, sagt Jesaja, d.h. mit der Macht seines Geistes, die sich in dem erweist, was er sagt, wird er die Gewalt bezwingen. Und man kann sich unbedingt verlassen, dass er einem ganz gerecht wird. Darum: Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften, der Lendenschurz um seinen Leib - das, was er nie ablegt, ohne das er keinem begegnet.
Wo solches Gerechtwerden unter Menschen Platz greift, werden das Böse und die Gewalt in der Wurzel besiegt. Aber nicht in der moralischen Anstrengung wurzelt die Gerechtigkeit - sagt Jesaja -, sondern in der Erkenntnis des Herrn. Erkennen ist für die Bibel immer untrennbar mit tiefem Vertrautsein, mit Liebe verbunden. Wer sich mit Gott vertraut macht, d.h. vor allem: ihm vertraut, wer in dieser Vertrautheit ahnt, wie Gott ist und ihn zu lieben beginnt, weil er ist, wie er ist, der sucht von selbst, gerecht zu sein: Aus Liebe möchte er Gott gerecht werden. Und das besteht einzig darin, dass ich meinesgleichen gerecht werde. Eben deshalb haben die Gläubigen des Alten Bundes Gerechtigkeit immer ganz diesseitig-weltlich verstanden: als den rechten Umgang mit dem Besitz und besonders denen gegenüber, die zu wenig hatten und zu kurz kamen. An der irdischen Gerechtigkeit zeigt sich, ob ein Mensch seinem Gott gerecht wird - oder nur behauptet, ihm gerecht zu werden.
IV.
Christinnen und Christen sind überzeugt, dass der von Jesaja herbeigesehnte Begründer und Garant der Gerechtigkeit mit Jesus schon gekommen ist. Zu diesem Glauben geben ihnen die Evangelien guten Grund: Erzählen sie doch Seite um Seite, wie Jesus seine Predigt von Gott und seine Vertrautheit mit Gott beglaubigt hat dadurch, wie er zu Menschen war: Gerecht geworden ist er ihnen - einem jeden um so mehr, als er dessen bedurfte, und darum den Abgeschriebenen, den Verachteten, den Ausgegrenzten, den Sündern am allermeisten. Was Jesaja voll Hoffnung ankündigte, hat in Jesus von Nazaret seinen Anfang genommen. Und eben darum muss er auch in Bethlehem geboren sein, wie Matthäus und Lukas erzählen, in Bethlehem, der Heimat Isais, damit schon sein Anfang andeutete, was es um ihn einmal sein wird.
V.
Vollendet freilich ist das Reich der Gerechtigkeit noch nicht. Darum feiern wir immer noch Advent - die Hoffnung, dass, wofür Jesus steht, bald das Ganze von Welt und Leben erfasse. Aber angefangen hat es schon. Dafür gibt es Beweise. Einer von ihnen - und so schließt sich der Kreis -, einer von ihnen und einer der überzeugendsten ist Nikolaus. Man braucht nur den Geschichten aus seinem Leben ein wenig nachzugehen:
Eines Tages werden in seiner Heimat- und Bischofsstadt Myra drei Mitbrüder zur Hinrichtung geführt. Nikolaus tritt in vollem Ornat, das Evangelienbuch in der Hand, dem Henker entgegen, entreißt ihm das Schwert, stellt den für das beinahe vollstreckte Urteil verantwortlichen, bestochenen Präfekten Eustathios zur Rede, droht ihm mit Anzeige beim Kaiser und hebt das Urteil auf. So erkämpft Nikolaus Gerechtigkeit gegen ungerechte Gewalt.
Drei hohe kaiserliche Offiziere erleben diese Geschichte als Augenzeugen mit. Einige Zeit später werden sie unter dem Verdacht inhaftiert, einen politischen Umsturz anzetteln zu wollen. Neider ihrer Erfolge setzen das Gerücht in die Welt. Der Galgen wartet auf sie. In ihrer Not flehen sie im Gebet zu Nikolaus, wie wenn er ein Heiliger gewesen wäre, obwohl er doch noch lebte. Nikolaus erschien dem Kaiser im Traum und warnte ihn vor dem schlimmen Falschurteil, sagt die Legende. Jedenfalls erlangten die drei im letzten Augenblick auf Nikolaus´ Intervention hin ihre Freiheit wieder. So etwas aber setzt immer voraus, dass einer dahinter schaut und nicht nach Augenschein und Hörensagen urteilt, wie Jesaja es ausdrückte. Menschen gerecht oder nicht gerecht werden kann manchmal auf Leben und Tod gehen.
Und noch eine Geschichte ist der Erinnerung wert: Ein vornehmer Bürger der Stadt war völlig verarmt. Folge: Er vermochte seine drei Töchter nicht mit der für eine Heirat unabdingbaren Mitgift auszustatten. Um die Mädchen nicht zum Freiwild zu machen, bleibt ihm nur eines: sie ins Bordell zu schicken, damit sie wenigstens versorgt seien. Wehen Herzens versucht der Vater, mit diesem Plan ins Reine zu kommen. Nikolaus erfährt davon und wirft in drei Nächten aus seiner Privatschatulle Geld in das Haus des Mannes, der damit seine Töchter verheiraten kann. Gerechtigkeit ganz weltlich diesmal, aber nicht weniger notwendig als die anderen Male; bewahrt Nikolaus mit ihr doch nichts Geringeres als die Menschenwürde der drei jungen Frauen. Und an zumindest Vergleichbares hatte ein Jesaja mit seiner Prophezeiung sehr wohl gedacht.
VI.
Nikolaus, der Gerechte. Zurecht halten wir sein Gedächtnis hoch. Aus Verbundenheit mit Christus - also aus Gottesliebe - hat er sich sein Leben lang bemüht, Menschen gerecht zu werden, dem, wie sie sind, was sie leiden und leben. Nikolaus war – nach heutiger Geographie gesprochen – Türke. Seine Gerechtigkeit machte keinen Unterschied, ob es um Mitbürger wie die Verurteilten und die Mädchen oder ob es um Fremde ging wie bei den Offizieren. Noch lange haben wir von ihm nicht alles gelernt, heute schon gar nicht. Nikolaus hat aus seinem Leben ein Bilderbuch zum Evangelium gemacht - und darin zugleich die Verheißung des alten Jesaja erfüllt. Das wäre unsere Sache auch, solange wir uns nach Christus benennen.
Ich finde es gut, wenn an diesem Tag Christen ihren Kindern und auch Erwachsene einander ein kleines Zeichen der Verbundenheit schenken im Gedenken an den Hl. Nikolaus. Am besten etwas, was zu dem oder der passt, dem oder der es gilt. So nämlich sagen wir einander: Ich möchte dir gerecht werden. Ein großes Wort! Denn es meint. Ich lebe in der Erwartung des Herrn. Daran erinnert uns Nikolaus.
Zu keiner Zeit des Jahres begleiten so viele Heilige unser Beten und Feiern wie im Advent. Den Anfang macht im Grunde schon der Hl. Martin am 11. November. Am Tag danach begann früher die vierzigtägige Vorbereitungszeit auf den zweiten Tauftermin neben der Osternacht, den Dreikönigstag. Den Täufer Johannes, Maria und Elisabeth stellen uns die Evangelien dieser Wochen vor Augen. Anfang letzter Woche haben wir die Hl. Barbara gefeiert. Und vor drei Tagen traf das Fest des Hl. Nikolaus. Wenige Heilige sind so bekannt wie er. Wenige aber auch durch zum Selbstzweck, manchmal zur Karikatur gewordene Bräuche so verdunkelt wie er. Dabei steht er gerade dem biblischen Kern der adventlichen Tage besonders nahe.
II.
Von außen gesehen mag es Zufall sein, dass wir Nikolaus als adventlichen Heiligen feiern. Wer aber sein Leben näher anschaut, gleichsam ein wenig von innen her, kann unschwer entdecken, dass es verblüffende Zusammenhänge zwischen diesem Heiligen und den prophetischen Worten aus dem Jesaja-Buch gibt, die wir in der Lesung gehört haben.
III.
Bis heute lesen Christinnen und Christen mit den Juden dieses Gedicht des Jesaja, von dem der Hl. Augustinus einmal gesagt hat, er sei im Grunde mehr Evanglist als Prophet. Mit den Juden teilen wir Christen die große Hoffnung dieser Zeilen. Diese Hoffnung zu wagen, ist nicht selbstverständlich und war es damals zu Jesajas Zeiten schon nicht:
Der Prophet sieht das Ende des davidischen Königshauses kommen. David gilt in der Geschichte Israels als der König schlechthin, so sehr, dass manche es wagten, seinem Haus, also seiner Dynastie, ein nicht mehr endendes Regieren zu verheißen. Aber das war Trug. Schon zwei Generationen nach David ging es bergab. Davids Nachfahren ließen sich immer weniger von Gottes Weisungen leiten, dafür um so mehr von der eigenen politischen Raffinesse und Kungelei. In den Augen eines, der so intensiv in Gedanken an Gott lebte wie Jesaja, musste solches Gebaren in die Katastrophe führen. Und das sagte er auch drastisch: Das Königshaus wird wie der Stumpf eines abgehauenen Baumes sein. Morscher, vor sich dahinfaulender Überrest, der von dem, was früher war, nicht einmal mehr etwas erahnen lässt. Israels Existenz in Segen und Frieden wird abbrechen. Der alte Kampf um Tod oder Überleben wird von neuem beginnen. Menschliche Macht, selbst die, die ideal, ja wunderbar erschien wie diejenige eines David, vermag die Welt nicht zu ordnen und den Frieden nicht zu sichern. Den Sieg trägt das Verbrechen davon, das Böse.
An dieser Einsicht nicht verzweifeln kann nur noch, für wen es mehr gibt als das, was Menschen tun und können. Das Gegenwort gegen die Verzweiflung und gegen ihre Wurzel, das Böse - das Gegenwort heißt: Gott. Der Grausamkeit, dem Krieg, dem Elend dieses Wort entgegenhalten, nein: entgegenschreien - Gott! -, das ist nicht Ausflucht und nicht billiger Trost. Im Gegenteil: Es ist Ausdruck eines Glaubens von atemberaubender Kühnheit. Hören wir nur Jesaja zu: Es kommt der Tag, da wächst aus dem Baumstumpf Isais, also dem untergegangenen Königshaus Davids, ein neuer Trieb hervor. Aus Totem, sagen wir gleich: Aus dem Nichts bricht etwas Neues heraus. Eine Gegenmacht, die dem Irrsinn des Verbrechens nicht nur widersteht, sondern ihn besiegen wird. Niemand kann aus dem Nichts etwas machen, niemand - außer Gott. Wenn es eine Macht gibt, die stärker als das Böse ist, kann sie darum nur von Gott kommen und ihm entsprechen.
Jesaja stellt sich diese Gegenmacht als einen von Gott erweckten Nachkommen Davids vor, der so erfüllt ist vom Geist Gottes, dass er abstrichlos Gottes Willen tut, ja selber Inbild von Gottes Wesensart ist. Von dieser Verkörperung des Gegenwortes gegen alle Todes- und Zerstörungsmacht her vermag der Prophet sogar noch im Anblick des Untergangs die Vision einer anderen Welt in Bildern zu beschwören, die keine Erklärung mehr brauchen: Der Wolf wird beim Lamm liegen, Kuh und Bärin werden Freunde, das kleine Kind spielt in der Nähe der Schlange. Alles Gift und die Angst von Geschöpfen voreinander wird nicht mehr sein. Feindschaft, so tief verwurzelt, dass sie zur Natur der Verfeindeten zu gehören scheint, kommt an ein Ende. Versöhntes Leben auf einer versöhnten Erde. So hat Gott sein Werk gemeint:
Von dieser Utopie her versteht sich dann auch, was Gerechtigkeit meint. In jungen Ohren heißt das oft nur, dass einer genauso viel wie der andere bekommt. In der Sprache der Bibel bedeutet Gerechtigkeit etwas ungleich Größeres: Gerecht heißt, wer einem anderen gerecht wird, seiner Wesensart, seiner Lage, seinem Tun und Lassen Rechnung trägt. Der von Jesaja herbeigehoffte Gottesmann tut eben das, indem er nicht nach Augenschein und Hörensagen entscheidet, sondern dahinterschaut, auf die wahren Gefühle, warum einer so und nicht anders handelt. Besonders den Armen wird er gerecht werden, denen, die sich nicht zu helfen und zu wehren wissen. Darum auch wird und muss seine Gerechtigkeit parteilich sein: So lässt er Gewalt, das glatte Gegenteil von Gerechtsein, nicht durchgehen. Und zwar nicht mit Gegengewalt, sondern mit dem Stock seines Wortes und dem Hauch seines Mundes, sagt Jesaja, d.h. mit der Macht seines Geistes, die sich in dem erweist, was er sagt, wird er die Gewalt bezwingen. Und man kann sich unbedingt verlassen, dass er einem ganz gerecht wird. Darum: Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften, der Lendenschurz um seinen Leib - das, was er nie ablegt, ohne das er keinem begegnet.
Wo solches Gerechtwerden unter Menschen Platz greift, werden das Böse und die Gewalt in der Wurzel besiegt. Aber nicht in der moralischen Anstrengung wurzelt die Gerechtigkeit - sagt Jesaja -, sondern in der Erkenntnis des Herrn. Erkennen ist für die Bibel immer untrennbar mit tiefem Vertrautsein, mit Liebe verbunden. Wer sich mit Gott vertraut macht, d.h. vor allem: ihm vertraut, wer in dieser Vertrautheit ahnt, wie Gott ist und ihn zu lieben beginnt, weil er ist, wie er ist, der sucht von selbst, gerecht zu sein: Aus Liebe möchte er Gott gerecht werden. Und das besteht einzig darin, dass ich meinesgleichen gerecht werde. Eben deshalb haben die Gläubigen des Alten Bundes Gerechtigkeit immer ganz diesseitig-weltlich verstanden: als den rechten Umgang mit dem Besitz und besonders denen gegenüber, die zu wenig hatten und zu kurz kamen. An der irdischen Gerechtigkeit zeigt sich, ob ein Mensch seinem Gott gerecht wird - oder nur behauptet, ihm gerecht zu werden.
IV.
Christinnen und Christen sind überzeugt, dass der von Jesaja herbeigesehnte Begründer und Garant der Gerechtigkeit mit Jesus schon gekommen ist. Zu diesem Glauben geben ihnen die Evangelien guten Grund: Erzählen sie doch Seite um Seite, wie Jesus seine Predigt von Gott und seine Vertrautheit mit Gott beglaubigt hat dadurch, wie er zu Menschen war: Gerecht geworden ist er ihnen - einem jeden um so mehr, als er dessen bedurfte, und darum den Abgeschriebenen, den Verachteten, den Ausgegrenzten, den Sündern am allermeisten. Was Jesaja voll Hoffnung ankündigte, hat in Jesus von Nazaret seinen Anfang genommen. Und eben darum muss er auch in Bethlehem geboren sein, wie Matthäus und Lukas erzählen, in Bethlehem, der Heimat Isais, damit schon sein Anfang andeutete, was es um ihn einmal sein wird.
V.
Vollendet freilich ist das Reich der Gerechtigkeit noch nicht. Darum feiern wir immer noch Advent - die Hoffnung, dass, wofür Jesus steht, bald das Ganze von Welt und Leben erfasse. Aber angefangen hat es schon. Dafür gibt es Beweise. Einer von ihnen - und so schließt sich der Kreis -, einer von ihnen und einer der überzeugendsten ist Nikolaus. Man braucht nur den Geschichten aus seinem Leben ein wenig nachzugehen:
Eines Tages werden in seiner Heimat- und Bischofsstadt Myra drei Mitbrüder zur Hinrichtung geführt. Nikolaus tritt in vollem Ornat, das Evangelienbuch in der Hand, dem Henker entgegen, entreißt ihm das Schwert, stellt den für das beinahe vollstreckte Urteil verantwortlichen, bestochenen Präfekten Eustathios zur Rede, droht ihm mit Anzeige beim Kaiser und hebt das Urteil auf. So erkämpft Nikolaus Gerechtigkeit gegen ungerechte Gewalt.
Drei hohe kaiserliche Offiziere erleben diese Geschichte als Augenzeugen mit. Einige Zeit später werden sie unter dem Verdacht inhaftiert, einen politischen Umsturz anzetteln zu wollen. Neider ihrer Erfolge setzen das Gerücht in die Welt. Der Galgen wartet auf sie. In ihrer Not flehen sie im Gebet zu Nikolaus, wie wenn er ein Heiliger gewesen wäre, obwohl er doch noch lebte. Nikolaus erschien dem Kaiser im Traum und warnte ihn vor dem schlimmen Falschurteil, sagt die Legende. Jedenfalls erlangten die drei im letzten Augenblick auf Nikolaus´ Intervention hin ihre Freiheit wieder. So etwas aber setzt immer voraus, dass einer dahinter schaut und nicht nach Augenschein und Hörensagen urteilt, wie Jesaja es ausdrückte. Menschen gerecht oder nicht gerecht werden kann manchmal auf Leben und Tod gehen.
Und noch eine Geschichte ist der Erinnerung wert: Ein vornehmer Bürger der Stadt war völlig verarmt. Folge: Er vermochte seine drei Töchter nicht mit der für eine Heirat unabdingbaren Mitgift auszustatten. Um die Mädchen nicht zum Freiwild zu machen, bleibt ihm nur eines: sie ins Bordell zu schicken, damit sie wenigstens versorgt seien. Wehen Herzens versucht der Vater, mit diesem Plan ins Reine zu kommen. Nikolaus erfährt davon und wirft in drei Nächten aus seiner Privatschatulle Geld in das Haus des Mannes, der damit seine Töchter verheiraten kann. Gerechtigkeit ganz weltlich diesmal, aber nicht weniger notwendig als die anderen Male; bewahrt Nikolaus mit ihr doch nichts Geringeres als die Menschenwürde der drei jungen Frauen. Und an zumindest Vergleichbares hatte ein Jesaja mit seiner Prophezeiung sehr wohl gedacht.
VI.
Nikolaus, der Gerechte. Zurecht halten wir sein Gedächtnis hoch. Aus Verbundenheit mit Christus - also aus Gottesliebe - hat er sich sein Leben lang bemüht, Menschen gerecht zu werden, dem, wie sie sind, was sie leiden und leben. Nikolaus war – nach heutiger Geographie gesprochen – Türke. Seine Gerechtigkeit machte keinen Unterschied, ob es um Mitbürger wie die Verurteilten und die Mädchen oder ob es um Fremde ging wie bei den Offizieren. Noch lange haben wir von ihm nicht alles gelernt, heute schon gar nicht. Nikolaus hat aus seinem Leben ein Bilderbuch zum Evangelium gemacht - und darin zugleich die Verheißung des alten Jesaja erfüllt. Das wäre unsere Sache auch, solange wir uns nach Christus benennen.
Ich finde es gut, wenn an diesem Tag Christen ihren Kindern und auch Erwachsene einander ein kleines Zeichen der Verbundenheit schenken im Gedenken an den Hl. Nikolaus. Am besten etwas, was zu dem oder der passt, dem oder der es gilt. So nämlich sagen wir einander: Ich möchte dir gerecht werden. Ein großes Wort! Denn es meint. Ich lebe in der Erwartung des Herrn. Daran erinnert uns Nikolaus.