Garantie-Schein

21. Sonnatg A: Mt 16, 13-20

I
Es ist seltsam. Seit einiger Zeit kann man so etwas Ähnliches wie eine öffentliche Schizophrenie beobachten: Religion gehört zu den Megathemen der öffentlichen Debatten. Das Interesse am Heiligen, an Überlieferungen und Ritualen ist riesig. An den großen Kirchen aber geht es vorbei. Und noch kurioser: Seit dem öffentlichen Sterben Papst Johannes Pauls II. und dann der Wahl Benedikts XVI. gibt es weit über die katholische Kirche hinaus ein unglaubliches Interesse an diesem einzigartigen geistlichen Amt und seinem Inhaber. Aber zugleich gelten die Päpste nicht wenigen als personifizierter Starrsinn und ein Festklammern an Überholtem, das nur noch Spott verdient. Verantwortliche der evangelischen Kirchen stehen derzeit vor einem Rätsel: Nicht selten begründen Leute ihren Austritt aus der evangelischen Kirche mit dem Papst – obwohl sie von ihm doch gar nicht betroffen sind. Dieses Amt und sein Inhaber ziehen wie ein Magnet nicht nur Faszination, sondern genauso Ablehnung und Antipathien auf sich.

II
Warum das so ist, lässt sich – denke ich – gar nicht so einfach auf den Nenner bringen. Mit Sicherheit spielt ein Rolle, was auch überzeugte Christen oft nur schwer erträglich finden: das ganze vatikanische Hofschranzentum, das es in Teilen immer noch und wieder gibt, die Anmaßung von Verwaltungsorganen etwa bei der Bestellung von Lehrern der Theologie, das Rechthabenmüssen in Beiläufigkeiten noch, autoritäres Gehabe, das sich mit frommen Floskeln maskiert. Und vor allem der Starrsinn im Festhalten von Prinzipienfragen, der nach außen nur noch zynisch wirken kann, wie etwa das prinzipielle Verbot von Kondomen, das keinerlei Rücksicht auf das Massenelend der Aidskranken vor allem in Afrika nimmt, und mehr dergleichen. Gerade bei der Ausübung des obersten Leitungsdienstes täte Reform bitter Not – was übrigens mehrere Enzykliken des 20. Jahrhunderts selber ansprechen. Und trotzdem reicht das alles nicht, um jene tiefe Ablehnung zu erklären, die Papst und Papstamt manchmal erfahren.

Vielleicht muss man darum die Wurzel dafür ganz anderswo suchen: Würde der Papst den Leuten nur auf die Nerven gehen, könnten sie ihn ja einfach lächerlich finden und künftighin unbeachtet lassen. Warum tun das die meisten, selbst der Kritiker nicht? Weil sie im Tiefsten spüren, dass so etwas, wie das Papstamt es verkörpert, nötig ist, dass Menschen in dem unüberschaubaren Gewirr von Meinungen, Versprechungen, Hoffnungen und Drohungen irgendwie den Boden unter den Füßen nicht verlieren. Und gleichzeitig regt sie das Amt, wie es sich faktisch darstellt, furchtbar auf, weil es dieses tiefe Bedürfen gegen seinen eigenen Anspruch doch nicht erfüllt.

III
Wenn das so wäre, wenn im Tiefsten tatsächlich selbst noch seitens der Kritiker dem Papstamt solche Bedeutung zugemessen würde, wäre das nicht eine Illusion, eine gnadenlose Überforderung des Amtes selbst und erst recht eines jeden seiner Inhaber? Das Evangelium von heute antwortet darauf mit einem klaren: Nein. Jesus selbst hat mit der Berufung des Petrus zum Fels denen, die ihm glauben, sozusagen einen Garantie-Schien ausgestellt. Matthäus stellt dieses Ereignis so dar: Auf die Frage Jesu an seine Jünger, für wen ihn denn die Leute und dann für wen eigentlich sie ihn hielten, legt Petrus als Sprecher der Jünger ein Glaubensbekenntnis zu Jesus ab: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes. In dir, heißt das, hat Gott uns geschenkt, was wir zuinnerst suchen: Seine unbedingte Nähe, die uns segnet und tröstet und alles Angeschlagene wieder gutmacht.

Auf dieses Jesus-Bekenntnis des Petrus antwortet Jesus mit einem Petrus-Bekenntnis: Weil du, Petrus, das aus gottgeschenktem Glauben sagen kannst, darum sollst du sichtbarer Bürge dafür sein, dass wahr ist und für immer wahr bleibt, was du gerade gläubig bekannt hast. Und als solcher Bürge bist du so etwas wie das unverrückbare Fundament für die Kirche, die Gemeinschaft der Glaubenden. Wenn sie sich fragt, ob wahr ist, was sie glaubt, darf sie auf dich schauen und beruhigt sein. So bist du nicht nur Fundament, sondern so etwas wie der Stein, der nach einer sinnbildlichen Vorstellung der Juden die Unterwelt, d.h. das Chaos verschließt und unschädlich macht, die Untiefe unter dem Leben, die so sehr Angst machen kann und dann aus Angst Menschen das Böse tun lässt.

Handeln Menschen nicht mehr aus Angst, sondern trauen sie Jesus, fangen sie an im Gottesreich zu leben. Darum sagt Jesus dazu, dass er dem Petrus die Schlüssel des Himmelreichs geben werde. Als Garant dafür, dass der Glaube wahr ist, ist Petrus sozusagen in Person der Schlüsselbund. Und das Binden und Lösen, in dem sich diese Funktion ausdrückt, besteht nicht darin, dass er herrscht wie ein Monarch: An einer anderen Stelle im Evangelium wirft Jesus den Schriftgelehrten einmal vor, dass sie die Schlüssel des Himmelreichs besäßen, den Menschen aber den Zugang versperrten. Dem Petrus gibt Jesus folglich die Schlüssel, dass er das Gegenteil tue. Das ist seine Voll-Macht. Sie kommt von Gott und wird darum nur mit den Mitteln Gottes, allen zuvor also mit der Barmherzigkeit ausgeübt werden können, nie und nimmer mit menschlichen Mitteln.

IV
Jeder, der unser Evangelium ernst nimmt, kann eigentlich gar nicht anders, als froh zu sein, dass es den Petrus und sein besonderes, einmaliges Amt gibt. Nach Petrus trugen und tragen die Päpste dieses Amt weiter, Bürge und Garant für die Wahrheit des Evangeliums zu sein. Warum fällt es auch Gläubigen oft so schwer, darüber genauso froh zu sein wie über den Petrus? Vielleicht deswegen, weil die allermeisten der Amtsinhaber meist nur den Petrus der Schlüsselübergabe, den Bevollmächtigten verkörpern. Das Neue Testament dagegen zeichnet ein ungleich reicheres Bild: Es hat nie verschwiegen, dass dieser Kirchenfels und Wahrheitsbürge zugleich schwacher, fehlerhafter, irriger Mensch war und blieb. Nur wenige Zeilen nach unserer Geschichte erzählt Matthäus, wie Petrus Jesus von seinem zum Kreuz führenden Weg abzubringen suchte und sich dafür einhandelte, von Jesus „Satan“ genannt zu werden. Am Karfreitag verleugnete er seinen Herrn, vom Kreuz lief er davon. Trotzdem hat Jesus seine Berufung nie rückgängig gemacht. Trotz der Schwachheit macht Jesus einen Menschen zum besonderen Zeichen für Gottes Treue zu uns. Käme dieses Menschliche bei der Ausübung des Papstamtes unverstellt, unplakativ, einfach so zur Geltung, wie es in Wahrheit ist – ich bin mir gewiss: Seine Vollmacht wäre glaubwürdiger und nicht wenige wären dankbar für sie.

In dem berühmten Papst-Roman „In den Schuhen des Fischers“ heißt es an einer Stelle: „Die Schlüssel zum Himmelreich hängen an seinem Gürtel, und doch kann es sein, dass er sich für immer ausgeschlossen sieht vom Frieden der Erwählten und der Gemeinschaft der Heiligen. Wenn er behauptet, unberührt von Selbstverherrlichung und Ehrgeiz zu sein, spricht er die Unwahrheit. Wenn er nicht manchmal von Furcht erfasst wird und oft im Dunkeln betet, dann ist er ein Tor.“ Einem Petrus-Nachfolger, der dieses Menschliche ahnbar macht, kann man zutiefst verbunden sein.