Der Überschuss
Montag der Karwoche, St. Stephan (Augsburg): Joh 12,1-11
I.
Die
Liturgiereform des letzten Konzils hat uns den Tisch des Wortes in der
Liturgie reich gedeckt. Nicht immer ist die Wahl gelungen, das ist
bekannt. Das heutige Evangelium an seinem Ort in der Eucharistie des
Montags der Karwoche ist dagegen so etwas wie ein Glücksfall. Eine
scheinbar kleine Episode im Nachgang gleichsam zur spektakulären
Lazarusgeschichte, die wir am fünften Fastensonntag gelesen haben - in
Wahrheit ist die kleine Geschichte von Maria mit dem Nardenöl ein
kostbare Miniatur, die uns mit einer einzigen Geste in die Mitte des
Ostergeschehens hineingeleitet.
II.
Jesus kommt in das Haus der Geschwister von Betanien.
Wie zuvor schon einmal bei Lukas erzählt, auch hier wieder die
sprichwörtlich gewordene Rollenteilung: die fleißige Hausfrau Martha,
die sich um den Gast kümmert. Und ihre Schwester Maria, die diesmal
aber nicht nur Jesus zuhört, sondern etwas tut: Sie kommt mit einem
G-fäß voll Salböl, offenkundig, um Jesus aus Dankbarkeit den gestischen
Ehrendienst einer Salbung der Füße zu erweisen, durchaus nichts
Ungewöhnliches übrigens, wenn auch keineswegs alltäglich. Sie muss zu
solcher Dankbarkeit einen bewegenden Grund wohl aus vorausgegangenen
Begegnungen mit Jesus gehabt haben. Wir erfahren darüber nichts, können
bloß ahnen, dass es zutiefst mit ihrem Leben, ihrem Geschick zu tun
gehabt haben muss. Und dann tut sie noch etwas, das allerdings jetzt
jeden Rahmen sprengt: Sie löst ihre Haare und trocknet die Füße Jesu
damit ab. Wie peinlich – gilt doch das Haarelösen einer Frau vor
Männern als Schamlosigkeit par excellence. Der Überschwang ihres
liebenden Dankes hat jegliche Form zu Bruch gehen lassen.
Und das noch Peinlichere: Jesus lässt sich diesen Liebes- und Eh-rendienst gefallen. Er verteidigt ihn gar gegen Kritik, die buchstäblich auf der Hand liegt: Ob man das teure Salböl nicht hätte verkaufen können, um den Erlös der Armen zu geben. Diese Kritik legt Johannes dem Judas in den Mund. Und eben diese Konstellation Judas – Maria macht die symbolische Sinnmitte der Geschichte aus. Um es auf den Nenner eines einzigen Satzes zu bringen: Kalkül steht gegen Überschwang. Und letzterer allein kann etwas von Jesus begreifen: seine Gleichnisse von Reich der Himmel, das wie ein beglückender Fund ist, für den es sich lohnt, alles dranzugeben, oder die Geschichte vom zuvorkommenden Vater, der alle Etikette fahren lässt, um seiner Güte willen. Und was schließlich ist Jesu Leben selbst anderes als Ausdruck solchen Überschwangs, der nicht berechnet und darum das Predigen und Handeln auch dann nicht aufgibt, als ein Misserfolg dem anderen folgt?! Ja mehr noch: Ist nicht Jesus so gewesen, wie er war, weil er sich als lebendiges Gleichnis dafür verstand, wie Gott ist, der Gott mit dem Dornbuschnamen, dessen „Ich bin der ich bin da für euch“ in seiner Voraussetzungslosigkeit das gänzliche Gegenteil von Geben und Nehmen, von do ut des, also ein einziger Überschwang ist? Und ist es zu weit hergeholt, eben darin das tiefste Motiv für Judas’ Verrat zu vermuten, dass er die offenkundige Zwecklosigkeit, auf die alles Tun Jesu zulief, nicht mehr ertragen konnte?
III.Maria mit ihrer Geste aber vergegenwärtigt, dass das Zwecklose nicht gleichbedeutend ist mit dem Sinnlosen. Nur wenn zwischen Beidem ein Unterschied besteht, kann auch die Passion Jesu etwas anderes sein als ein Betriebsunfall der Geschichte oder höchstens eine der Tragödien mehr. Der Überschwang ihres liebevollen Tuns lässt uns auf menschliche Weise etwas ahnen vom Geheimnis eines Gottes, der größer ist als alles, was Menschen sich von Gott ausdenken können, und sich darum klein macht auf eine Weise, über die hinaus Kleineres von einem Gott nicht gedacht werden kann. Nur wer es wagt, mit sich selbst verschwenderisch zu sein, wird auch verstehen lernen, wie der unbegreifliche Gott sich mitteilt in dem Weltabenteuer, das in Betlehem beginnt und sich auf Golgota vollendet.