Wider die Mutlosigkeit
15. Sonntag: Mt 13, 1-9
I.
Jedes
Geschäft, jeder Industriebetrieb hat seine Kunden. Wer sind die Kunden
der Fernsehanstalten? Die Zuschauer meinen: Sie, die Zuschauer. –
Völlig falsch. Die Zuschauer sind stattdessen das Produkt. Für ihre
gebannten Blicke zahlt die werbende Wirtschaft. Sie ist der Kunde. Der
Geschäftsführer von RTL-plus, dem deutschen Sex- and
Crime-Radau-Sender, fragte neulich bei einem Interview höhnisch, ob er
denn Fernsehen für seinesgleichen machen solle. Er selbst und seine
Familie hätten keinen Fernseher. Und: Der Wurm muss dem Fisch
schmecken, nicht dem Angler. Das sagte er auch.
Fußballübertragungen, so der Fernsehmann weiter, seien ein echtes Problem. Weil die Zuschauer wüssten, wann die Spielpausen, also die Werbeblöcke kämen, und dann gezielt umschalten könnten, ohne etwas vom Spiel zu verpassen. Der europäische Fußballbund denke schon über neue Regeln nach, damit Werbepausen mitten im Spiel möglich würden. – Ein klassischer Fall von „Nachfrage bestimmt das Angebot“.
II.
Auch die Christen und ihre Kirchen haben ein Programm.
Gilt da auch das Gesetz von Nachfrage und Angebot? Geht es um das
Evangelium und seine Hörer, um die Botschaft und was sie zu sagen hat?
Oder geht es sozusagen um die Einschaltquote, um den Erfolg bei der
Kundschaft? Solche Fragen sind nicht an den Haaren herbeigezogen.
Evangelische Kirchen in Norddeutschland und auch einige katholische
Bistümer hatten schon Profis von Werbeagenturen engagiert. Sogar
Verantwortliche in der Priesterausbildung haben’s versucht. Mit jungen
Männern auf Plakatwänden, sehr nett, sehr smart, sehr propper und so.
Von denen stellte sich dann dummerweise heraus, dass es Models waren.
Das hätte absolut nicht passieren dürfen – abgesehen davon, dass
real-existierende Seminaristen ohnehin nicht so aussehen wie die auf
dem Plakat, sondern so wie – Sie und ich. Aber so ist Marketing eben.
Die Absicht mag ja gut sein. Aber wenn man sie merkt, ist man
verstimmt. Das wusste schon Goethes Tasso. Und vor allem: Passt sie
ihrerseits überhaupt zum Evangelium?
III.
Was wir vorhin gehört haben, lässt mich da heftige
Zweifel haben. Natürlich lag Jesus daran, gehört, verstanden zu werden
und Zustimmung zu dem zu erhalten, was er zu sagen hatte. Wie auch
anders! Er weiß sich gesandt, die Botschaft vom Gottesreich zu
predigen, Menschen dafür zu gewinnen, so von Gott zu denken und sich
ihm anzuvertrauen, wie er selber das tat und in seinem Handeln
verkörperte. Zugleich aber hat sich Jesus dabei nichts vorgemacht. Das
Gleichnis vom Sämann bringt schonungslos auf den Punkt, wie seine
Botschaft ankam: Ein Teil der Körner von vieren fällt auf den Weg und
wird von den Vögeln des Himmels gefressen. Ein zweiter von vieren fällt
auf felsigen Grund, kann nicht anwurzeln und verdorrt, sobald es heiß
wird. Ein dritter Teil von den vieren fällt unter die Disteln und
erstickt unterm Gestrüpp. Der vierte von den vier Teilen schließlich
fällt auf guten Boden. Man braucht dieses Gleichnis erst gar nicht zu
erklären. Es spricht für sich – und sagt: Dreiviertel sind daneben und
vergebens. Als ich noch Vorlesungen in Homiletik, also Predigtlehre
hielt, habe ich die Studenten anhand des Gleichnisses immer über den –
übrigens durch Messung bestätigten – Rezeptionsgrad von Predigten
aufgeklärt: Wenn Sie eine Predigt von – sagen wir – acht Seiten
vorbereiten, dann gehen Sie davon aus, dass sechs davon für die Katz’
waren. Zwei kommen, wenn’s gut geht, über. Also: 75 % verlorene
Liebesmüh’ beim Evangelium. Ein Viertel gelingt. Ein jämmerlicher
Anteil. Jeder Bauer, jedes Geschäft, das so wirtschaftet, muss über
kurz oder lang Konkurs anmelden.
Jesus aber sagt von seinem vierten Teil des Evangeliums, das auf guten Boden fiel: ... es brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. Das Wenige, das ankam, das lohnt sich im Übermaß. Auch dem gilt das abschließende „Wer Ohren hat, der höre!“ Natürlich muss aufhorchen lassen, dass so viel daneben geht und vergeblich ist, drei Viertel. Aber mindestens der gleichen Aufmerksamkeit ist wert, dass jenes vierte Viertel Frucht im Übermaß erbringt. Auf den Punkt gebracht heißt das ja: Jesus ist trotz der bitteren Enttäuschung, die er erleben musste, voller Zuversicht. Am Ende, wenn vor Gott herauskommt, wer ihm geglaubt hat, wird das, was die, die geglaubt haben, zusammenbringen nicht nur nicht ein wenig, es wird überwältigend viel sein, obwohl man in der Zeit davor, in der Zeit der Welt und der Geschichte eher enttäuschend wenig davon hat wahrnehmen können.
IV.
Von Anfang an haben sich die Glaubenden in den jungen
Gemeinden beim Hören dieses Evangeliums gefragt, wer denn unter welchen
der vier Teile falle, die Jesus da nennt. Die Frage war – scheint’s –
für die frühen Christinnen und Christen bedrängend, vor allem wohl
deshalb, weil sie erfahren mussten, welch heftigen Widerstand es gegen
das Evangelium gab. Deshalb entstand im Licht der alttestamentlichen
Prophetenrede von der Verstocktheit der Herzen eine mögliche Antwort,
die als so übereinstimmend mit Jesu Erfahrung und Geschick selber
empfunden wurde, dass sie als erste Auslegung des Gleichnisses durch
Jesus selber aus seinem Mund festgehalten wurde: Bei den einen kommt
der Böse und nimmt das Wort, kaum haben es die Hörerinnen und Hörer
vernommen, wieder weg. Nichts kann eindringen und ankommen. Alle
Liebesmüh vergebens. Die Predigt geht wie gegen eine Wand. Zweite
nehmen das Wort schnell und freudig auf. Aber es findet keinen Halt,
kann keine Wurzel schlagen. Die Oberflächlichkeit seiner Annahme macht
es anfällig, über kurz oder lang von anderem verdrängt zu werden – dann
zumal, wenn Gegenwind aufkommt, Konflikte wegen der eigenen Überzeugung
auszuhalten, eventuell Nachteile in Kauf zu nehmen sind. Bei Dritten
kommt das Wort zwar an, kann auch ein Stück weit Stand gewinnen. Aber
dann kommen die unendlich vielen Dinge des Alltags daher, die Sorgen
oder auch die kleinen Lüstchen des Tages und der Nacht, wie Nietzsche
einmal frozzelte, und alles wird überblendet und schließlich
abgewürgt. Doch beim letzten Viertel, da folgt dem Hören ein Verstehen
– und die Ernte ist überreich.
Die Frage, wer zu welchem Viertel gehört, haben sich Glaubende auch nach der Frühzeit, im Grunde die ganze Kirchengeschichte hindurch, gestellt. Manchmal geschah es auch, dass das Gleichnis als Instrument der scharfen Scheidung zwischen drinnen und draußen, zwischen rechtgläubig und lax in Anspruch genommen wurde. Und heute dient es in unseren Breiten bisweilen, mit der Erfahrung fertig zu werden, dass das Christentum nach Jahrhunderten kultureller Präsenz und Dominanz für einen halben Kontinent eine Minderheitenangelegenheit zu werden scheint. Wer aber gehört dabei zu denen, bei denen die Saat des Evangeliums vergeblich ausgestreut wurde, oder zu denen, wo sie Frucht trägt. So kann man natürlich fragen. Aber wie soll man antworten, ohne andere, in die man nicht hineinsehen kann, ungerecht zu beurteilen oder selbstgerecht zu sein?
V.
Vielleicht geht es in erster Linie auch gar nicht um
diese Frage, wer zu welchem Teil gehört. Jedenfalls endet der Kern des
Gleichnisses mit einer Wendung, die eigentlich in eine ganz andere
Richtung weist. Es ist ein Appell an die unmittelbare Hörerschaft, der
in seiner Dringlichkeit wie ein Gewissensruf klingt. Und der meint dann
viel eher: In jeder, in jedem von uns steckt etwas von allen vier
Vierteln der Aussaat, über die Jesus spricht. Da gibt es Teile in
unserer Seele, da ist alles wie festgetreten, wie ein Trampelpfad. Die
Saatkörner des Evangeliums, Jesu Worte, bleiben darauf einfach liegen,
werden von hochfliegenden Ideen, von Gedanken und Idealen erfasst und
davongetragen wie von Vögeln. Andere Teile in uns schauen gut aus, sind
aber trügerisch. Unter der dünnen Schicht scheinbar fruchtbaren Bodens
ist alles steinhart. Was an Saat aufgeht, findet keinen Halt, geht
sofort ein, wenn es der sengenden Sonne des Tages ausgesetzt wird. Auf
einem dritten Teil wächst mit und neben dem Korn auch noch anderes. Das
ist an sich ganz normal. Doch eines Tages fängt das andere zu wuchern
an – und im Handumdrehen sind die Getreidehalme umschlungen und
verwuchert. Ein Kleines noch, und sie sind erstickt. Das Festgetretene,
der felsige Grund, das Stück mit den Disteln – sie können zahllose
Gesichter haben, für jede und jeden ein anderes: Arroganz und Hochmut
vielleicht, die Weigerung, sich wirklich für etwas in Pflicht nehmen zu
lassen und zu etwas zu stehen; Lüge und Geiz z. B.; oder Grobsein,
Oberflächlichkeit und Ichsucht. Jede und jeder muss sich da selbst
anschauen.
Doch das Tröstliche: Jesus ist überzeugt – ein gutes Stück steckt auch in uns. Eines, das sein Wort aufnimmt und Frucht trägt dadurch, dass es verwirklicht, was er sagt. Soll es Güte, soll es Geduld, soll es Feingefühl, soll es Hilfsbereitschaft sein. Auch da muss jede und jeder bei sich schauen. Das ist wichtig. Viele von uns, zumal die Älteren, haben noch eine Form der Gewissenserforschung gelernt, die darauf angelegt war, das Verfehlte und Vertane aufzuspüren und der Vernebelung zu entreißen, in der gewiss niemand nicht Meister wäre – im sichs leicht machen und sich etwas Vormachen solange, bis die größte Gemeinheit noch ihre dialektische Rechtfertigung gefunden hat. Insofern ist diese kritische Gewissenserforschung unverzichtbar. Aber über ihr darf die andere, die stärkende nicht vergessen werden, die Gewissenserforschung, die das Gute und Gelungene aufsucht und dankbar sammelt. Meist braucht es gar nicht viel an so Geglücktem, dass ein Mensch den beschrittenen Weg weitergeht oder den Mut zu Größerem fasst.
Darum macht uns das Gleichnis Jesu Mut, auch – und nicht nur nebenher – nach diesem guten Viertel in uns zu suchen. Und es dann zu pflegen und zu hüten. Die Frucht, die es tragen kann, ist das wert.