Vom Kreuztragen hinter Jesus
22. Sonntag: Mt 16,21-27 (St. Anton, Regensburg)
I.
In der Nähe des Kolosseums in Rom steht ein kleines, wenig beachtetes Museum. Dort werden ein paar Fundstücke aus dem Gebiet des alten Forum Romanum gezeigt - unter ihnen auch eine Kreuzesdarstellung. Vermutlich ist es die älteste, die es überhaupt gibt; jemand hat sie mit einem Nagel in eine Steinplatte geritzt. Die Gestalt, die dort am Kreuz hängt, trägt kein Menschengesicht, sondern einen Eselskopf. Das erste Kreuzbild war also eine Karikatur. Sie spricht für sich. Ein Esel der Gott, der sich so behandeln lässt. Und vor allem: ein Esel der Mensch, der einen solchen Gott auch noch verehrt.
II.
Solche und ähnliche Karikaturen gab es seit der Frühzeit der Kirche immer wieder - auch in der Gegenwart. Schnell ist in solchen Fällen in kirchlichen Kreisen von Gotteslästerung die Rede. Aber im Grunde trifft dieser Vorwurf solche Karikaturen gar nicht. In ihnen spricht sich vielmehr etwas ganz anderes aus: eine abgründige Hilflosigkeit angesichts der christlichen Botschaft vom Kreuz. Da hängt einer - und soll Gott sein. Und dann soll von diesem Toten auch noch das Heil der ganzen Welt abhängen. Ist das nicht Unsinn? Und mehr noch: Die Christen ihrerseits werden auch aufgefordert, Kreuz zu tragen. Nietzsche, der scharfsinnige Philosoph und Menschenkenner, hat gewütet gegen diese christliche Aufforderung. Sie galt ihm als der Versuch der Schwächlinge im Leben, der ewig zu kurz Kommenden, ihr elendes Dasein voll Plagen und Pleiten vor sich selber ein bisschen zu verschleiern. Denn so können sich die Schwächeren als die Besseren fühlen, weil sie ja auch Kreuz tragen wie Jesus damals - und dann endlich einmal auch dafür den Lohn kassieren. Jene Karikaturen und Nietzsche - muss ein gesunder Menschenverstand ihnen nicht zustimmen, wenn sie das Kreuz als verrückt und menschenunwürdig empört zurückweisen?
III.
Wir dürfen es uns mit dieser Frage nicht zu leicht machen. Vielleicht möchten wir sie schnell verneinen - um sie loszuwerden. Weil wir Angst haben vor dem, was sie in uns selber an dunklem Empfinden aufreißt. Denn Misstrauen und Ablehnung begleiten das Wort "Kreuz" wie sein eigener Schatten seit der Stunde, da Jesu dieses Wort zum ersten Mal ausgesprochen hat. Dieses Misstrauen und diese Ablehnung wohnen auch im Herzen der Gläubigen. Genau davon spricht das heutige Evangelium. Jesus redet zu seinen Jüngern das erste Mal davon, dass er seiner Botschaft wegen von den religiösen Autoritäten des Volkes getötet werden wird. Und die erste Reaktion der Jünger war: Das geht nicht. Das darf nicht sein. Petrus, der seliggepriesene Fels, spricht als erster diesen Einwand aus. Jesus aber fährt ihn in einer nie gekannten Härte an: Weg mit dir, du Satan! Du denkst nicht die Gedanken Gottes, sondern deine eigenen. Diese heftige Reaktion Jesu verrät uns, dass Petrus mit seinem menschlich ja nur zu gut verständlichen Einwand an eine ganz empfindliche Stelle des Lebens Jesu gerührt hat - dass er die Mitte seines Daseins, alles wofür Jesus lebt, in Frage stellt. Was aber ist es um diese Mitte des Lebens Jesu? Dieser Jesus wusste sich gesandt, die Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden, d.h. zu predigen, dass es Gottes sehnlichster Wunsch sei, die Welt wieder so heil zu machen, wie er sie ursprünglich geschaffen hat; dass nichts mehr zwischen ihm und den Menschen stehe. Und geschehen wird das, so sagt Jesus, wenn sich alle wieder hin-kehren zu Gott, wenn sie Gott als Gott anerkennen und aufhören, sich als Herrn von eigenen Gnaden aufzuspielen. Um es kurz zu sagen: wenn sie den Lebensstil Jesu teilen, der ganz von Gott her lebt, deshalb für die andern da ist und gerade darin auch einswird mit sich selber. Das lebt Jesus, und das predigt er. Zuerst laufen ihm dieser Botschaft wegen die Scharen zu. Aber schon bald schlägt die Stimmung um in Ablehnung und Hass, weil die Hörer seiner Botschaft genau spüren, dass sie sich ändern müssen, wenn sie sich diesem Jesus anschließen. Aber das wollen sie nicht. Sie lassen ihre Gewohnheiten und Überlieferungen nicht in Frage stellen. Da beginnt der Konflikt zwischen Jesus und seinem Volk. Und dieser Konflikt spitzt sich zu, je mehr und je länger Jesus vom Vater im Himmel predigt und das Kommen seines Reiches verheißt. Er wird zum Kampf wider die selbstgemachten Sicherheiten im Verhältnis zu Gott – wider die Krämerseelengesinnung, die Gott gerade soviel Platz im Leben einräumt, wie nötig scheint, um die eigenen Interessen durchzusetzen, statt von ihm allein alles zu erwarten. Eben deshalb wird Jesus – dieser Bote Gottes schlechthin – aus der Welt hinausgeworfen als Verbrecher am Kreuz. Jesus ist also nicht auf die Welt gekommen, weil er unbedingt am Kreuz sterben wollte. Er ist nicht süchtig nach Leiden. Im Gegenteil: Er will leben und die Schmerzen heilen. Aber er nimmt dieses Ende bewusst auf sich aus Treue zu seiner Botschaft. Hätte er das nicht getan, wäre er geflohen oder hätte dem Druck der Autorität diplomatisch nachgegeben, dann hätte er seine eigene Botschaft vom Vater im Himmel verraten. Er hätte widerlegt, was für ihn die Wahrheit schlechthin gewesen ist: dass Gott der Vater alle liebt und in dieser Liebe keine Grenzen kennt, ja sich selber restlos verausgabt für die Menschen. Und weil Jesus so sehr zu Gott gehört, dass er sein Sohn heißt, deshalb kann er nicht anders – er muss sich genauso verausgaben für seinen Vater und seine Wahrheit und damit für die Menschen. Deswegen kommt es zum Kreuz. Es geschieht genau da, wo die Liebe sich schutzlos aussetzt im Klima der Sünde, d.h. dort, wo die Menschen selber absolute Herren sein wollen und deshalb Gott hinauswerfen aus ihrem Leben. – Die rettende Botschaft von der Liebe Gottes verkünden und leben. Das war Jesu ein und alles. Das war seine Mitte. Deshalb reagiert er so heftig, als Petrus ihm zuredete, den Konflikt zu vermeiden – denn das hätte geheißen: jene Wahrheit zu verraten. Von daher können wir jetzt auch verstehen, weshalb Jesus gleich darauf vom Kreuztragen als dem Lebensgesetz seiner Jünger redet. Wo immer nämlich einer zu Jesu Freund wird, d.h. wo ein Mensch die Wege seines Lebens mit Jesus geht und teilt, da wird er den Vorrang Gottes in der Welt behaupten und von ihm her sein Leben nach dem Maßstab der Liebe entwerfen. Genau das macht den Jünger Jesu aus – und zusammen mit Jesus wird er zu beidem auch fähig sein. Genau dort aber, wo einer ein solches Gott-entsprechendes Leben unverkürzt lebt, wird es früher oder später in irgendeiner Weise zum Konflikt mit den Kräften kommen, die Gott ablehnen – so wie es Jesus geschehen ist. Solche Konflikte gehen dort, wo man Gottes Anspruch kategorisch zurückweist, grundsätzlich tödlich aus. Dort verlieren Menschen tatsächlich um Jesu willen ihr Leben. Den ersten dieser tödlichen Konflikte nach Jesus berichtet das Neue Testament selber noch in der Apostelgeschichte: es war der Fall des Diakons Stephanus. Und ihm folgten – Gott weiß allein wie viele – Märtyrer in der Geschichte unseres Glaubens. Und auch in der Gegenwart gibt es diese tödlichen Konflikte: So sind Pater Alfred Delp und der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer in den KZs der Nazi wegen ihrer Treue zum Evangelium ermordet worden. Und aus demselben Grund hat man vor wenigen Jahren den Erzbischof von San Salvador Oscar Arnulfo Romero erschossen. Er hatte gegen die Vergötzung der Macht durch ein paar Familien und gegen die schamlose Ausbeutung der Armen Gottes Wort gepredigt – und dafür mit dem Leben bezahlt. In all diesen Toten hat Jesu Wort, dass sich selbst verleugnen müsse, wer sein Jünger sein wolle, seine Wahrheit, seine ent-scheidende Wahrheit gezeigt. Ihnen aber, die ihr menschliches Leben verlieren, ist vom Herrn gleichzeitig verheißen, dass sie dennoch nicht ins Nichts fallen werden. Nein, gerade durch ihr Sterben für Gottes Wahrheit wird ihr Dasein gültig und end-gültig vor Gott. Wie bei Jesus. Mit ihm wird ihnen von Gott volles Leben geschenkt. Das meint Jesu Wort vom Kreuztragen der Jünger.
IV.
Auch wer um diesen Sinn des heutigen Evangeliums weiß, wird sich dennoch schwer tun mit seiner Rede vom Kreuz. Schwer tun besonders dort, wo Christen heute nicht in direkte Konflikte mit Kräften geraten, die ausdrücklich und mit allen Mitteln gegen das Evangelium kämpfen. Überall dort aber droht die Versuchung, mit dem Wort vom Kreuztragen Schindluder zu treiben – aus einer falschen Frömmigkeit heraus. Oft genug hält man das Wort denen besserwisserisch entgegen, die gegen ihr Schicksal murren und nicht mehr damit fertig werden. Es ist immer leicht, einen anderen zum Kreuztragen aufzufordern, ohne selbst davon betroffen zu sein. Aber abgesehen davon: Jesus hat mit seinem Wort vom Kreuz nicht gemeint, die Jünger sollen sich halt abfinden mit dem, was so geschieht, und immer schön ruhig halten. Im Gegenteil – er versteht das Kreuztragen als Bekenntnis, dass die Wahrheit von der Liebe Gottes und seiner Nähe immer und überall gilt – auch wo es nicht so scheint und wo man diese Wahrheit nicht hören will. Als Bekenntnis, dass auch ein Leben wie seines, das nach außen hin tragisch endet und völlig misslungen scheint, dass auch ein solches Leben nicht sinnlos ist, weil allein Gott unser Leben heil und ganz macht. Wenn eine Mutter, die ihr Kind verliert, wenn ein verlassener Ehepartner, wenn ein in jungen Jahren völlig Gelähmter, wenn die Familie mit dem schwer behinderten Kind aus eben diesem Glauben an Gottes Liebe trotz allem nicht die Flinte ins Korn wirft; wenn sie ihr Schicksal bestehen in der Hoffnung, dass es noch durch alle Ohnmacht hindurch gelungenes Leben gibt, und deshalb mit Christus ihr Leben gehen – dann stehen sie in der Nachfolge Jesu. Sie tun es, weil sie sich an Gott klammern, wo sie selber am Ende stehen. Einmal, wenn wir sterben, also uns selber ganz genommen werden, dann sind wir alle gefragt, ob auch wir bereit sind, uns allein auf Gott zu werfen und jenseits des Todesdunkels uns von ihm das Leben schenken lassen. Deshalb wird es gut sein, wenn wir uns jetzt schon hineinhören und hineinbeten in Jesu Wort vom Kreuztragen. Denn dieses Wort im Herzen zu tragen, das kann einmal darüber entscheiden, ob wir die Zumutung unseres Schicksals menschlich bestehen. Und es wird über unser Leben als ganzes entscheiden, wenn wir gerufen sind, alles in Gottes Hand zurückzulegen.