Christliche Krisenintervention
5. Ostersonntag: 1 Petr 2,4-9
I.
Vermutlich
haben Sie irgendwo schon einmal den Namen ebay gehört oder gelesen.
Ebay ist das erste deutsche Auktionshaus im Internet – ein Shootingstar
der Marktes mit sagenhaften Umsätzen, so sensationell vom Konzept her
und im Erfolg, dass es bereits wirtschaftswissenschaftliche
Untersuchungen darüber gibt. Jede und jeder kann dort kaufen oder
verkaufen, Alltagsdinge, Sammlerstücke, Ramsch, Pretiosen,
Dienstleistungen, Ulk. Manchmal sind Dinge dabei hart an der
Geschmacksgrenze oder darüber hinaus.
Vor kurzem sind dort Angebote aufgetaucht, die haben nicht einmal abgebrühte Journalisten säkularer Medien kalt gelassen. Im Angebot waren – Kirchen. Die Angebote kamen von privater Hand: die ehemalige Martinikirche in Mohringen und eine Kirche in Osnabrück. Die momentane Eigentümer hatten sie rechtmäßig von Kirchengemeinden erworben, die die Gebäude nicht mehr brauchen oder nicht mehr halten können, und wollten sie ge-winnbringend weiterverhökern. Von den 20.000 Kirchen und Kapellen in Deutschland, die sie derzeit habe, müsse die evangelische Kirche in den nächsten Jahren etwa die Hälfte abstoßen, so bodenlos werde sie ins finanzielle Aus geraten, war neulich zu lesen. Das blitzartige Dementi der Kirchenleitungen war das beste Indiz, dass die Meldung im Wesentlichen stimmt. – Auf katholischer Seite laufen ähnliche Maßnahmen auch schon längst, nur etwas dezenter, um nicht Entrüstungsstürme zu provozieren. Die klammen Kirchen verscherbeln statt des Tafelsilbers gleich das ganze Esszimmer, knapp zwei Jahrtausende, nachdem Jesus die Händler aus dem Tempel vertrieben haben soll, schrieb selbst der Spiegel.
II.
Hinter all dem steht, was sich durch nichts mehr
beschönigen lässt. Die Kirchen sind bei uns ins gesellschaftliche
Abseits geraten wie schon lange nicht mehr. Dabei schreit die
Öffentlichkeit nach Werten und sucht nachgerade hektisch nach
Religiösem: 750 Mio. Euro haben letztes Jahr Eltern in Deutschland für
ge-druckte Erziehungsberater ausgegeben, weil sie verzweifelt suchen,
was sie ihren Kindern an Orientierendem sagen sollen. Und Museen,
Konzertsäle und Sportstadien werden zu Kultorten, an denen
Menschenmassen ihren spirituellen Hunger zu stillen suchen. Die ersten
Adressen aber für beides, Orientierung und geistliches Leben, die
Kirchen, leeren sich.
III.
Fragt man nach den Ursachen, wird man nicht zu
holzschnittartig denken dürfen. Keine Frage, dass sich Kirchenleute
aller Ränge in vielfacher Hinsicht bezüglich der eigenen
Glaubwürdigkeit an die eigene Nase fassen müssten. Aber ein Zweites
scheint mir dennoch die tiefere Ursache zu sein: dass die Botschaft,
für die Kirchen stehen, nicht passen will zum mainstream einer
Gesellschaft, in der Profit, Durchsetzungsvermögen und Spaßhaben zu
Leitwerten geworden sind – wobei das Erste mit dem Zweiten durchaus
zusammenhängen wird. Das macht überzeugte Christen in unseren Breiten
längst zu einer Minderheit, auch wenn die gesellschaftlich-politische
Präsenz da noch etwas anderes suggeriert. Ein solcher
Minderheitenstatus aber ist gar nichts Neues für die Kirche. Er gehört
zu ihren Ursprungserfahrungen. Und eben dort – aus der Situation ihres
Anfangs – ist darum vielleicht auch zu lernen, worauf es ankommt.
Unsere zweite Lesung von heute aus dem Ersten Petrusbrief spricht aus genau einer solchen Situation. Das ganze Apostelschreiben ist ein Ermutigungsruf für die kleine Herde mitten in einer nicht nur desinteressierten, sondern dezidiert ablehnenden Umgebung. Der Verfasser macht sich auch gar nichts vor. Darum ruft er zur Parteinahme für Christus, für seine Botschaft von Gott und seine Sicht vom Leben auf, die für Christen eine Hoffnung begründet, deren Grund Gott selbst gelegt und im Ostergeschehen besiegelt hat. Und diese Parteinahme ist dramatisch, weil sie im Angesicht der ausdrücklichen Verwerfung dieses Hoffnungsgrundes durch andere geschieht.
Der Glaube kostet die Glaubenden etwas durch den Ernst, der zu ihm gehört, und die Konsequenzen, die er nach sich zieht. Zu diesem Preis gehört auch die Polarisierung. Sie drückt sich in unserer Lesung durch den scharfen Kontrast aus, den der Apostel zeichnet zwischen denen, die sich für die christliche Hoffnung aussprechen, und denen, die sie ablehnen. Man darf das nicht als Ausdruck von Rachegelüsten verstehen, so als ob da über die Glaubensverweigerer eine Bestrafung herabgefleht werde.
Stattdessen spricht der Apostel so aus seiner Überzeugung, dass es nicht gut gehen kann mit einem Leben, das sich der christli-chen Hoffnung entschieden verschließt, sie gar bekämpft, weil, wer so tut, sich sein eigenes Unglück anrichtet – gerade so, wie es vor ein paar Jahrzehnten Karl Barth gesagt hat: dass der Mensch, der gegen Gott handeln, also sündigen will, immer seinen Willen erhält – aber dann auch die Konsequenzen zu übernehmen hat. Und der Apostel kann so sprechen, weil er überzeugt ist, dass alles, was Gott in der ganzen Geschichte Israels und in Kommen und Geschick Jesu gewirkt hat, einzig um des Segens für den Menschen ins Werk gesetzt ist. Darum ist der ganze Abschnitt des Briefes, den wir betrachten, gleichsam mit einem Klangteppich aus Anspielungen auf Passagen des Alten Testaments unterlegt, 14 mal in 10 Versen. So ist die ganze Krisenintervention, die da skizziert wird, eingewebt in die Geschichte mit einem Gott, dem man trauen darf, weil er sich von Anfang bis zur Gegenwart aus der Treue erwiesen, auch und gerade in den kritischen Zeiten vom Aufenthalt in Ägypten über das babylonische Exil bis auf Golgota hinauf.
IV.
Interessant ist aber nun, wie der Apostel das
beschreibt, was denen, die sich auf die Seite des lebendigen Steines,
des tragenden Grundes Christus stellen, zu tun bleibt. Und er tut das
bemerkenswerter Weise nicht mit einem "Ihr müsst" oder "Ihr sollt",
also vorschreibend, sondern beschreibend – und teilt so die elementare
christliche Überzeugung, die auch schon zuvor der A-postel Paulus immer
wieder vergegenwärtigt hat: dass das christliche Grundwort nicht heißt
"Du musst", sondern "Du bist". Darum heißt es in unserer Lesung an
dieser Stelle nach der Ankündigung der dräuenden Konfrontation: Ihr
aber seid ein auserwähl-tes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft,
ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein Eigentum wurde.
Das hat überhaupt nichts mit kirchlichen Amtsfragen zu tun, auch wenn das später in Tradition manchmal so gelesen wurde. Unser Apostel greift da vielmehr auf zentrale alttestamentliche Bilder für das Volk Gottes zurück, überträgt sie auf seine kleine Minderheitengemeinde der Jesusleute und sagt ihnen damit: So, so groß dürft ihr von euch denken, wenn ihr Euch auf die Seite Christi stellt. Wie einst Gott groß dachte von seinem kleinen Wüstenvolk, das er sich erwählt hatte, um sein Innerstes auszusprechen, und Israel stolz auf seine Berufung war, so dürft ihr stolz darauf sein, in die Jesusgeschichte hinein zugehören als Bewahrer seiner Predigt und Zeugen seines Ostergeschicks. Das ist die Wurzel und die Grundform christlichen Selbstbewusstseins: Mitgenommen zu sein auf den Osterweg Jesu und als vom Dunkel ins Licht Gerufene Künder dessen zu werden, der dem Menschen Gutes tut, weil er ihm mit Ostern definitiv alle Angst von der Seele nimmt. So endet ja unsere Lesung.
V.
Christinnen und Christen dürfen darum wissen, dass sie
etwas wert sind. Sie dürfen sich – in einem sehr buchstäblichen Sinn
des Wortes – etwas darauf einbilden, in Gottes Weltzuwendung verstrickt
zu sein mit dem eigenen Leib und Leben; Kunde davon zu bringen, dass
alle Weltmaßstäbe – Ansehen, Fortkommen, Rang und Macht oder wie immer
sie heißen mögen – ihrerseits noch einmal gemessen werden, ob sie dem
entsprechen, der sich selbst dieser Welt mit seinem Ich-bin-da-für-dich
als des Menschen Maß eingestiftet hat. Davon können und dürfen sie
leben, wenn es heiß hergeht um sie herum.
Damit daraus keine Eingebildetheit wird, die sie auf die anderen herabschauen lässt, nimmt der Apostel in sein Kurzportrait der Jesusgemeinde doppelt das Bild von der heiligen Priesterschaft hinein, die gottgefällige geistige Opfer darbringen soll – als Ausdruck eines selbstlosen Dienstes für die anderen, der zugleich Gott die Ehre gibt und darum nichts an und für sich selbst ist. Heiligkeit ist in der Bibel nichts Moralisches, sondern immer die Kehrseite der Herrlichkeit: dass der Berufenen – in unserem Fall: der Getauften – Tun und Treiben Gottes wunderbare Zuvorkommenheit und Treue verkörpere und so sein Innerstes aufleuchten lasse.
Wir müssen uns vermutlich erst wieder daran gewöhnen, dass unsere erste und wesentliche Aufgabe nicht darin besteht, den Status quo von Kirche zu sichern, sondern von einem geistlichen Schatz auszuteilen, der uns im Übermaß anvertraut ist. Wie viele Kirchen aus Stein es dafür braucht, ist eine durchaus zweitrangi-ge Frage. Die Gemeinde der Jesusleute zur Zeit des Petrusbriefes war marginal im Gesamt der spätantiken Welt – marginal, also zu deutsch: an den Rand geschrieben. Aber in Randbemerkungen steht immer das Wichtige. Dort wird der Sinn eines Textes ver-deutlicht oder korrigiert. Und wenn das die eigentliche Aufgabe der Christen und der Kirchen wäre? Dann hätten sie sich aber zuerst selbst einer Korrektur zu unterziehen, die sie eigentlich von Karfreitag und vom Ostermorgen her schon sehr gut kennen: dass erst aus dem gottvertrauendem Loslassen von allem, ein neues und freies Lebendigsein hervorgehen kann.