Getröstet sein
Weihnachten Am Tag A: Jes 52, 7-10
I
Vor ein paar Stunden haben wir in unseren Familien Heiligen Abend gefeiert: Das Evangelium von der Geburt des Herrn gelesen, Lichter entzündet, vielleicht eines der alten Lieder gesungen. Viele beschenken einander. So erinnern sie sich daran, wie wir Menschen in der Heiligen Nacht unverhofft Beschenkte geworden sind. Und dann haben wir einer dem andern „Frohe Weihnacht“ gewünscht. „Frohe Weihnacht“ - so grüßten sich auch Menschen, die einander nur flüchtig kennen, wenn sie sich heute Nacht auf dem Weg zur Christmette trafen. „Frohe Weihnacht“ - so steht es auch auf vielen der Grußkarten, die wir in den letzten Tagen bekamen.
II
Einmal habe ich eine Karte bekommen, die hat mich nachdenklich gemacht. Ihr Bild zeigt eine der ersten Darstellungen der Geburt Jesu. Sie stammt aus dem vierten Jahrhundert: Auf einem Steintrog liegt das Kind, fest in Wickeln eingebunden. Und neben ihm kein Josef, keine Maria, über ihm kein Engel, kein Stern. Nichts. Nur die Köpfe von Ochs und Esel. Und unter dem Bild: „Frohe Weihnacht“. Passt das zusammen?
Als ich die Karte mit dem Bild bekam, ging mir spontan das Wort „Gefängnis“ durch den Kopf: Der grob gemauerte Steintrog, das Kind, das passiv auf ihm liegt, ungeschützt, eingewickelt, wie wenn es gefesselt wäre, die Einsamkeit, die es umgibt und an Lebendigem bei ihm: nur die zwei Tiere. „Frohe Weihnacht?“
III
Ich glaube, dieses Bild sagt viel genauer, viel tiefer, was Weihnachten ist, als es die idyllischen Krippenbilder der späteren Jahrhunderte vermögen. Das zu verstehen, kann uns die Lesung aus dem Jesaja-Buch helfen: Es ist die Zeit des babylonischen Exils. Israel hatte menschlich gesehen durch Anmaßung, geistlich gesehen durch Unglaube alles verspielt. Land und Heimat, Hab und Gut, seine Zukunft dazu. Mit dem Exil ein Prophet, der sich wie sein großes Vorbild Jesaja nennt. Als Verbannter spricht er zu Verbannten. Aber nicht um ihnen vorzurechnen, wie recht seine Vorgänger mit ihrer Warnung vor einer Abwendung von Gott gehabt haben, nicht um den Leuten hinzureiben, dass ihnen jetzt nur recht geschehe. Sondern Jesaja tröstet. Nicht vertrösten, sondern trösten kann der Prophet, weil er es wagt, auch noch das Unglück des Exils mit den Augen des Glaubens anzuschauen. Und dabei geht ihm auf, dass, wenn Gott wirklich Gott ist, er nicht nur Israel in seiner Hand hält, sondern auch die anderen Völker, ja die Widersacher noch - und am Ende Erde und Himmel im ganzen sogar. Trotz unserer Untreue wird Gott uns nicht abschreiben, heißt das für Jesaja. Er bleibt sich treu, er, der uns geschaffen, der uns aus der Sklaverei Ägyptens in die Freiheit geführt, uns seine Nähe im Bund am Gottesberg geschenkt hat, - er bleibt sich treu und darin uns. Diese Entdeckung, wer Gott sein muss, wenn er Gott ist, die weckt im Propheten solche Zuversicht, dass er mitten in der Verbannung vom Ende der Verbannung zu singen beginnt:
Jerusalem liegt in Trümmern, aber über die Berge, die es umgeben, kommt ein Eilbote aus Babylon gelaufen und ruft: Das Elend ist vorbei. Friede ist wieder. Du bist gerettet. Dein Gott ist König. Nicht Menschen und Mächte und ihre Götzen halten den Lauf der Dinge in der Hand, sondern dein Gott, der, der dich geschaffen, der dich schon einmal befreit hat - der Treue. Die Wächter, die Späher, - damit meint der Prophet sich selbst und seinesgleichen -, die, die so angespannt auf ein Zeichen für das Ende der Not lauschten, die fangen an zu jubeln, denn sie sehen mit eigenen Augen, wie der Herr nach Zion zurückkehrt. Dieser Satz benennt den eigentlichen Grund dafür, dass der Prophet so getröstet und so tröstend sprechen kann - der Herr kehrt nach Zion zurück. In diesem Satz klingt etwas ganz Geheimnisvolles auf: Für „zurückkehren“ nimmt Jesaja das gleiche Wort, das auch für „umkehren“, für „sich bekehren“ steht. Aber nicht von den Menschen wird das Umkehren gesagt, sondern von Gott. Eigentlich wäre doch zu erwarten, dass die, die sich zuvor abgekehrt hatten, wieder umkehren, sich bekehren zu Gott, auf dass sie wieder heimkehren in ihr Land. Statt dessen sagt Jesaja: Gott kehrt um: Er kehrt zurück zum Menschen. Er überwindet den Abgrund, den die Abkehr seiner Geschöpfe aufgerissen hat. Er kehrt von sich aus zurück dorthin, wo sie, die Abgewandten sind. Damit sie nicht im Exil bleiben, verlässt Gott seinen Ort, er geht ins Exil. Nach Zion kehrt er zurück, wie der Prophet eigens betont: Dorthin also geht er, wo alles zerschlagen liegt, wo kein Leben und kein Gott mehr ist. Gott in der Fremde. Wenn ein Kind in den Schmutz gefallen ist und sich wehgetan hat, kniet sich die Mutter zu ihm, ohne auf den Schmutz zu achten, um ihr Kind zuerst einmal aufzuheben und trösten. So auch Gott. Er lässt uns nicht liegen, wo unser Leben in Trümmer ging, wo wir vielleicht sogar selber Ruinen, Ruinierte sind. Darum kann Jesaja so rätselhaft sagen: Brecht in Jubel aus, jauchzt alle zusammen, ihr Trümmer Jerusalems. Wenn Ihnen das Leben schon einmal wie ein Trümmerhaufen vorgekommen ist und sie dann ein guter Mensch in die Arme genommen hat, dann wissen Sie, was Jesaja meint. So stellt sich Jesaja die Erlösung von der Verbannung vor. Gott wird stärker sein als alle Gewalt und Unterdrückung. Und Gott wird diese Stärke zeigen. Er enthüllt, wer er ist: Seinen Arm entblößt er, sagt der Prophet, wie ein Kämpfer, der das hinderliche Gewand zurückschiebt. Anders kann sich Jesaja Gottes Macht in der menschlichen Ohnmacht des Verbanntseins nicht vorstellen. Und alle, alle werden´s sehen, wie der ist, der uns rettet: Alle Enden der Erde schauen das Heil unseres Gottes.
IV
Jesaja war gewiss überzeugt, dass wahr ist, was er von Gott verkündete - von einem Gott, der seiner Majestät und seines Rechtes nicht achtet; der darum in sich das Oberste zuunterst kehrend umkehrt zu denen, die der Umkehr bedürfen; der den Thronsaal des Universums mit den Trümmern Zions vertauscht und so die Trostlosen tröstend zeigt, wer er in Wirklichkeit ist. Dass das alles wahr ist, dessen war der Prophet gewiss; wie wahr es ist, hat er noch nicht wissen können.
Wenn Christen eine Weile nachdenken über den, nach dem sie sich nennen, diesen Jesus von Nazaret, den Christus; wenn sie im Herzen erwägen, was er sagte, was er tat, wie er war; wenn sie dann etwas zu ahnen anfangen, dass dieser Mensch untrennbar mit Gott zusammengehört, so untrennbar, dass Gott selbst in ihm begegnet wie in einem lebendigen Gleichnis aus Fleisch und Blut; wenn sie darum sagen: Gott ist Mensch geworden in ihm - da bewegen sie sich auf einmal auf den Spuren, die Jesaja Jahrhunderte vorher gelegt hat. Die Linien, die er tastend andeutete, die ziehen die Christen bis zur Gänze aus. Und am Ende steht wie von selbst ein Bild wie das auf meiner Weihnachtskarte vorhin: Ein Gott, der seiner ganzen Herrlichkeit nicht mehr achtet, der dorthin geht, wo er doch gar nicht hinpasst - ins Gottesexil gleichsam, in die Trümmer, die Armut. Ein Gott, der sich bis zum Grunde zum Menschen kehrt, fast hätte ich gesagt: bekehrt. Der darum mit uns teilt, was zu unserer ureigensten Wahrheit gehört: ausgesetzt, ohnmächtig, gebunden, im allerletzten auf uns allein gestellt zu sein. Wie das eingewickelte Kind auf dem Steintrog, ohne eine Menschenseele bei ihm. Nur die beiden Tiere noch, Ochs und Esel. Als Sinnbilder für das instinktive Sehnen unserer Seele, es möchte doch gut sein mit uns so, wie es ist. Ein Gott, der tröstet, indem er wird, was wir von Wesen sind und der uns damit sagt: Ja, es gut mit dir. Hab´ keine Angst. Ich bin mit dir und bei dir, sogar dort noch, wo dein Leben in Trümmer ging. Wo du nichts mehr giltst und nichts mehr hast außer, dass es dich gibt.
Der entblößte Arm, den der Visionär Jesaja erblickte - das war gar kein Krieger-Arm. Das war nur der allererste Anfang, dass Gott die Gewänder ablegte, die ihn verbargen. In der Christnacht vollendete sich, was so begann. Der Tröstgott kein Krieger, sondern - ein Kind. Das ist sein wirkliches Geheimnis. Wer Bilder, wie das auf der Karte lang genug anschaut, in dem rührt sich wohl irgendwann das Gefühl, er selber müsse das Kind auf dem Steintrog wärmen und trösten in seiner Einsamkeit. Wer so mit seinem Gott empfindet, findet sich tröstend schon selbst getröstet. So macht das Kind in der einsamen Krippe froh. Darum ist´s wirklich wahr: Frohe Weihnacht!