Fascinosum Wort
2. Sonntag nach Weihnachten: Joh 1,1-18 pass.
I.
Zehn
Tage feiern wir nun schon Weihnachten. Wir gönnen uns Zeit, dem
Geheimnis der Heiligen Nacht nachzusinnen, es zu verinwendigen mit den
Liedern, Sinnbildern, Heiligen Bräuchen. Aber wir sind ja nicht nur
Gemüts- und Gefühlswesen. Zu uns Menschen gehört auch das Nach-denken.
Darum haben Glaubende von Anfang an danach gestrebt, mit der Kraft
Geistes zu verstehen und nachvollziehen, was sie als zuge-sprochene
Verheißung glaubend annehmen. Theologie treiben, sagen wir kurz dafür.
II.
In besonderer Weise hat sich solches Verstehen des
Glaubens seit je um das Geheimnis der heiligen Nacht gemüht. Ich denke,
man übertreibt nicht, wenn man die Botschaft von der Menschwerdung als
einen heimli-chen Glutkern lebendigen Philosophierens, also Suchens
nach wirklicher Einsicht bis heute bezeichnet. Nicht nur, aber
bevorzugt geschah das durch die Weise, wie der Johannesprolog und die
Johannesbriefe das Mysterium der Inkarnation im Gewand der Mystik des
fleischgewordenen Wortes intonieren: Gottes Selbstaussprache, von
Urbeginn in ihm als dem sich mitteilen Wollenden vollzogen, sein
Innerstes zur Sprache bringend, darum untrennbar ihm zugehörend und
doch unterscheidbar von ihm, weil sich in diesem verbum internum,
diesem inneren Wort das Heraustreten des Unbegreiflichen in den
Horizont der endlichen Vernunft vorbereitet. Und dann sein Kommen ins
Fleisch, damit durch das Schau-en der Augen das verwundete Herz geheilt
werde, mit dem allein das Wort geschaut werden kann - so Augustinus in
seiner Auslegung zum Ersten Johannesbrief.
Andere nach ihm standen ihm in ihrem meditierenden und
reflektieren-den Ringen um das ewige Wort, in dem alles Endliche
beschlossen sein muss, wenn denn Gott wirklich der Unendliche sein
soll, in nichts nach: ein Anselm von Canterbury im „Monologion“, Thomas
von Aquin mit sei-ner Einleitung zum Johannes-Kommentar, den dann der
Münsteraner Philosoph Josef Pieper, so wunderbar übersetzt hat. Und
auch so man-cher Moderne steht - nach wie vor wenig bekannt in der
Theologie - in der Reihe dieser Philosophien der der Menschwerdung.
Einen nur nenne ich: Bereits 1797 hatte Friedrich Heinrich Jacobi nach
dem Zeugnis Drit-ter halb ernst, halb im Spaß gemeint, die Prinzipien
von Johann Gottlieb Fichtes Philosophie würden sich in Wahrheit am
Anfang des Johannes-evangeliums finden. Vermutlich hat Jacobi von
seiner ihm eigenen Warte aus nie ganz begriffen, wie recht er damit
hatte. In seinem Buch „Anwei-sung zum seligen Leben“ macht Fichte das
selbst ausdrücklich: Seine Überlegungen gipfeln in einer Auslegung der
Verse des heutigen Evan-gelium, in dem sich für ihn die christliche
Botschaft auf unüberbietbare Weise verdichtet. Fichte schreibt:
„Was
im Evangelium Johannis zu allererst unsere Aufmerksamkeit auf sich
ziehen muss, ist der dogmatische Eingang desselben in der Hälfte des
ersten Capitels; gleichsam die Vorrede. Halten Sie diese Vorrede ja
nicht […] für eine räsonnirende Verbrämung sei-ner Geschichtserzählung,
von der man, rein an die Thatsachen sich haltend, der eigenen Absicht
des Verfassers nach denken könne, wie man wolle [...] Der Verfasser
führt, durch das ganze Evangelium durch, Jesum ein, als auf eine
gewisse Weise, die wir unten angeben werden, von sich redend; und es
ist ohne Zweifel Johannes‘ Ueberzeugung, dass Jesus gerade also, und
nicht an-ders gesprochen habe, und dass er ihn also reden – gehört
habe: und sein ernster Wille, dass wir ihm dies glauben sollen. [...]
Auch die Vorrede ist, nach Johannes Ansicht, nicht des Johannes,
son-dern Jesu Lehre; und zwar der Geist und die innigste Wurzel von
Jesu ganzer Lehre."
Und es versteht sich von selbst, wo
Fichtes nachfolgende Auslegung des Prologs ansetzt: bei dessen fünften
Wort "lógos" natürlich: Dessen ur-sprungloses In-Gott-Sein, ja
Gott-Sein, das packt ihn, denn das heißt ja: Gottes Dasein ist
unmittelbar Bewusstsein seiner selbst; Gottes Leben ist sein
Sich-Wissen, und in ihm sind Welt und Dinge als gewusste und
begriffene, und diese Selbstaussprache Gottes macht ihre Existenz aus:
„Alles
ist durch ihn – den Logos – geworden, und ohne ihn ist nichts, das
geworden ist. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der
Menschen“–
alle Wirklichkeit und alles Wissen entspringen der Selbstgegenwart Got-tes.
III.
Eigenartig im übrigen, dass das Herausfordernde am
Weihnachtsge-heimnis die schärfsten Kritiker des Christentums meist
genauer gesehen haben als viele Gläubige. Das war schon im zweiten
nachchristlichen Jahrhundert bei dem Philosophen Kelsos so, erst recht
natürlich bei Nietzsche, und es reicht bis in unsere Tage: Der vor
einigen Jahren ge-storbene rumänische Denker Emile Cioran schrieb in
seinem Werk „Die verfehlte Schöpfung“: Die Menschwerdung ist die
gefährlichste Schmei-chelei, die uns zuteil wurde. Sie hat uns ein
maßloses Statut verliehen, das in keinem Verhältnis zu dem steht, was
wir sind. – Genau so ist es: Nicht, was wir haben, können, tun, macht
unseren Wert und unser We-sen aus, sondern dass wir das sind, was der
selbst werden wollte, der uns gewollt hat. Der Mensch als der
atemberaubendste Gedanke Gottes und ineins darum das Wort seiner
Selbstmitteilung.
IV.
Ein großer deutscher Philosoph unserer Tage, Dieter
Henrich, meinte vor Jahren einmal: Das Christentum habe einst das
Römische Reich und seine Bildungswelt gewinnen können, weil es – anders
als andere und mächtigere – Stimmen damals etwas in das Lebenszentrum
des Men-schen Gesprochenes zu sagen vermochte. Unsere Zeitgenossen –
meinte er – bedürften erneut solchen Getroffenwerdens in ihrer Mitte.
Und die Philosophie hätte dies mit der Theologie gemeinsam, nicht
da-von ablassen zu können, um eine solche Sprache und um die Gründe,
von denen her sie sich ausbilden kann, besorgt und bemüht zu sein.