Warum danke sagen so wichtig ist
Erntedankfest A: Lk 17,11-19
I.
In einigen christlichen Gemeinden Neuguineas hat sich bis heute ein eigenartiger Brauch erhalten: Gegen Ende des Kirchenjahres kommt jeder Einzelne der Reihe nach zum Pfarrer oder Gemeindeleiter und erzählt, was Gott ihm während des vergangenen Jahres alles geschenkt und was er damit angefangen hat. Beide beschließen die Begegnung mit einem Dankgebet. Seltsam, dass es da – obgleich so etwas wie eine Beichte, - dass es da nicht zuerst um Bekenntnis und Buße geht, sondern um Danksagungen.
II.
Die Leute in Neuguinea haben einen Vorläufer, der noch viel seltsamer gehandelt hat. Das Alte Testament erzählt uns im 2. Buch der Könige vom Aramäer Naaman. Der war an Aussatz erkrankt und suchte nun nach vielen Enttäuschungen Hilfe beim Propheten Elischa. Wider alles Erwarten wird ihm auf dessen Wort hin wirklich wieder die volle Gesundheit geschenkt. Bevor Naaman nach Hause zurückkehrt, erbittet er von Elischa so viel Erde aus dem Land Israel, wie zwei Maultiere tragen können. Mit ihr will er sich daheim einen besonderen Ort bereiten zum Danksagen. Mitten unter den vielen Göttern seines Werktags will er nicht vergessen, worauf sein Heil steht – was Gott an ihm getan hat. Noch seltsamer, nicht? Warum dankt Naaman so umständlich? Sollte das Danken etwa mehr sein als eine höfliche Floskel?
III.
Viel mehr als das. Nicht zufällig hat Lukas in seine große Schilderung dessen, was alles zum Reich Gottes gehört, auch die Geschichte des heutigen Evangeliums eingefügt. Er will sagen: Was sie erzählt, gehört mit zum Menschsein, wie Gott es eigentlich gedacht hat und wieder von uns erhofft. Auf seinem Weg nach Jerusalem begegnen Jesus vor einem Dorf zehn Aussätzige. Wer Aussatz hat, war ausgesetzt, ausgestoßen, aller Kommunikation beraubt, weil er den Bestand seiner Volksgemeinschaft gefährdete durch seine ansteckende Krankheit. Ganz dem alttestamentlichen Gesetz entsprechend halten die zehn sich auf Distanz zu anderen. Deshalb rufen sie von fern den Herrn an und bitten um Erbarmen – um Heilung. Und er: Geht und zeigt euch den Priestern, sagt er. Er heißt sie also tun, was zu tun vorgeschrieben war, wenn Heilung eintrat – die Priester im Tempel mussten bestätigen, dass der Aussatz geheilt, also die Gefahr gebannt war. Und die zehn tun wirklich, was Jesus ihnen aufträgt. Obwohl noch aussätzig, machen sie sich auf den Weg zur Bestätigung ihres Geheiltseins. So voller Glauben sind sie. Und eben deshalb geschieht auch, worum sie gebeten haben: Während sie zu den Priestern gingen, wurden sie gesund. Welche Freude mag in den zehn aufgestiegen sein, welcher Jubel – endlich wieder ganz dabei sein, dazugehören, wieder etwas gelten daheim im Dorf. Gerannt werden sie sein, um das erlösende Wort der offiziellen Bestätigung aus dem Mund der Priester zu hören. Ist das alles nicht menschlich und nur zu verständlich? Einer tut anderes. Er kehrt um, sucht noch einmal den Herrn auf, lobt Gott mit lauter Stimme und sagt Jesus Dank für das Geschenk der Heilung. Und dieser eine – ausgerechnet der einzige, der dankt - ist ein Samariter, ein Ausländer und Nichtisraelit, genau der, der naturgemäß Jesus am wenigsten nahe stand. Gewiss waren auch die anderen neun fromm, sonst hätten sie nicht glaubend Heilung erhofft von Jesus, diesem Boten Gottes. Sie aber sind nicht zurückgekehrt und haben nicht gedankt, obwohl sie so fromm waren. Muss ich vielleicht sagen: weil sie so fromm waren? Dass Jesus ausdrücklich nach den anderen fragt: Wo sind die übrigen neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden? – dass er so fragt, das lässt ja deutlich werden, wie wenig ihm der Dank dieses einen halt als Zeichen von Anstand galt. Im Tun dieses Mannes, das Jesus so wichtig ist, – in der Geste des Niederfallens und dem Dank in der Form des Lobpreises Gottes liegt ganz anderes beschlossen. Deshalb auch spricht Jesus zu diesem einem - und nur zu ihm –, obwohl er schon geheilt ist, das Segenswort: Steh auf und geh, dein Glaube hat dir geholfen. Der Herr will damit sagen: Selbst der erstaunliche Glaube der neun ist noch nicht das Heil, solange dieser Glaube nicht zur Erkenntnis der Güte Gottes kommt derart, dass diese Erkenntnis als Dank ins Wort drängt. Erst das Wort „Danke“ macht das Heil ganz. Gewiss hätte es für die zehn Männer kein Heil geben können ohne Heilung. Aber die Heilung allein – obwohl aus Glauben empfangen – ist noch nicht das Heil. Glauben und Danken zusammen erst machen es aus. Und warum? Weil der Mensch trotz des Glaubens ohne das Danke sagen noch immer bei sich stehen bliebe. Ja mehr noch: Weil er aufgrund seines Mutes zu glauben das zur Heilung führende Tun im Letzten noch sich selbst als Verdienst zurechnete. Das war ja der große Unterschied zwischen den neun und dem einen: In den Herzen der neun gesellt sich zur Freude über die Heilung im verborgensten Winkel so etwas wie die Gewissheit hinzu, auf das Wunder Heilung, Recht und Anspruch zu haben, weil sie doch gläubig sind – deshalb kommt Ihnen das Danken gar nicht in den Sinn. Der eine, der Fremdling, weiß, dass sein Leben Geschenk ist, das sich nur ersehnen, nicht aber einklagen lässt. Im schlichten Danke sagen und im Lobpreis Gottes hat er jene gottverlassene Rückbiegung auf sich selbst zerbrochen. Dadurch wird ihm das ganze Heil zuteil. Das richtet seine Existenz als ganze auf. Darum darf er hören: Steh auf... dein Glaube hat dir geholfen. Im kleinen Wort „danke“ wird also eine Scheidung vollzogen: Ob einer durch die Gabe hindurch noch den Geber sieht – oder ob er die Gabe selbst, seine Gesundheit, sein Glück, ob er die zu seinem Gott, will sagen: Götzen, erhebt. Ob einer danke sagt oder nicht danke sagt – auch für die kleinen Dinge, die ihn beglücken, auch für das vermeintlich Selbstverständlich –, darin liegt der Unterschied beschlossen zwischen Gottesdienst und Götzendienst. Deshalb steht die Geschichte vom Danke sagen mitten in Lukas Beschreibung vom Leben im Gottesreich.
IV.
Wir bringen heute Gott unseren Lobpreis dar für die Ernte des Jahres. Wenn wir unser Evangelium von vorhin ernstnehmen, dann kann dieses Danken keine leere Floskel sein und auch kein Akt romantischer Brauchtumspflege. Um Wahrheit über uns geht es stattdessen dabei. Natürlich haben wir gearbeitet, geschafft, geplant, uns gemüht um unser tägliches Brot und um noch viel mehr. Ist das Danke sagen damit aber überflüssig geworden? Denn hat einer von uns auch nur ein kleines Korn zum Wachsen gebracht? Vielleicht bedürfen wir heute dieses kleines Wortes danke mehr denn je, damit wir eingedenk bleiben, dass wir Menschen sind und nicht Götter. Naaman hat schon Recht gehabt mit seinen zwei Säcken Erde aus Gottes Land für den Platz zum Danke sagen. Dieses Zeichen der fremden Erde hat ihn nie vergessen lassen, dass er mit seinem Dasein nicht auf der eigenen Lebensscholle steht, das Heil nicht von eigenen Gnaden erworben hat, – dass vielmehr das Wesentliche ein anderer ihm schenkt. Ich denke, wir bedürfen genauso solcher Zeichen, die uns das Danken nicht vergessen lassen. Der Samariter aus dem Evangelium hat sich niedergeworfen vor Jesus. So hat er in urmenschlicher Geste zeichenhaft ein Stück von sich selbst, von seiner wiedergewonnenen Lebensfülle niedergelegt vor dem, der sie ihm geschenkt hat – gleichsam als wolle er diese Quelle des Heiles nicht ausschöpfen für sich, damit sie für immer – und das heißt auch: für alle – fließt. Wer sich reich beschenkt sieht, will – wenn er ein menschliches Herz bewahrt hat – wie von selber sich mitteilen und das heißt im Letzten immer: will teilen. Genau deshalb gibt es in unserer Eucharistiefeier – was ja Danksagung heißt – die Gabenbereitung mit der Opferung: In Zeichen legen wir etwas von Gottes Gaben in seine Hand zurück – im Vertrauen, dass gerade so die Quelle des Heiles nicht nur nicht versiege, sondern im Übermaß fließt. Und wenn Sie bei der Opferung ihre Gabe ins Körbchen legen, dann wird da deshalb nicht einfach Geld eingesammelt. Vielmehr geben Sie so auch persönlich ein kleines Stück von dem, was Ihnen geschenkt, ein kleines Stück Ihrer selbst wieder dem, dem sie es verdanken. Mag Ihnen das auch noch fremd erscheinen: Auch in dieser prosaischen Geste der sonntäglichen Gabe geschieht Geistliches. In ihr bekennen Sie, dass Sie nicht vom Eigenen leben, sondern vom beschenkt werden. Und wer wirklich so glaubt, stellt dann auch angstlos das Seine Gott zur Verfügung, damit er daraus sein Reich aufbaue. Deshalb teilt er mit denen, die in Not sind. Die Danksagung unserer Sonntagsmesse – und der heutigen besonders –, lässt uns Menschen werden, feinfühlig für Gott, feinfühlig auch für uns selbst, was wir wirklich brauchen und was wir nur zu brauchen meinen. Teilen kann halt nur, wer zuvor danksagend begriffen, wenigstens erahnt hat, dass er nicht Herr des Lebens und der Schätze der Erde heißt, sondern ihr Hüter. Wo Menschen dem zustimmen, fängt das Gottesreich an, Fuß zu fassen. Deshalb liegt Jesus so sehr an dem einen von den zehn, der das nicht vergaß. „Erhebet die Herzen. – Wir haben sie beim Herrn. – Lasset uns danken dem Herrn, unserem Gott.“ So sprechen wir jedes Mal zu Beginn des Hochgebets. Wirklich beten werden wir bei diesen Worten erst dann, wenn uns dabei einen Augenblick lang etwas von dem aus der vergangenen Woche vor das Auge des Herzen tritt, wofür wir zu danken haben. Wahrscheinlich reicht schon die kurze Stille jetzt nach der Predigt, damit ein jeder von uns findet, wofür er hernach Gott danken will. Nehmen Sie das, was Ihnen zuerst einfällt, sei es noch so klein. Gerade davon lebt Gottes Reich.