Herzens-Augen
Christi Himmelfahrt: Eph 1,17-23
I.
Heute
feiern wir Christi Himmelfahrt. Es ist der vierzigste Tag nach dem
Ostermorgen. "Vierzig" heißt in der ganzen Bibel so viel wie
"vollständig", "abgeschlossen", "ganz". Nach vierzig Tagen oder vierzig
Jahren immer, je nach dem, tritt vollends zutage, was ein Geschehnis
eigentlich bedeutet, worauf es hinaus will. Der Tag vierzig Tage nach
Ostern, Christi Himmelfahrt, heute, macht also sichtbar, was Ostern
bedeutet.
II.
Mit dem, was es da zu sehen gibt, hat es freilich
etwas Besonderes auf sich. Stellen im Neuen Testament, die von der
Himmelfahrt Christi erzählen, betonen, dass menschliche Augen dieses
Geschehen nicht erfassen konnten: Eine Wolke entzog Christus den
Blicken der Apostel heißt es z.B. in der Apostelgeschichte. Unsere
Lesung heute aus dem Epheserbrief sagt das Gleiche sozusagen positiv:
Der Apostel betet für seine Gemeinde, dass Gott ihnen die Augen des
Herzens erleuchte. Nur mit solchen Augen nämlich lässt sich erkennen,
wer Gott ist, was mit Jesus geschah und was das für die Gläubigen
bedeutet.
III.
Was aber sind "Augen des Herzens?" Dass es sie gibt,
steht, scheint mir, außer Frage. Als der Pilot und Dichter Antoine de
Saint Exupery seine Erzählung "Der kleine Prinz" veröffentlichte,
landete er einen Welterfolg. Zahllose Leser wussten irgendwie, wie wahr
es ist, wenn es in der Geschichte heißt: "Das Eigentliche ist
unsichtbar" für die Augen des Leibes; und "Man sieht nur mit dem Herzen
gut". Trotzdem aber und eben darum erst recht kann man fragen: Was sind
diese Augen des Herzens? Wie merkt man etwas von ihnen?
IV.
Im Grunde lässt sich die Frage sehr einfach aus
menschlicher Er-fahrung beantworten. Machen wir's gleich sehr direkt:
Am besten weiß Bescheid, wer jemanden hat, den er wirklich mag. Sagen
wir, Sie haben etwas für Arnold Schwarzenegger oder Sylvester Stallone,
für Cindy Crawford oder Claudia Schiffer übrig. Und sie haben einen
Partner, eine Partnerin, die haben mit solchen Stars so gut wie nichts
gemeinsam, nicht das Aussehen, nicht das Auftreten, nicht den Ruhm. Und
trotzdem lieben Sie ihren Partner von Herzen, obwohl er nicht aussieht
wie der Schwarzenegger und sie, was die Figur betrifft, nicht mithalten
kann mit der Schiffer. Warum? Weil Ihnen an diesem Menschen im Lauf der
Zeit anderes als das Äußere wichtig und wichtiger als alles andere
geworden ist: Die Güte vielleicht, die Bereitschaft zum Verzeihen oder
dass er oder sie einfach treu da ist in guten und in bösen Tagen. Das
sind so Dinge, die man nur mit den Augen des Herzens sehen kann.
V.
Genau das Gleiche gilt für Ostern. Von außen gesehen
schaut Ostern bestenfalls wie ein Rätsel aus, für manche wie ein
Spektakel, und andere sagten schon in der Zeit der Apostel und sagen
noch heute bissig "Betrug" dazu. Die Augen des Herzens sehen anderes.
Sie gehen dem auf, der sich – wie in einer menschlichen Beziehung –
Zeit nimmt für Jesus und das Evangelium. Wer das tut, der spürt, dass
Jesus von Anfang bis Ende aus einer ganz tiefen Hoffnung lebte, einer
Hoffnung, die auf Gott baute. Gott hat schon so viel getan für sein
Volk. Man kann sich auf ihn verlassen. In allem, im letzten Ende sogar.
Und alles Irdische wird einmünden in ein herrliches Leben bei diesem
Gott. Das hat Jesus gepredigt, demgemäß hat er selbst gelebt. Und weil
er das ganz tat, hat dieses Künftige einen Vorschein in sein Leben
geworfen. Zuerst nur in Andeutung, manchmal so deutlich, dass die, die
mit ihm waren, etwas zu ahnen begannen von seinem Geheimnis. Und dann
am Ende, als er starb, so unübersehbar, dass sie absolut überzeugt
waren: Der Gekreuzigte ist nicht verloren. Er lebt ganz bei Gott, für
immer. Gott hat ihn zu sich erhoben, über alle Mächte und Gewalten,
sagten sie dafür und meinten damit: Wie er war, das ist stärker als
alles andere in der Welt, stärker als der Tod sogar. Und darum kann er
uns, die wir doch gegen manche Mächte und einmal den Tod hindurch in
diese Zukunft bei Gott unterwegs sind, jetzt schon Helfer sein, einer,
der den rechten Weg weist, der tröstet und Mut macht.
VI.
Wie ein Partner äußerlich unscheinbar und
durchschnittlich ausschauen kann und Sie da auch trotzdem absolut
sicher sind, dass es für sie auf der ganzen Welt keinen lieberen
Menschen gibt, genauso ist es mit denen, die Jesus mit den Augen des
Herzens anschauen: Sie wissen mit eben der gleichen Gewissheit, was mit
ihm jetzt ist. Sie ahnen durch ihn, worauf sie selber hoffen dürfen,
dass sie eine Zukunft haben, die durch nichts zerstört werden kann, und
dass Gott diese Zukunft herbeiführen wird genauso, wie er über
Jahrtausende sein Volk gegen alle Wahrscheinlichkeiten geführt und
seinen Jesus selbst noch aus dem Abgrund des Todes gerettet hat.
Was von Jesus gilt, wird für uns gelten. Das heißt: Wenn wir sagen: Er ist aufgefahren in den Himmel, bekennen wir, was wir für uns selbst erhoffen. Wenn unser Leben einmal auch "vierzig" ist, also ganz und vollendet, da wird das offenbar werden, wie bei Jesus mit der Himmelfahrt. Und wie bei ihm gibt es auch bei uns manchmal einen ersten Schimmer des Künftigen mitten in der Gegenwart: Au-genblicke, da wir absolut gewiss sind: Trotz allem, was gewesen ist und was vielleicht noch kommen mag: Ich bin nicht verloren: Gott ist mir nahe. Wer das Leben mit den Augen des Herzens anschaut, sieht das und braucht nicht mehr verzweifelt zu sein.