Der seltsame Arbeitgeber

25. Sonntag: Mt 20,1-16a (St. Anton, Regensburg)

I.

Der Jerusalemer Talmud erzählt von einem großen Gelehrten, Rabbi Bun bar Hijja; der starb mit 28 Jahren an dem Tag, da ihm sein Sohn geboren wurde. Seine Lehrer und Kollegen versammelten sich, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Einer von ihnen, Rabbi Zeera, hielt die Trauerrede. Er begann sie mit einem Gleichnis: Es verhält sich wie mit einem König, der eine große Zahl von Arbeitern gemietet hatte. Zwei Stunden nach Arbeitsbeginn machte er einen Kontrollgang. Da sah er, dass einer der Arbeiter sich durch Fleiß und Geschicklichkeit vor allen anderen auszeichnete. Er nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm bis zum Abend spazieren. Als die Arbeiter kamen, um den Lohn zu empfangen, erhielt jener Arbeiter die gleiche Summe wie die anderen. Da murrten diese und sagte: Wir haben den ganzen Tag gearbeitet und dieser nur zwei Stunden - trotzdem zahlst du ihm den vollen Lohn aus. Doch der König gab zurück: Damit tue ich euch kein Unrecht. Dieser hat in zwei Stunden mehr geleistet als ihr den ganzen Tag. Ebenso, und damit schloss Rabbi Zeera die Trauerrede, ebenso hat Rabbi Bun bar Hijja in den 28 Jahren seines Lebens mehr geleistet als mancher ergraute Schriftgelehrter in 100 Jahren. Deshalb hat Gott ihn nach so kurzer Arbeitszeit bei der Hand genommen und zu sich geholt.

II.

Die Ähnlichkeit zwischen den Worten des Rabbi Zeera und dem Gleichnis Jesu vom Weinbergsbesitzer im heutigen Evangelium ist kein Zufall. Rabbi Zeera, das wissen wir heute, hat die Geschichte aus dem Evangelium gekannt - er lebte um 325 nach Christus. Bei seiner Trauerrede hat er Jesu Gleichnis verwendet und ist ihm selbst in Einzelheiten gefolgt. Aber in einem Punkt hat er die Geschichte radikal verändert. Der, der nur kurze Zeit gearbeitet hat, bekommt auch den vollen Lohn - wie bei Jesus die Arbeiter der elften Stunde. Aber: Er hat ihn sich verdient durch seine Leistung - anders als jene Arbeiter bei Jesus. Es wäre viel zu einfach gedacht, wollte man diesen Eingriff des Rabbi Zeera als zufällige Umgestaltung abtun. Da geht es um ganz anderes. Denn der jüdische Gelehrte hat nicht bloß Jesu Gleichnis verändert. Er hat vielmehr mit dieser Veränderung die Welt wieder in Ordnung gebracht. Belohnung für Leistung. So hat er die Verhältnisse wieder vom Kopf auf die Füße gestellt. ... Welchem der beiden Gleichnisse spontan - und heute besonders - die Sympathie der Mehrheit gehört - diese Frage erübrigt sich. Menschlich mag das plausibel sein. Aber bedeutet das nicht zugleich, dass Jesus mit seinem Evangelium fehl am Platz ist in der Welt, wie sie ist?

III.

Genau das gehört zum Bestürzendsten, was Jesus fast von Anfang seiner öffentlichen Predigt an hat erfahren müssen. Er war aufgebrochen, um den Leuten einen beglückenden Fund, ja eine geradezu intime Erfahrung seines Herzens zu künden: dass Gott sein Reich aufrich-ten wolle unter den Menschen. Und das meint: dass er Himmel und Erde wieder ins Lot bringen, die Menschen untereinander versöhnen und die Wunden, die sie einander und sich selber schlagen, heilen wolle. Und all das wird geschehen - so predigt Jesus -, wenn sich die Menschen wieder zu Gott hinkehren. Wenn sie so zu Gott stehen, wie Jesus zu Gott, zu seinem Vater im Himmel steht. Das alles war schon viel. Aber das Unglaublichste an der Botschaft Jesu war: dass sich niemand dieses Reich Gottes verdienen muss, sondern dass alle es geschenkt bekommen - umsonst, gratis von Gott, jeder, jede, die glaubt. Daran aber rieben sich die Zuhörer Jesu von Anfang an. Etwas so Großes ohne Leistung und Verdienst - und das heißt auch: ohne Anspruch - geschenkt bekommen, dagegen lehnten sie sich auf. Sie wollten sich nicht einfach freuen, freuen wie ein Kind, über das Beschenktwerden. Das Angebot Gottes war ihnen nicht zu wenig, nein es war ihnen zu viel. Sie wollten das Heft in der Hand behalten. Sie wollten kalkulieren und durch Leistung Anspruch haben. Aber all das machte sie unempfindlich für die Botschaft vom Gottesreich. Gegen diese Barriere musste Jesus angehen. Er musste die geltenden Regeln in die Krise führen. Er musste sie aufbrechen, damit seine Hörer im Boden des Gottesreiches ü-berhaupt einwurzeln konnten. Genau dazu erzählt er das seltsame Gleichnis des heutigen Evangeliums. Und seltsam ist dieses Gleichnis fürwahr: Denn ihm eignet nicht nur ein seltsamer Zug, jener eigenartige Lohn, dass die, die nur eine Stunde gearbeitet haben, genauso viel bekommen wie die, die 12 Stunden schufteten. Nicht nur das ist seltsam, seltsam sind gerade auch jene Arbeiter, die nur eine Stunde gearbeitet haben. Warum stehen sie denn erst so spät auf dem Marktplatz, um Arbeit zu finden. Wo waren sie zur dritten, sechsten und neunten Stunde. Waren sie verhindert? Haben sie sich vor der Arbeit gedrückt? - Am seltsamsten freilich ist der Arbeitgeber selber. Denn was ihn bewegt, so oft auf den Marktplatz zu laufen, um Arbeiter zu finden, ist nicht die Arbeit an sich und sind nicht der Weinberg und die Ernte. Denn jene eine Stunde, die die letzten Arbeiter noch schaffen, macht das Kraut auch nicht mehr fett. Nein, was diesen Besitzer einzig und allein bewegt, sind niemand anderer als die Arbeiter selber. Um ihretwillen allein kehrt er immer wieder zurück, um jedem eine Chance zu geben - auch den Letzten noch. Keiner soll arbeitslos bleiben und mit seiner Familie dadurch in Not geraten. Auch die Letzten noch holt er heraus aus dem lähmenden Nichtstun. Genauso verhält es sich mit dem Himmelreich. Jesus will sagen: Gott interessiert nicht das Wie und Was der Arbeit, sondern die arbeitslosen Arbeiter. Ihm geht es mit seinem Reich nicht um einen Zustand und eine Sache, sondern um die Menschen, jeden Einzelnen mit seinen Stärken und Schwächen und Schrammen. Gott ist ständig auf der Suche nach den Menschen - bis zur letzten Stunde. Das Gleichnis betont also nicht die Größe des Lohnes für die Letzten. Und es sagt auch nicht, dass alles gleich sei und es keine Unterschiede vor Gott gebe. Sondern das Gleichnis erzählt vom grenzenlosen Einsatz für uns, ob wir uns in der dritten, neunten oder elften Stunde ihm anschließen. Das Entscheidende dabei ist also gar nicht der Lohn, sondern: dass Gott unablässig die Menschen in ein Verhältnis zu sich ruft, wo sie Erfüllung finden. Gott schenkt also unendlich mehr als nur gerechten Lohn: Dass er uns auch noch Lohn zuerkennt, ist nichts anderes als noch einmal Ausdruck seiner Güte und seiner Nähe zu unserer Menschenart. Nur wer das begriffen hat, vermag dem Lohn das rechte Gewicht, und das heißt: den zweiten Platz zuzuweisen. Eben hier aber lauert die Gefahr: dass nämlich einer, der dem Ruf schon gefolgt ist, die Güte Gottes wieder aus den Augen verliert, die ihm schon längst alles geschenkt hat und stattdessen wieder im Muster von Anspruch und Leistung zu denken beginnt. - Als ob Gott ihm etwas schuldig wäre dafür, dass der Mensch sich von ihm einladen und beschenken lässt. Wo doch genau darin das Geschenkt besteht, nicht im Lohn. Wo aber einer so zu denken beginnt, bricht auch der Unfrieden auf zwischen den Menschen untereinander. Denn damit beginnt das Vergleichen. Aber genau dadurch wird alles schief. Der Mensch setzt eine eigene Gerechtigkeit in Geltung: Die Arbeiter der dritten Stunde, gerade die also, die schon am längsten bei Gott sein durften, empören sich. Sie ärgern sich über die Leute der elften Stunde, weil es denen ihrer Meinung nach zu gut geht. Gottes Antwort an sie: Nimm dein Geld und geh! Er schickt sie weg. Der selbsterhobene Anspruch und die Missgunst gegenüber denen, die scheinbar ohne Anstrengung Gottes Geschenk erhalten haben, schließen also von neuem die aus, die das Reich Gottes schon betreten haben. Jene, die einst auch einmal Letzte waren und durch ihr Hören auf Jesu Ruf Erste geworden waren, sie können durch ihr gottfremdes Gehabe wieder die Letzten werden. Unser Gleichnis hat Jesus also nicht zu Sündern gesprochen. Er hat es vielmehr an jene unter seinen Anhängern und an jene in den Gemeinden adressiert, die enttäuscht sind, weil sie vergeblich auf den Tag der Abrechnung warten für die, die als Sünder dastehen. Es ist gesprochen zu denen, die entschlossen den Weg des Evangeliums gehen, die mit Ernst fromm sein wollen - und dabei zu gut von sich selber denken. Jesu Gleichnis ist somit nichts anderes als eine Rechtfertigung des Evangeliums, der Frohbotschaft gegenüber ihren Kritikern - und zwar den Kritikern von innen. Im Neuen Testament steht eine ganze Reihe von Gleichnissen, in denen Jesus unablässig diese Rechtfertigung wiederholt. Das verrät, wie schwer die Botschaft vom Reich Gottes wirklich Fuß fassen konnte und wie sie selbst innerhalb der Gemeinden gefährdet blieb - wir müssen wohl sagen: gefährdet bleibt.

IV.

Jesu Gleichnis nimmt uns alle ins Gebet, dass wir uns hüten vor solcher Selbstgerechtigkeit. Wir haben kein Recht, Gott in den Arm zu fallen, wenn er gütig ist zu anderen. War er nicht längst auch schon zu uns gütig? Nehmen wir vielmehr unser Recht wahr, froh zu sein darüber, dass Gott uns gesucht und gerufen hat! Denn eben deshalb geht ja der innerste Anspruch des Evangelium nicht darauf, dass wir etwas tun sollen, sondern dass wir uns von Gott beschenken lassen. So ist Gott. Und wir alle bleiben die Beschenkten, solche mit großen und solche mit kleinen Schrammen. Es geht die Erzählung, wie Gott einmal dem Mose alle Schatzkammern des Himmels zeigte, wo der Lohn für die Gerechten aufgespeichert ist. Mose fragte ihn: Herr der Welt, für wen ist diese Schatzkammer da bestimmt? Gott antwortete: Für die, die ein gerechtes Leben führen. Und diese Schatzkammer? Für Leute, welche arme Waisen unterstützen. Und so ging es immer weiter, bis sie an eine ganz riesige Schatzkammer gelangten. Da fragte Mose: Für wen ist diese Schatzkammer bestimmt? Gott antwortete ihm: Wenn jemand seinen eigenen Verdienst hat, dann gebe ich ihm, was ihm aus seiner Schatzkammer zusteht. Wenn aber jemand keinen eigenen Verdienst hat, dann gebe ich ihm gratis aus dieser Schatzkammer. Das ist gute Nachricht. Sie zu hören, ist unsere Sache.